Die öffentliche Übertragung der neunten Frauen-Fußballweltmeisterschaft hing lange in der Schwebe
Bei der letzten Frauen-Europameisterschaft und zuletzt in den höchsten Frauen-Profiligen wurden zahlreiche Zuschauerrekorde aufgestellt und wieder gebrochen. In Deutschland hat sich ebenfalls ein Hype entwickelt und der Zuschauerrekord der Frauen-Bundesliga von 2013/14 war schon im Dezember 2022 gebrochen. Es ist also nicht übertrieben, dem Frauenfußball einen regelrechten Boom zuzuschreiben. Aus dieser Aufmerksamkeit heraus verspricht die Weltmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland der nächste Meilenstein des Frauenfußballs zu werden.
Der Hype drohte nun zu kippen, da FIFA-Präsident Gianni Infantino mit den Angeboten der öffentlich-rechtlichen Sender nicht einverstanden war. So hätte er eine Nicht-Übertragung der WM in Kauf genommen. Ein Einknicken seinerseits wirkte so wahrscheinlich, wie eine 9-Uhr-Vorlesung ohne die Schnarcher in der letzten Reihe. Zum Glück schaltete sich die Europäische Rundfunkunion ein. Sie wurde bereits 2019 zur Organisation der Frauen-WM-Übertragung eingeführt. Sie hat es geschafft, etwa einen Monat vor Beginn der WM, einen Deal mit der FIFA auszuhandeln – damit wurde in Deutschland ein sogenannter TV-Blackout verhindert. In diesem Fall wäre kein einziges Spiel der WM im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen worden.
Wenn am 20. Juli die WM beginnt, wird man also alle Spiele im ARD und ZDF verfolgen können. Und wir werden sie wie gewohnt in den Marstallgebäuden auf der Leinwand sehen können: „Wir übertragen alle Spiele, die während unserer Öffnungszeiten stattfinden und in den öffentlich-rechtlichen Programmen übertragen werden“, betonte Timo Walther, Referent der Geschäftsführung des Studierendenwerks Heidelberg. Von Montag bis Samstag könne man die Spiele in der Mensa und sonntags im Café schauen, präzisierte er und führte an, ein Public-Viewing zumindest in Betracht zu ziehen: „Sollte das Interesse dieses Jahr wider Erwarten größer ausfallen, sind wir selbstverständlich flexibel und bereit, auch eine Übertragung im größeren Rahmen zu realisieren.“
Um die Tragweite der Entscheidung zu verstehen, lohnt es sich, noch einmal die Folgen des verhinderten TV-Blackouts vor Augen zu führen. Ein WM-Totalausfall wäre nicht nur ein Schlag ins Gesicht für die Zuschauer:innen und Fans gewesen, die trotz der frühen Anstoßzeiten ihr Land unterstützen wollen. Es hätte auch eine sehr traurige Situation für alle Fußballspielerinnen des Landes bedeutet. Egal, welche Leistung man bringt, egal, welchen Zuspruch man von den Fußballfans erhält: Trotz aller Erfolge hätten die Kickerinnen wieder nur einen Schattenplatz hinter den männlichen Kollegen eingenommen.
Jetzt erhalten sie die Chance, sich der ganzen Welt zu präsentieren – ebenso wie die Männer im Winter. Die Übertragung der Weltmeisterschaft hat gerade jetzt die Macht, dem skeptischen Blick traditioneller Fußballfans zu zeigen, dass man auch Fußballspielerinnen zujubeln kann. Dass man auch hier über einen Trick oder genialen Pass staunen kann. Dass man auch hier das Gefühl verspüren kann, die gegnerische Innenverteidigerin, die zum 15. Mal foult, am liebsten auf den Mond schießen zu wollen. Kurzum: Dass auch im Frauenfußball große Emotionen, sportliche Persönlichkeiten und einzigartige Erlebnisse existieren.
Ob man dem Spiel der Damen etwas abgewinnen kann, sei jedem selbst überlassen. Aber die Chance auf ein gemeinschaftliches Highlight, bei dem man sich kurz nach der 9-Uhr-Vorlesung mit den Schnarchnasen und anderen Fußballfans zum Anfeuern im Marstall trifft, sollte jede:r nutzen können. Die deutsche Nationalmannschaft spielt in der Gruppenphase nämlich ausschließlich am Vormittag und nicht mitten in der Nacht. Die frühen Anstoßzeiten und die Tatsache, dass mit der WM auch die Prüfungszeit beginnt, erschweren die Planung eines solchen Highlights natürlich. Gewiss ist aber, dass man endlich wieder ein WM-Spiel ohne Gewissensbisse und politische Kontroverse im Marstall verfolgen kann. Schließlich ist die Einigung auf die Austragung das richtige Zeichen in Zeiten der Gleichberechtigung.
Von Roman Zehe