Semper Apertus, zu Deutsch „Immer offen“ – die Universität Heidelberg scheint ihr eigenes Motto in den vergangenen Jahren ziemlich ernst genommen zu haben. Der Vorwurf von fragwürdigen Kooperationen mit China steht im Raum
Seit Berichten des Rechercheverbunds Correctiv vor einigen Wochen gibt es schwere Anschuldigungen gegen den an der Uni Heidelberg angestellten chinesischen Honorarprofessor Jian-Wei Pan. Er soll an der Uni Grundlagenforschung im Bereich der Quantenphysik betrieben haben, die nun dem chinesischen Militär zugutekommt.
Auch einige seiner früheren Lehrlinge sind durch berufliche Tätigkeiten für die chinesische Regierung oder durch Quanten-Start-Ups mit dem chinesischen Militär verwoben. Das Schema bleibt dabei immer dasselbe: Pan holt chinesische Studierende an die Uni Heidelberg, an der sie dann gemeinsam mit ihm forschen. Danach gehen sie zurück nach China, um ihr erlerntes Wissen „brauchbar“ einzusetzen. Natürlich geht das alles nur, da Pan über europäische und deutsche Forschungsgelder in Millionenhöhe verfügt. Er selbst ist auch Mitgründer eines Start-Ups namens „QuantumCtek“ in China, das einen Preis für „Militärwissenschaft“ gewann.
Und dann wäre da noch Pans Kollege Matthias Weidemüller, ein aktiv lehrender Professor der Universität Heidelberg. Weidemüller wurde im Jahr 2013 in das umstrittene „Tausend-Talente-Programm“ Chinas aufgenommen. So erhielt er von der chinesischen Regierung – die dieses Programm initiierte – einen Lehrstuhl an der chinesischen Universität, an der auch Pan in diesem Zeitraum forschte.
Wie reagiert die Uni Heidelberg auf diese Vorfälle? In einem offiziellen Statement heißt es unter anderem: „Die Quantenforschung an der Universität Heidelberg war und ist – und dies schließt die Forschungsprojekte ein, die Jian-Wei Pan in Heidelberg durchgeführt hat – Grundlagenforschung. Hier einen direkten Bezug zu militärischer Anwendung herzustellen, ist eine unzulässige Konstruktion.“
Die Fachschaft MathPhysInfo, die auch für die Physik-Studierenden zuständig ist, lehnte auf Nachfrage eine Stellungnahme ab, da sie bis zum Redaktionschluss intern noch keine einheitliche Meinung gefunden hatte. Ein Doktorand Weidemüllers betont, es sei dennoch wichtig, dass chinesische Studierende nicht unter Generalverdacht gestellt werden solten.
Für den Umgang mit Forschung, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann, sogenannter Dual-Use-Forschung, hat die Universität in den letzten Jahren mehrere Einrichtungen geschaffen. 2017 wurde eine Kommission zur Verantwortung in der Wissenschaft eingerichtet und 2022 eine Stabsstelle für Exportkontrolle. Beides könnte der Anfang eines universitätsinternen Prozesses sein, einen Weg zu finden, wie man in Zukunft mit derartigen internationalen Kooperationen umgeht – ohne auf sie verzichten zu müssen.
Im Moment steht die Universität vor einem Dilemma. Bleibt Herr Pan, mit seinem der Rüstungsindustrie nahestehenden Start-Up, Honorarprofessor und bleibt Herr Weidemüller Teil des „Tausend-Talente“-Programms, vor dem das FBI ausdrücklich warnt, steht die Glaubwürdigkeit der Bemühungen der Universität in Frage. Trennt sie sich jedoch von den beiden Professoren, könnte es in Zukunft schwieriger werden, neue, weniger problematische Kooperationen einzugehen. Die Universität wird zukünftig strenger prüfen müssen, wer bei ihr in Bereichen sicherheitsrelevanter Forschung arbeitet.
Dabei dürfen Wissenschaftler:innen aus autoritären Staaten aber nicht per se unter Generalverdacht gestellt werden; ein Literaturwissenschaftler aus dem Iran etwa wird weniger mit sicherheitsrelevanter Forschung zu tun haben als etwa eine Luft- und Raumfahrttechnikerin aus Russland. Doch nicht erst jetzt und nicht nur die Universität hätte sich die Frage nach der Verantwortung dieser Zusammenarbeit stellen müssen. Zwar haben die Deutsche Forschungsgesellschaft und die Leopoldina erst 2014 eine Empfehlung zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung vorgelegt. Doch waren all diese Vorschläge auch vorher schon problemlos umsetzbar. Egal, ob es 2008 darum ging, ein ganzes Labor auszufliegen oder 2013 sich unter Vertrag eines autoritären Regimes stellen zu lassen.
Die Abhängigkeiten, die durch solche Kooperationen drohen, betreffen bei weitem nicht nur die Universität und ihre Forschung – Man denke nur an den Ausbau der 5G-Netze oder den Teilverkauf des Hamburger Hafen. Trotzdem muss sich die Universität überlegen, wie weit sie sich darauf einlassen will. Denn so bekommen Staaten Kenntnisse in die Hand, die sie nicht zum Wohle aller einsetzen.
Auch die Freiheit der Forschung ist in Gefahr, wenn autoritäre Staaten mit ihrem Geld bestimmen, worüber in demokratischen Staaten geforscht wird.
Von Robert Bretschi und Chantal Graßelt
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.