Im Patrick-Henry-Village warten Geflüchtete teils monatelang auf die Bearbeitung ihres Asylantrags. Wie Ehrenamtliche dabei helfen, den Alltag in der Ausnahmesituation zu bewältigen
Am 8. Juni beschlossen die EU-Innenminister:innen eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts (GEAS), die nicht nur für zivilgesellschaftlichen Aufruhr, sondern auch für hitzige Diskussionen im Deutschen Bundestag sorgte. Einer der am schärfsten kritisierten Punkte der seit 2020 entwickelten Neuregelung des Dublin-Systems ist die Erlaubnis von Asylverfahren an den EU-Außengrenzen. Das bedeutet, dass vor allem Flüchtende mit besonders geringen Chancen auf Asyl dort bis zu zwölf Wochen lang unter gefängnisähnlichen Zuständen in Lagern festgehalten werden dürfen.
Zudem werden die Bedingungen für „sichere Drittstaaten“ neu ausgehandelt, sodass Flüchtende wohl bald auch in Staaten zurückgeschickt werden könnten, die die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet haben. Die EU-Reform erscheint wie ein Versuch, die Verantwortung für das Wohlergehen flüchtender Menschen von sich zu weisen.
Doch auch die bestehenden Ankunftszentren innerhalb Deutschlands liegen häufig so abgelegen, dass zwischen Geflüchteten und Anwohner:innen kaum Kontakt entstehen kann. Im Patrick-Henry-Village (PHV), etwa 30 Fahrradminuten von der Heidelberger Altstadt entfernt, befindet sich eines der größten Ankunftszentren Baden-Württembergs. Gerade Studierende assoziieren das PHV wohl in erster Linie mit dem Metropolink-Festival und der Partylocation „Commissary“. Dabei ist direkt nebenan auf dem Boden des ehemaligen Militärpostens der US-Amerikaner:innen eine Unterkunft für etwa 2400 Asylsuchende verschiedenster Herkunft entstanden, die sich fast wie eine Kleinstadt anfühlt. Hier werden die Geflüchteten zunächst mit dem Nötigsten versorgt: Nach einer medizinischen Untersuchung erhalten sie Kleidung, einen Schlafplatz, Hygieneartikel und Mahlzeiten. Die meisten der Bewohner:innen kommen aus der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe und verbringen in der Regel sechs bis acht Wochen im PHV, bis eine Entscheidung über ihren Asylantrag gefällt wird. Zwar gibt es ein stündliches Bus-Shuttle in die Stadt, doch es wird genau registriert, wer das eingezäunte Gelände verlässt und betritt – eine weitere Barriere zwischen der Lebensrealität der Geflüchteten und dem Heidelberger Alltagsleben.
Wie füllen die Bewohner:innen die Tage der Ungewissheit?
Wie also füllen die Bewohner:innen die unzähligen Tage der Ungewissheit? Abhilfe schaffen hier eine Verfahrens- und Sozialberatung sowie eine psychologische Beratungsstelle. Dass die Kapazitäten dieser Anlaufstellen jedoch bei weitem überschritten werden, zeigt bereits die lange Schlange, die uns vor dem Gebäude der Verfahrensberatung erwartet.
„An manchen Tagen kommt es vor, dass Bewohnende den ganzen Tag auf einen Termin warten und trotzdem nicht drankommen“, verrät uns Ulf Prokein vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). Wenn der Bedarf nach dem Nötigsten also kaum erfüllt ist, was ist dann mit den sportlichen, intellektuellen oder sozialen Bedürfnissen der Bewohnenden?
Hier setzen die ehrenamtlichen Projekte des DRK an, die wir an diesem Tag besuchen. Im „Fliegenden Klassenzimmer“ lernen wir die ehemalige Lehrerin Ute Petermann kennen, die gemeinsam mit anderen Freiwilligen zweimal pro Woche Deutschunterricht für Kinder anbietet. Die Herausforderung besteht vor allem in den sehr unterschiedlichen Muttersprachen der Kinder sowie in der starken Nachfragefluktuation von Woche zu Woche. So sind es an diesem Tag nur drei Kinder, denen Petermann spielerisch das Alphabet vermittelt, während das „Fliegende Klassenzimmer“ zeitweise von bis zu 30 Kindern besucht wird.
Ziel des Projekts ist es daher, mehr Freiwillige zu gewinnen, um die Unterrichtsstunden täglich anbieten zu können. Damit wäre das Angebot für Eltern besser planbar und würde Kindern eine klare Tagesstruktur bieten. Unsere Zweifel daran, dass hier jede:r Freiwillige mit Deutschkenntnissen und dem entsprechenden Führungszeugnis unterrichten kann, lösen sich schnell auf: Wie Petermann betont, gehe es beim „Fliegenden Klassenzimmer“ viel weniger um die Vermittlung komplexer Inhalte als die Kinder zum Lernen zu motivieren, ihnen Hilfsmittel zur Alltagsverständigung zu geben und schlicht eine Beschäftigung zu bieten.
Das zweite Projekt, das wir besuchen, ist das Mutter-Kind-Haus („MuKi“): ein Schutzraum speziell für Frauen und ihre Kinder, den Männer nicht betreten dürfen. Frauen bilden unter den Geflüchteten eine besonders vulnerable Gruppe, da sie im Vergleich zu Männern häufiger Opfer von Zwangsprostitution oder Menschenhandel geworden sind. Täglich wird den Teilnehmenden hier eine Stunde Deutschunterricht angeboten, eine weitere Stunde verbringen sie mit verschiedenen kreativen Beschäftigungen.
Als wir das „MuKi“ betreten, haben sich bereits 15 Frauen und Mädchen in einem Kreis zusammengefunden und bewegen sich zu instrumentalen Klängen. Eine freiwillige Studentin der SRH leitet an diesem Tag eine Musiktherapie an und lädt uns sofort zum Mittanzen ein. Die positive, offene Stimmung im Raum berührt uns: Man kann spüren, wie gut den Frauen diese zwei Stunden der Beschäftigung und des Zusammenseins tun – trotz der unterschiedlichen Sprachen. Auch nach dem Rückweg in die Stadt begleitet uns dieses Gefühl noch lange.
Uns wird bewusst: Auch, wenn wir als Studierende kaum Einfluss auf die Asylpolitik an Europas Außengrenzen nehmen können, haben wir zumindest die Möglichkeit, lokale Ankunftszentren durch ehrenamtliches Engagement mitzugestalten.
Von Solveig Harder und Kimana Schmidt
...studiert Mathematik im Bachelor und schreibt seit Mai 2023 für den ruprecht. Sie widmet sich besonders gerne gesellschaftlichen Themen, die für Studierende relevant sind.