Wie viele kulturelle Identitäten passen in ein Leben? Mehrfache Staatsbürgerschaften betreffen auch Studierende, deren Leben sich häufig in verschiedenen Ländern und Kulturen abspielen
Ein Cocktail aus Sprachen, Kulturen und dadurch definierten Identitäten: Dass an einer Universität mit vorauseilendem Ruf auch viele Studierende mit internationalen Staatsbürgerschaften ihr Glück suchen, scheint selbstverständlich, so auch an der Uni Heidelberg.
Spannend wird es, wenn Studierende mehrere davon in sich vereinen. Im besten Fall mit einem Zugehörigkeitsgefühl ausgestattet, wird jede:r Normalsterbliche unserer Zeit als Staatsbürger:in geboren. Man lebt als Staatsbürger:in, stirbt als Staatsbürger:in. Was dazwischen geschieht, hängt ganz von der jeweiligen Staatsangehörigkeit ab, denn jede Form selbiger erzeugt auch entscheidende Differenzen: Was in einem Staat erlaubt ist, kann im anderen verboten sein. Dies mag manche:r Schicksal nennen, andere deklarieren das Konzept als konfliktschaffendes Ungerechtigkeitszeugnis.
In Deutschland leben derzeit rund 4,3 Millionen Menschen mit zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten. Der Grundvertrag zwischen Staat und Individuum bringt neben den offensichtlich miteinhergehenden Rechten und Pflichten vor allem auch einen politisch-symbolischen Charakter und eine einflussreiche identitätsstiftende Funktion. Wie funktioniert das, wenn ein Mensch mehrere Beziehungen gleichzeitig einhält; in einem Land studiert und dabei aber versucht, beide Identitäten zu wahren oder miteinander zu vereinbaren?
Zwar will der deutsche Staat die Mehrstaatigkeit grundsätzlich vermeiden, eine maximale Zahl möglicher Staatsangehörigkeiten gibt es laut dem Bundesinnenministerium aktuell jedoch nicht. Geht man nach einer für diesen Artikel durchgeführten Umfrage unter Studierenden, geben fast alle Beteiligten an, ihre doppelte Staatsbürgerschaft nicht abgeben zu wollen. Manche Studierende wünschen sich eine Aufgabe höchstens aufgrund eines ausstehenden militärischen Wehrdienstes. Einige Staaten sehen jedoch gar keine Ausbürgerung vor: Die syrische Staatsbürgerschaft beispielsweise kann auch bei Wunsch nicht abgelegt werden.
Einschüchternd wirken kann zudem folgendes: Sollte man von den Behörden des Zweitstaates an der Ausreise aus ihrem Hoheitsgebiet gehindert werden, weist das Bundesverwaltungsamt auf möglicherweise eingeschränkte konsularische Betreuung hin. Trotzdem hält dies die Befragten laut eigener Angaben nicht vom Heimatbesuch ab. Ganz in diesem Sinne sehen viele dort sogar einen Zufluchtsort, sollte Europa ein unsicherer Ort werden.
Den einen entscheidenden Vorteil erkennen die meisten jedoch in der ermöglichten politischen Partizipation im Zweitstaat. Wo bei manchen noch die offensichtlichen Vorteile hinsichtlich der Sprachkenntnisse und dem erweiterten kulturellen Horizont hinzukommen, erwähnen andere eine Angsthaltung. Sie verstecken ihre Mehrstaatigkeit gerade hinsichtlich der Sprache und erkennbaren kulturellen Traditionen, um nicht als Nichtdeutsche abgestempelt mit Vorurteilen kämpfen zu müssen.
Zwei kulturelle Identitäten in einem Leben kombinieren zu wollen, stellt viele Studierende der durchgeführten Umfrage also vor praktische Herausforderungen und Konfliktsituationen.
Die Studentin Ayeneh erzählt dem ruprecht, sie müsse bei der Verlängerung ihres iranischen Passes auf den dafür benutzten Passbildern Kopftuch tragen. Normalerweise trägt sie keines. Zudem hat sie im Iran einen anderen Vor- und Nachnamen als in Deutschland. Hier ist sie nicht sicher, ob das so rechtmäßig ist und erklärt, dass es sich anfühle, als habe sie auch offiziell zwei getrennte Identitäten.
Levi berichtet von gnadenlos langen Wartezeiten und auffällig chaotischen Verhältnissen auf Ämtern und Konsulaten, zu denen immer wieder terminlos angereist werden muss. Mika verbringt jährlich November bis April in Namibia und April bis November in Deutschland: „Momentan habe ich zwei Leben und pro Jahr für jedes nur ein halbes Jahr Zeit!“. Andererseits sagt er, dass er väterlicherseits in der vierten Generation Doppelbürger sei. Es scheint also doch zu funktionieren.
Auch so ist wohl klar: Man kann in einem Leben in zwei Ländern zuhause sein. Dabei auch in beiden als rechtlich wertvolle:r Bürger:in zu gelten, ist nur einigen vorbehalten. Eine doppelte oder mehrfache Staatsbürgerschaft lässt jedoch darauf hoffen, nicht in dieser Dualität hinterfragt zu werden.
Von Anneliese Heindel
Anneliese Heindel studiert offiziell Jura und versucht sich an Ethnologie. Beim ruprecht steht sie für presserechtliche Fragen zur Verfügung und schreibt seit Herbst 2022 über alles Faszinierende und was sie sonst so loswerden möchte.