Das Heidelberger IGEM-Team will Mischplastik recyclen. Wir haben mit drei Studierenden gesprochen, die dafür neben der Uni Bakterien genetisch verändern.
Wir sitzen auf teuren, roten Designer-Ledercouches im modernen Bioquant-Gebäude. Das große Labor des IGEM Teams Heidelberg mit Arbeitsplätzen für circa 20 Leute ist nur wenige Meter entfernt. Drei der 16 Teammitglieder haben sich an einem Freitagnachmittag während der Klausurenphase für uns Zeit genommen, um über ihre Teilnahme am internationalen Forschungswettbewerb IGEM zu sprechen.
IGEM steht nicht etwa für ein neues Apple-Produkt, sondern bedeutet: “international genetically engineered machine”. Der Wettbewerb ist für Schüler:innen und Studierende konzipiert und wurde ursprünglich vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) ins Leben gerufen. Hierbei sollen mit Hilfe von genetisch veränderten Lebewesen innovative Wege gefunden werden, um aktuelle Probleme zu lösen.
Yaxin, die vor allem für Laborarbeit zuständig ist, erklärt uns das diesjährige Projekt des Heidelberger Teams. Plastikabbauende Bakterien sollen genutzt werden, um Mischplastik, welches vor allem in Lebensmittelverpackungen üblich ist, zu zersetzen. Mit der Energie, die durch diesen Abbau frei wird, sollen die Bakterien dann verschiedene Stoffe herstellen können. Benjamin, der sich vor allem den Computersimulationen widmet, merkt an: „Die Schwierigkeit ist aber, das überhaupt erst zu trennen, und deswegen ist es so wichtig, dass man verschiedene Plastiksorten abbauen kann.“
Doch selbst in Deutschland kommt es trotz riesiger Sortieranlagen zu Problemen: Schwarzes Plastik kann beispielsweise von Infrarot-Scannern nicht erkannt werden. Während PET, das häufig in Flaschen zu finden ist, direkt recycelt werden kann, ist der Weg für Mischplastik schwieriger. Um die hohen Recyclingkosten zu vermeiden, wird dieses oft exportiert, was in den Statistiken dennoch unter Recycling fällt. In Ländern ohne Infrastruktur zur Mülltrennung wird der Abbau vor Ort noch wichtiger, und genau da will das Heidelberger Team ansetzen.
Yaxin erzählt uns: “Die Bakterien die wir ausgesucht haben, heißen pseudomonas fluorescens.” Jakob, der neben der Arbeit im Labor auch programmiert, führt fort „Sie können eine ganze Menge Plastik selber – also von Natur aus – essen, das hat man schon in verschiedenen Publikationen gezeigt. Das sind zum Beispiel Polyethylen, Polypropylen, Polystyrol und Polyurethan. Mit diesen vier Plastikarten können die Bakterien gut klarkommen, allerdings nicht besonders effizient. Wir reden da von 20% Abbau in 80 Tagen zum Beispiel. Es ist also sehr sehr sehr langsam.“ Die meisten Publikationen fokussieren sich außerdem auf einzelne Plastikarten. Um Mischplastik zersetzen zu können benötigt man also verschiedene Bakterienstämme, die zusammen leben und zersetzen. Diese Symbiose zwischen den Pseudomonas fluorescens Bakterien herzustellen ist eine der größten Herausforderungen des Teams. Sollte das gelingen, erhofft sich Jakob: „Anstatt, dass man jedes Mal ‘nen Strang neu modifiziert, ist die Idee quasi, dass man am Ende wie so eine Art Katalog hat und sich die passenden Stränge raussucht, die das machen, was man möchte, und die dann zusammen schmeißt.“ Da viele innovative Recycling-Ideen immer wieder an den Kosten scheitern, spricht Benjamin von der simplen Vorstellung des Teams: „Joghurtbecher vorne rein, beliebiges rekombinantes Produkt raus“. Die hochwertigen Proteine, die durch genetisch veränderten Bakterien gebildet werden können, sind nämlich hervorragend geeignet, um einen Teil der Kosten des Müllabbaus zu decken.
Benjamin erzählt uns, dass das IGEM-Team auch in der Kategorie Nachhaltigkeit antritt, denn beim Wettbewerb geht es nicht nur um wissenschaftliche Ergebnisse. Die Projekte beginnen bereits damit, dass alle Teams sich selbst um die Finanzierung kümmern müssen. Von 15.000 € vom Stura über Sachspenden von Chemieunternehmen bis hin zu großen Sponsoren – die Präsentation der Idee ist essentiell, um die Mittel zu bekommen, diese auch in die Tat umsetzen zu können. Dem Heidelberger Team steht dieses Jahr vergleichsweise viel Geld zur Verfügung. Im späteren Verlauf des Projekts kommen dann auch Aufgaben wie das Erstellen einer Website, Präsenz in sozialen Netzwerken und Design hinzu. Durch die Vielfalt der Tätigkeiten übernehmen die meisten Mitglieder mehrere Aufgaben. Der damit einhergehende Zeitaufwand ist dementsprechend hoch. „Es ist schon ein Nebenjob vom Arbeitsaufwand, den man da reinsteckt“, denkt auch Jakob, denn der gesamte Wettbewerb läuft ehrenamtlich. Zwar können die Teilnehmer:innen wertvolle Erfahrungen in-und außerhalb des Labors sammeln, doch für viele ist die Teilnahme am Wettbewerb finanziell und zeitlich dadurch nicht möglich oder erschwert.
Um zumindest exemplarisch zu zeigen, wie schwierig die Mülltrennung ist, wird auch versucht, den Weg des Abfalls mit Trackern zu verfolgen. „Und wenn es gut läuft, schaffen wir es, damit eben eine Debatte anzustoßen“, hofft Benjamin. Denn während jede neue Forschung zu müllzersetzenden Bakterien Anlass zur Hoffnung bietet, steht Recycling oft vor finanziellen und systemischen Hürden. Insbesondere die Produktion hochwertiger Stoffe in den Pseudomonas-Bakterien des diesjährigen IGEM-Teams könnte dabei helfen, dass sich Plastikabbau bezahlt macht.
Von Heinrike Gilles und Bastian Mucha
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.
...studiert molekulare Biotechnologie und ist seit dem Sommersemester 2023 beim ruprecht. Meistens schreibt sie wissenschaftliche Artikel oder über das studentische Leben. Seit November 2023 kümmert sie sich außerdem um die Website und den Instagram-Kanal des ruprecht.