Über ein Jahr ist es her, dass im Iran eine Revolution für die Freiheit begonnen hat. Der Aktivist Bonyad Bastanfar erzählt, was sich in der Zwischenzeit getan hat.
ruprecht: Du warst bis vor Kurzem Teil von Be Our Voice Rhein-Neckar. Die Gruppe hat sich mittlerweile aufgelöst und du leitest jetzt Hamseda Together. Wie kam es zu dem Umbruch?
Bonyad: Meinungsverschiedenheiten spielen immer eine Rolle. Ich glaube, im Aktivismus ist es nie normal, dass man immer einer Meinung ist und irgendwann kommt der Punkt, an dem man sagt, wir gehen in zwei verschiedene Richtungen. Ich habe für mich klar entschieden, dass meine Zielgruppe die Zielgruppe die junge Generation. Vor allem geht es aber auch um Aufklärungsarbeit, die Migrationskinder wie uns schützt. Diese Arbeit ist sehr sensibel und man muss sehr vorsichtig mit dem Ganzen umgehen. Deswegen auch der Umbruch und der neue Name. Hamseda bedeutet „eine Stimme sein“ und Together bedeutet „zusammen“. Es geht um diese bewundernswerte Einheit, die in der jungen Generation, auch außerhalb des Irans, existiert. Alle gehen in dieselbe aktivistische Richtung, alle wissen, was das Ziel ist und spielen mit. Die Form der Revolution im Iran ändert sich. Demonstrationen dienen hauptsächlich dazu, Forderungen zu stellen und Awareness zu schaffen. Mittlerweile wissen auch die allermeisten hier, was los ist. Jetzt ist der klare Punkt für Bildungsarbeit, auch an gezielten Terminen wie am Weltfrauentag. Das kurdische „Jin, Jiyan, Azadi“ – auf Deutsch „Frau, Leben, Freiheit“ – kennt keine Grenzen. Der Gedanke gilt für den Nahostkonflikt, aber genauso für unseren Rechtsruck in Deutschland. Denn es beinhaltet genau die drei Worte, die jetzt wieder in Gefahr sind.
In welchen Punkten gab es bei Be Our Voice Meinungsverschiedenheiten?
Es ging viel um die Umsetzung. Man war sich in vielen Punkten nicht einig. Natürlich hat auch die Tatsache, dass die Islamische Republik ihre Leute in Deutschland eingesetzt hat, eine sehr große Rolle gespielt. Die sind auf Demos vor Ort und sorgen für Stress und Spaltungen und liefern Informationen über die Demonstranten an die iranische Regierung. Zurzeit ist auch jemand aus dem Rhein-Neckar-Kreis betroffen: Reza Shari hat einen Kosmetikladen in Mannheim, ist vor drei Monaten in den Iran gereist, wurde dort festgenommen und hat jetzt eine Gerichtsverhandlung. Er wurde im Iran als einer der wichtigsten Aktivisten dieser Bewegung dargestellt, was er absolut nicht war. Er war einfach ein normaler Protestant. Er hat Flyer verteilt und mobilisiert, aber das war´s dann auch. Jetzt kriegt er wahrscheinlich eine Gefängnisstrafe. Da ist eben die Frage, sollte man gerade wirklich in den Iran reisen? Das muss jeder für sich selbst reflektieren. Einige andere Aktivistenfreunde und ich haben neulich Witze darüber gemacht, dass, wenn wir die Treppen vom Flugzeug im Iran runtersteigen würden, wir die zum Galgen direkt wieder hochsteigen würden. Wir Aktivisten kriegen ja auch Drohbriefe von der iranischen Regierung. Wenn ich von mentalem Druck spreche, ist es nicht nur der von den schlimmen Nachrichten, sondern auch der Druck, der auf uns und unsere Familien ausgeübt wird.
Was hat sich ein Jahr später verändert?
In der iranischen Diaspora herrscht eine Einheit wie nie zuvor. In Heidelberg gibt es mehr Bewusstsein. Man hat endlich verstanden, dass Feminismus kein Weltwunder des Westens ist. Während wir in Deutschland mit Schulungen versuchen, über Inklusion und Gleichberechtigung aufzuklären, ist das im Iran alles durch Unterdrückung entstanden. Solange in einem Land Frauen unterdrückt sind, wird das Land nie frei sein. Und generell wird jetzt zwischen dem iranischen Volk und der iranischen Regierung differenziert. Sobald ich sage, dass ich Iraner bin, werde ich nicht mehr mit einer Atombombe verbunden, sondern mit „Frau, Leben, Freiheit“.
Wie war die Stimmung in Heidelberg?
Heidelberg gehörte definitiv zu den progressiveren Städten, die das meiste rausgeholt haben, was ging. Ich sehe in dieser Universitätsstadt Menschen, die bereit sind, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wir haben im Rhein-Neckar-Kreis versucht, bei den Demos immer etwas Besonderes miteinzubringen. Bei der Stadtbücherei haben wir deutschlandweit den ersten Jhina-Mahsa-Amini-Baum gepflanzt, der zum Ruheort vieler Iraner:innen wurde. Oder auch die Schlossbeleuchtung durch den Heidelberger Literaturherbst. In den ersten Tagen der Revolution konnten die Iraner keine Flyer verteilen und haben stattdessen Schokolade verteilt, um im Verpackungspapier Informationen zu Demos zu verbreiten. Bei dieser Aktion haben wir mitgemacht. Wir haben uns am Bismarcklatz hingestellt und Schokolade an die Leute verteilt. Im Papier stand: „Im Iran wird Schokolade verteilt, um auf die Straße zu gehen. Versüßen Sie uns den Tag und schließen Sie sich uns an.“ Und dann kamen über tausend Menschen.
Vor allem der Literaturherbst hat uns viele Freiheiten für die Aufklärungsarbeit gegeben. In Universitätsstädten darf man diese Bildungsveranstaltungen fördern nicht blockieren. Die Kultur in Heidelberg muss so etwas unterstützen.
Warum geht die EU nicht stärker gegen die iranische Regierung vor, indem die Islamische Revolutionsgarde auf die Terrorliste gesetzt wird?
Ich glaube, dass eine gewisse Angst vor der Ungewissheit des Danachs besteht. Aber auch, dass man im Westen seine Vorteile verliert. Wir müssen in einer Zeit, in der die Globalisierung wirtschaftlich so vorangeschritten ist, über eine interkulturelle Globalisierung sprechen. Dazu gehört eben auch, dass man reflektiert, was die eigenen Vorteile aus einem Konflikt sind. Der Iran ist zentral im mittleren Osten. Durch eine Demokratisierung gäbe es die Möglichkeit, dass afghanische, syrische und libysche Geflüchtete nicht mehr nach Deutschland kommen müssten. Wir hätten die Möglichkeit, dass der Ölpreis sinkt, bis wir vollständig klimaneutral sein können. Zeitgleich werden wir unabhängiger von Russland, denn der Iran hat enorm viel Gas. Das sind alles Aspekte, die für Deutschland eine enorm große Rolle in der Migrations-, Klima- und Wirtschaftspolitik spielen.
Ich habe auf einer unserer Veranstaltungen am Tag der Menschenrechte letztes Jahr klar gesagt: Wenn die Islamische Revolutionsgarde [auf Englisch „Islamic Revolutionary Guard Corps“ und abgekürzt „IRGC“] nicht auf die Terrorliste kommt, wird ihr erstes Ziel Israel sein. Was ist passiert? Die USA haben sechs Milliarden Dollar frei gegeben und die sind zwar noch nicht beim Iran, aber die Regierung hat fest mit dem Geld gerechnet und konnte die Hamas sponsern. Die Gelder wurden mittlerweile eingefroren, aber absolut zu spät. Es gibt keinen Gesetzestext, der besagt, dass du eine staatliche Armee nicht auf die Terrorliste setzen darfst.
Was kommt danach? Eine langfristige Demokratie?
Die Mullahs im Iran sind unberechenbar, aber sie sind viel schwächer als wir denken. Die Wurzel dieses Regimes ist die Revolutionsgarde. Wenn die verrottet, dann kann der Stamm nicht mehr existieren. Dann hätten die Mullahs auch keine Macht mehr. Ein großer Teil der iranischen Bevölkerung besteht aus aufgeklärten und gebildeten jungen Leuten. Diese Leute brauchen keine Menschen aus dem Ausland, um eine demokratische Regierung zu bilden. Die sind aufgeklärter als wir. Als ich angefangen habe mit Aktivismus, hat mir eine Mentorin eines gesagt: Je unterdrückter ein Volk ist, umso mehr setzt es sich mit Demokratie auseinander, und umso größer ist das Verständnis. Wenn die Demokratie im Höhepunkt ist, radikalisiert die Bevölkerung sich wieder“ – Beispiel Deutschland. Die iranischen Menschen sind scharf darauf, demokratisch zu werden. Sie werden nicht nochmal auf Kommunismus, auf Monarchie oder auf Islamismus reinfallen. Die Zeiten sind vorbei. Die Menschen sind viel zu reflektiert dafür. Meine persönliche Lösung für den Iran ist ein föderales System. Denn wenn es so ein System nicht gibt, wird man es auch nie schaffen, dass alle Stimmen gehört werden und im Parlament repräsentiert sind. Durch die Gewaltenteilung, die dann entstehen würde, könnte es auch nicht zum Regierungssturz kommen. Mit den vielen ethnischen Gruppen ist der Iran perfekt für ein solches System aufgebaut. Wir müssen uns im Westen an die Nase fassen und von dem rassistischen Gedanken wegkommen, dass Menschen nicht verstehen, was eine Demokratie ist, nur, weil sie sie nie gesehen haben. Denn die Menschen verstehen es absolut. Sie wollen frei sein, ihre Meinung äußern und selbstbestimmt leben können.
Ihr wart auch beim Christopher Street Day in Köln vertreten.
Ja, genau. Ich habe im Iran ein schwules Paar kennengelernt, das dort letztes Jahr zusammen auf die Straße gegangen ist. Bei einer Demo wurde einer der beiden festgenommen. Er wurde so lange misshandelt und vergewaltigt, bis er tot war. Seine Leiche wurde vor die Haustür des Freundes gelegt. Dieser hat sich dann geschworen, weiterzumachen, selbst wenn er dafür ermordet wird. Er hat mich kontaktiert und gefordert, dass wir die queere Szene in Deutschland dafür nutzen, um auf dem CSD mit einem Wagen ein Statement für die iranische Community zu setzen. Auf einmal haben wir so viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, wie noch nie. Unter dem Slogan „Queer, Trans, Azadi“ ist das Ganze viral gegangen, auch andere Städte haben sich bei ihren CSDs beteiligt. Das war sehr emotional für uns alle. Nächstes Jahr werden wir auf jeden Fall wieder dabei sein.
Wie kam es dazu, dass du mit diesem Aktivismus angefangen hast?
Eigentlich setze ich mich hauptsächlich für LGBTQ-Rechte und gegen antimuslimischen Rassismus ein. Am Anfang wollte ich mich nicht für den Iran positionieren, weil ich immer dachte, es gibt andere Leute, die das besser machen können. Bei der allerersten Demo in Heidelberg letztes Jahr hat mein Vater mich vorgeschubst und meinte: „So, jetzt redest du mal“. Da hat es für mich angefangen.
Wie geht es jetzt weiter?
Ich erhoffe mir von den Studierenden, dass sie sich mehr in das Thema einlesen und reflektieren. In einer Zeit, in der die Gefahr, nach rechts zu rücken, so hoch ist, ist Aufmerksamkeit so wichtig wie noch nie. Denn ehrlich gesagt möchte ich später nicht zu der Generation gehören, die dann sagt: „Wir wussten nicht, was passiert“.
Der Iran hat absolut das Potential für einen modernen Staat. Jetzt ist eben die Frage: Wer springt mit ins Boot und unterstützt das, und wer bleibt draußen und versucht, das Boot zum Sinken zu bringen? Der Westen hat es nicht einmal hingekriegt, die Revolution beim Namen zu nennen. Es heißt immer „die Aufstände“ oder „die Proteste“. Die Aufgabe der iranischen Aktivisten ist es, weiter Aufmerksamkeit zu schaffen. Wenn die Leute nicht hinschauen, fehlt der Druck.
Was für uns ein großer Erfolg ist, ist, dass die Medien jetzt beim Nahostkonflikt von alleine über den Iran berichtet haben. Davor mussten wir dafür kämpfen. So hätte es von Tag eins sein müssen. Es freut mich zwar, dass das IRGC-Thema gerade größer wird, aber gleichzeitig enttäuscht es mich auch, weil dieselben Petitionen und Forderungen, die wir letztes Jahr gestellt haben, vorher kaum Aufmerksamkeit bekommen haben.
Für Hamseda Together geht es mit Kollaborationen weiter. Wir sind Teil des Woman, Life, Freedom Netzwerkes. Wir sind Teil eines riesigen Netzwerkes für Menschenrechte allgemein. Wir sind Teil eines Netzwerkes der Iran Diaspora weltweit. Im Vordergrund steht die Bildungsarbeit. Über den Literaturherbst haben wir jetzt den Kanal „Stimmen für die Freiheit“, wo wir über die verschiedenen Erlebnisse der Iranrevolution sprechen werden. Für mich ist es wichtig, den Menschen hier die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stellen. Wir werden am Weltfrauentag auch deutschlandweit etwas in Präsenz machen, um das Netzwerk zu zeigen und den Menschen die Angst zu nehmen. Denn Angst brauchen wir nicht haben. Die Menschen im Iran haben alles verloren, sie sind bereit, auf die Straße zu gehen und ihr Leben zu geben. Wovor haben wir dann noch Angst?
Wie geht es dir mit allem gerade?
Ich bin müde. Ich habe das Gefühl, ich stehe in einem leeren Raum, mit riesigen Betonwänden, ich schreie und niemand hört mich. Ich bin oft traurig, aber alleine fühle ich mich nicht. Denn ich habe Leute hinter mir, die mich auffangen, wenn ich nicht mehr kann.
Das Gespräch führte Ayeneh Ebtehaj
...studiert Politikwissenschaft und Anglistik. Sie schreibt seit April 2023 für den ruprecht, am liebsten über Politik, Kultur und Themen, die Studis betreffen. Bis Juli 2023 leitete sie das Ressort Studentisches Leben.
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.