Im Oktober 1913 wurde Anna Blum für ihr Engagement in der Stadt als erste weibliche Ehrenbürgerin Heidelbergs ausgezeichnet. Ihren letzten Willen ignoriert die Stadt bis heute
„Attraktive Frauen und Studentinnen! Wer hat Spaß am Massieren? Ungelernte auch gerne. Gute Verdienstmöglichkeiten, flexible Arbeitszeiten“, lockt regelmäßig der erste Eintrag unter der Kategorie ‚Stellenanzeigen‘ in der kostenfreien Printzeitung der Badischen Anzeigen Verlags-GmbH.
Die Anzeige gehört zu einer in Heidelberg ansässigen Massagepraxis. Massagepraxen wie diese und andere bordellähnliche Prostitutionsstätten besucht Anna regelmäßig.
Anna, die Fachberatung des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche Heidelberg, gibt es seit Juli 2018. Deren Mitarbeiterinnen beraten Menschen, die in Heidelberg im Bereich Prostitution tätig sind oder waren, vertraulich, kostenlos und auf Wunsch anonym. Gefördert wird die Beratungsstelle von der Stadt Heidelberg und dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg.
Benannt wurde die Beratungsstelle nach der Heidelbergerin Anna Blum, die von 1843 bis 1917 lebte. Als erste Frau wurde ihr 1913 die Heidelberger Ehrenbürgerwürde verliehen, die höchste Auszeichnung der Stadt. Der Gemeinderat vergibt sie an „Personen, die sich in hervorragender und beispielhafter Weise um ihre Mitmenschen, um das Gemeinwohl, um unsere Stadt und ihr Ansehen verdient gemacht haben“, wie es auf der Website der Stadt heißt.
Anna Blum engagierte sich vor allem für sozial benachteiligte Frauen und Kinder aus ärmeren Schichten. Sie widmete knapp 45 Jahre dem Badischen Frauenverein, wo sie als Schriftführerin der Heidelberger Zweigstelle die ehrenamtlich geleistete Frauenarbeit koordinierte, Kranke versorgte, Spenden sammelte und ein Unterrichtsangebot in Handarbeiten für schulentlassene Mädchen organisierte. Zehn Jahre vor dem Ersten Weltkrieg formierte sich ein Ausschuss unter Blums Vorsitz und traf Vorkehrungen für den Kriegsfall und Kriegskrankenpflege.
Im Kampf gegen die Tuberkulose – 1894 die häufigste Todesursache in Heidelberg – erweiterte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Arzt, Juristen, Reichstagsabgeordneten und späteren Ehrenbürger Wilhelm Blum, das Hygieneangebot durch eine kostenfreie Badeanstalt am Neckar. Das Blum’sche Bad war seit Eröffnung im Jahr 1898 an bestimmten Tagen auch für Frauen zugänglich, was vor der Jahrhundertwende keine Selbstverständlichkeit war. Um die für Frauen unvorteilhaften Öffnungszeiten zu kompensieren, spendete Anna Blum weitere 10.000 Goldmark für ein Volksfrauenbad.
Die Stadt nahm das Geld an. Eine Erweiterung des Bades ließ jedoch auf sich warten. Im Interesse der Arbeiterinnen erinnerte Blum den Stadtrat an den Zweck der Spende und forderte Einsicht in die Pläne des Tiefbauamts. Aus den Bauplänen ging hervor, dass sich die Baukosten verdoppelt hatten. Blum legte in Folge genaue Bestimmungen für das weitere Bauverfahren fest und forderte eine schriftliche Versicherung ein, dass die Bauarbeiten am Frauenbad sofort und mit größter Energie vorangetrieben würden.
Als Anreiz sicherte sie die fehlenden 10.000 Goldmark zu – unter der Bedingung, dass der Bau nicht wieder ins Stocken gerät. Gleichzeitig bestand sie darauf, dass es sich bei ihrer Stiftungsabsicht um ein Volksfrauenbad handelte; nicht um ein „Damenbad“, wie das Tiefbauamt es bis dahin genannt hatte. Durch Blums bestimmtes Auftreten wurde das Volksfrauenbad zügig eröffnet. In 35 Jahren wurde das Blum’sche Bad 300.000 Mal genutzt, bis es 1931 durch ein Hochwasser zerstört wurde. Die Stadt baute es nicht wieder auf.
Was allerdings bis heute anhält, sind Debatten im Umgang mit dem Testament der Ehrenbürgerin. Mit präzisen Anweisungen hinterließ Anna Blum der Stadt ihr Anwesen in der Theaterstraße 10 und eine Villa im Schlosswolfsbrunnenweg 6; zusätzlich 420.000 Goldmark.
Aus den Gebäuden sollte ein Alters- und ein Erholungsheim für Frauen und kranke Kinder entstehen. Nach ihrem Tod im Jahr 1917 beauftragte die Stadt einen Architekten für den Umbau; entzog jedoch 1920 die Baugenehmigung.
In einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2015 erklärte die Stadt, dass „sich das Gebäude nicht für die zugedachte Aufgabe (Altersheim für ‚alte, arme, weibliche Personen‘) eignete.“ Die Stadt nutze die Anwesen unterdessen für eine Kriegsschusterei, die Hitlerjugend und den Bund deutscher Mädel. Ab den 1950er Jahren fanden sich dort das Amt für öffentliche Ordnung, das städtische Forstamt und das Einwohnermeldeamt ein. Erst 1977 zog der Deutsche Frauenring e.V. ein, die Nachfolgeorganisation des Badischen Frauenvereins. Wegen der Erweiterung des Theaters musste dieser der Theaterverwaltung 2009 weichen; den Umzug finanzierte die Stadt.
Am 10. September 1981 gab der Gemeinderat die Auflösung der im Testament notierten Stiftungen im Heidelberger Amtsanzeiger bekannt: „Da die Stiftung weder in der Lage ist, ihrem Stiftungszweck gerecht zu werden, noch die notwendigen baulichen Instandhaltungen finanzieren kann, ist ihre Auflösung möglich. Das Vermögen der Stiftung fällt nach der Auflösung an die Stadt Heidelberg.“ Anna Blums Testament wurde nie umgesetzt.
„Obschon es nicht der Tradition entsprach“, eine Frau mit der höchsten Auszeichnung zu ehren, erklärte der damalige Oberbürgermeister Ernst Walz I. Anna Blum zur ersten Ehrenbürgerin der Stadt.
Unter zahlreichen männlichen Ehrenbürgern – darunter auch Joseph Goebbels und Adolf Hitler – dauert es mehr als fünfzig Jahre, bis die zweite Frau ausgezeichnet wurde. Erst im Mai dieses Jahres erhielt als fünfte Frau die gebürtige Heidelbergerin Königin Silvia von Schweden die Auszeichnung.
Als eine Frau von außerordentlicher Selbstbestimmung ist Anna Blum die ideale Namensvetterin für die Heidelberger Fachberatungsstelle Anna, die Menschen in ein selbstbestimmtes Leben führt.
Wo heute – zumindest in der Theorie – die Gleichberechtigung der Geschlechter als Menschenrecht im deutschen Grundgesetz verankert ist, hat Anna Blum in einer Zeit, in der Frauen politisch unmündig waren, Geschichte geschrieben: Durch soziale Verantwortung und wohltätiges Engagement erlangte sie symbolische Gleichberechtigung.
Von Daniela Rohleder
...studiert Editionswissenschaft & Textkritik im Master und ist im Herbst 2021 beim ruprecht eingestiegen. Zwischen Oktober 2022 und November 2023 leitete sie das Ressort „Studentisches Leben“. Auch thematisch widmet sie ihr Zeichenlimit gerne dem studentischen Blick auf die Umwelt – wobei sie einiges über Radiosender, Feierkultur und Elternschaft gelernt hat.
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.
...hat in Heidelberg Informatik studiert und war zwischen 2020 und 2023 Teil der ruprecht-Redaktion. Ab dem WiSe 2021 leitete er das Feuilleton und wechselte im WiSe 2022 in die Leitung des Social-Media-Ressorts. Im Oktober 2022 wurde er zudem erster Vorsitzender des ruprecht e.V. und hielt dieses Amt bis November 2023.