Ein Auslandsjahr in Großbritannien hat einiges zu bieten. Doch die finanzielle Realität kann Studierenden Schwierigkeiten bereiten.
In einem Online-Meeting des Erasmus-Büros wurde es ein paar Wochen vor Abreisedeutlich: Der Geldtopf für Erasmus-Studierende in diesem Jahr ist begrenzt. Zu begrenzt, um allen Studierenden das Geld für die gesamte Studiendauer auszuzahlen. Stattdessen sind maximal sechs Monate finanziell abgesichert. Wer länger bleiben will, muss sich die Frage stellen: „Wie finanziere ich den Rest?“ Das Erasmus-Studium – für viele ein vertrauter Zukunftsplan, aber wie genau es funktioniert, scheint nicht jedem völlig klar zu sein. Die Förderung ist kein Vollstipendium, im besten Fall decken die Gelder die Unterkunftskosten ab. Diese müssen meist für die gesamte Dauer des Aufenthalts zu Beginn bezahlt werden. Doch da die Fördermittel nun geringer ausgefallen sind, ergeben sich für einzelne Studierende teils große finanzielle Lücken. „Da fehlt jetzt halt echt was“, berichtet eine Erasmus-Studentin in Cardiff. Trotz des Stipendiums fehlen ihr fast 3000 Euro, um die Summe für ihre 40-wöchige Unterkunft abzudecken. Ihre Eltern seien deshalb großzügig eingesprungen, weswegen sie der Meinung ist, dass ein längerer Aufenthalt nur für besser Verdienende zu bewerkstelligen ist.
Ein anderer Student in Cardiff konnte hingegen fast all seine Unterkunftskosten durch ein „social top-up“ decken. Diese finanzielle Unterstützung für Erasmus-Studierende, die sozial benachteiligt sind, soll helfen, zusätzliche Kosten zu bewältigen und gleiche Chancen für alle sicherstellen. Er unterstreicht jedoch, dass sein Wohnheim weiter außerhalb liege und sein Zimmer kleiner sei. Er habe sich bewusst für diese Option entschieden. Auch gibt er zu, dass zwar kommuniziert worden sei, dass es sich nicht um ein Vollstipendium handele, er es aber ohne die Unterstützung seiner Eltern nicht geschafft hätte. Die Mehrkosten je nach Land spielten eine Rolle und man dürfe die zusätzlichen Ausgaben wie das Visum und die Küchenausstattung nicht vergessen. „Finanziell ist das alles sicherlich für Gutsituierte einfacher“, sagt er. Wer nur für drei Monate im Ausland studiert, hat Glück. Für diese kurze Zeit ist kein Visum erforderlich, und das Erasmus-Geld wird tagesgenau ausgezahlt. Und natürlich dürfen auch die unbezahlbaren Erfahrungen eines Auslandsstudiums nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden.
Wer beispielsweise in Canterbury studiert, genießt von der Universität aus täglich den Ausblick auf die herbstliche Stadt mit ihrer berühmten Kathedrale. An sonnigen Tagen laden die vielen Grünflächen rund um den Campus zum Entspannen ein. Canterbury bietet zahlreiche Möglichkeiten für Tagesausflüge, darunter die malerischen Kreidefelsen von Dover und die Küstenstädte mit ihren Stränden. Sogar Tagesreisen nach London sind möglich. Was in Canterbury jedoch vergebens gesucht wird, sind altehrwürdige Universitätsgebäude. Die Uni wurde 1962 gegründet und erinnert daher eher an eine besser finanzierte und geografisch schöner gelegene Version des Neuenheimer Felds. Der Campus bietet außerdem Wohnheimsplätze für über 5000 Studierende, das entspricht etwa 41 Prozent aller Studierenden. Im Vergleich dazu können in Heidelberg nur knapp 10 Prozent der Studierenden in Wohnheimen des Studierendenwerks unterkommen.Der britische Campus entfaltet ein besonderes soziales Umfeld: Vielfältige Bars, Essensmöglichkeiten, ein Campuskino und über 250 Societies sorgen für ein pulsierendes Campusleben, das wie aus einem Film erscheint. Doch dieser romantisierte Blick auf das britische Hochschulleben ist auch mit einem Preis verbunden. Umgerechnet zahlen britische Studierende für Unterkunft und Uni knapp 17.000 Euro pro Jahr – darunter allein 10.000 Euro Studiengebühren.
Was man für diesen Preis aus akademischer Perspektive geboten bekommt, unterscheidet sich jedoch von deutschen Verhältnissen. Jede Vorlesung dauert 50 Minuten. Es ist viel auf eigenständiges Arbeiten ausgelegt, für jede Veranstaltung werden mehrere Stunden Selbststudium empfohlen. Dennoch kommt man nicht umhin zu bemerken, dass der akademische Standard etwas geringer angesiedelt ist als in Heidelberg. Während das Vereinigte Königreich zweifellos ein attraktives Ziel für ein Auslandsstudium darstellt, veranschaulicht dieser Blick hinter die Kulissen, dass die Realität mehr als nur das romantisierte britische Uni-Leben beinhaltet.
Von Emily Burkhart
...studiert Politikwissenschaften und Soziologie an der Universität Heidelberg und schreibt seit Oktober 2022 für den ruprecht. Sie interessiert sich besonders für das aktuelle politische Geschehen, sowie für alles rund um das studentische Leben in Heidelberg.