Glühwein, Hot Aperol und rostige Nägel. Ein Weihnachtsmarktstand auf dem Heidelberger Universitätsplatz bewirbt seine Rabattaktion und fällt unserem Autor auf unangenehme Weise auf
Es ist keine Neuigkeit, dass Heidelberg zu Deutschlands beliebteren Studierendenstädten gehört. Die Wenigsten wird es überraschen, dass der Weihnachtsmarkt am Universitätsplatz mit seiner hohen Besucher:innenzahl vermutlich seinen Teil dazu beiträgt. Wo sonst ist der Weg vom Hörsaal zum Glühwein so kurz? So bestreiten täglich hunderte Studierende den Weg zum Weihnachtsmarkt durch den Haupteingang der Neuen Universität. Vor allem der Stand „IV – Heidelberger Glühgin“ hat dabei schnell die Aufmerksamkeit vieler erregt.
„Bock, eine zu nageln?“ – so der Werbetext, der eine Rabattaktion des Weihnachtsmarktstandes bewirbt. Genauer wird nach „Bock, eine (Runde) zu nageln?“ gefragt, jedoch wird die Stoßrichtung des Slogans durch das Design sehr schnell klar. Etwas weniger für den Glühwein zu zahlen, wenn man einen Nagel zur Gänze in einen Baumstumpf hämmert, ist keine neue Idee. Genauso wenig wie der sexistische Unterton, mit dem das Ganze beworben wird. Mittlerweile ist das betroffene Schild abgehängt, ein zweites, welches direkt mit Studierendenrabatt wirbt, bleibt alleine hängen. Ausgeschlossen ist also, dass sich die Standbetreiber:innen nicht bewusst waren, für wen diese Werbung vor allem sichtbar ist.
Die Schilder wurden aufgrund privater Beschwerden entfernt.
Nach Auskunft eines Mitarbeiters werde der Glühweinstand von der Weißen Flotte Heidelberg betrieben. Diese ist eigentlich eine Schifffahrtsgesellschaft im Rhein-Neckar-Kreis. Jedoch geht diese Verbindung weder aus der Website der GmbH noch aus der Selbstbeschreibung der Weihnachtsmarkthütte hervor. Auf eine Anfrage des ruprechts reagierte die Weiße Flotte nicht. Es hinterlässt so oder so einen unangenehmen Beigeschmack, sich als Standbetreiber:in nicht zu kennzeichnen und auf Kosten anderer für sich zu werben. Das Privileg, an einem der stadtbekanntesten Plätze Umsatz zu machen, sollte mit einer gewissen Verantwortung einhergehen.
Nach Auskunft der Gleichstellungsbeauftragten Heidelbergs Marie-Luise Löffler wurden besagte Plakate aufgrund privater Beschwerden an die Stadt zwar entfernt, dass es so ein Einschreiten bedarf, ist dennoch beschämend genug. So werde der Stand laut Löffler auch weiterhin vom Veranstalter des Weihnachtsmarktes beobachtet.
Zu Recht darf man sich über solchen Alltagssexismus empören: Nichts anderes fördert die Normalisierung von Diskriminierung gegenüber Frauen mehr als die Beiläufigkeit, mit der solchen Aktionen ein Platz gegeben wird. Steter Tropfen höhlt den Stein und die ständige Sexualisierung von Frauen – vor allem im öffentlichen Raum – macht Sexismus salonfähig. Darauf zu reagieren und beispielsweise das Beschwerdeformular der Stadt Heidelberg zu nutzen, ist in keiner Weise reaktionär oder übertrieben. Im Gegenteil: Es sollte in einer pluralistischen Gesellschaft selbstverständlich sein, Diskriminierung jeder Art zu problematisieren und darauf aufmerksam zu machen. Auch ein „das wird man ja noch sagen dürfen“ oder „das muss man mit Humor sehen“ darf der Zivilcourage nicht im Weg stehen. Nichts steht einem humorvollen Werbespruch im Weg und es gibt genügend, die ohne eine Objektifizierung von Frauen auskommen.
Ein Kommentar von Justus Brauer mit unterstützender Recherche von Daniela Rohleder
…hielt schon immer gerne eine Zeitung in der Hand. Seit Frühling 2023 kann er seine Begeisterung für den Journalismus beim ruprecht ausleben.
...studiert Editionswissenschaft & Textkritik im Master und ist im Herbst 2021 beim ruprecht eingestiegen. Zwischen Oktober 2022 und November 2023 leitete sie das Ressort „Studentisches Leben“. Auch thematisch widmet sie ihr Zeichenlimit gerne dem studentischen Blick auf die Umwelt – wobei sie einiges über Radiosender, Feierkultur und Elternschaft gelernt hat.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.