Die ferne Betonburg Emmertsgrund wird 50
Dass der Emmertsgrund vor 50 Jahren als bundesweiter Vorzeigestadtteil galt, würde man heute so schnell nicht mehr glauben. Wie jenes positive Image zu Stande kam, bedarf meiner Meinung nach sowieso einer Erklärung. Auf 250 Metern Höhe ein neues Viertel aufzubauen, empfinde ich in einer relativ flachen Stadt als grundsätzlich fragwürdige Idee. Dass die Atmosphäre des Viertels bereits gegen Ende der 70er Jahre als „monoton und seelenlos“ empfunden wurde, wie die Stadt Heidelberg auf ihrer Webseite schreibt, erscheint mir schon zutreffender.
Regelmäßig verspätete Busse sowie die generell schlechte Anbindung an die restliche Stadt veranlassen einen dazu, die Wohnung nie ohne Plan B zu verlassen. Von kleiner Verspätung bis zum Ausfall der Verbindung – der Mombertplatz hält kaum Überraschungen bereit. So kann man täglich gute 80 Minuten entspanntes Podcast-Hören einplanen oder doch den Text fürs Seminar zu Ende lesen. Neben Ghetto-Vibes und den typischen Nachkriegszeitbauten hat Emmertsgrund noch gelegentliche Begegnungen mit abstrusen Gestalten sowie Schreibtischstühle und Kleidungsstücke, die in umstehenden Bäumen rumhängen, zu bieten.
Parkplatzanarchie und eskalierender Sperrmüll verleihen dem Stadtteil natürlich den gewissen Extra-Charme. Mülltrennung ist ein Fremdwort und Fahrradfahren kann man bei den 250 Höhenmetern vergessen, außer man plant eine Karriere als Hochleistungssportler:in. Wer in Emmertsgrund einkaufen gehen will, kann von frischem Obst, Maiswaffeln und vegetarischen Alternativen nur träumen. Überraschenderweise ist die Rittersport Auswahl des lokalen Nahkauf sehr stabil. Es besteht immer noch die Möglichkeit zum Kaufland bei Rohrbach Süd zu pilgern. Ob es die Busfahrt wirklich wert ist, sei aber dahingestellt. Eins muss man dem Emmertsgrund jedoch lassen: Die Hochhäuser bieten einen der besten Orte in Heidelberg, um den Sonnenuntergang am Ende eines langen anstrengenden Unitages zu bestaunen. Da kommen die Höhenmeter einem doch noch gelegen.
Eine Glosse von Claire Meyers
...studiert Politikwissenschaften und Geschichte und schreibt seit anfangs des Wintersemester 2023/24 für den ruprecht. Besonders interessiert sie sich für Politik, schreibt aber auch gerne über Heidelberg oder kulturelle und gesellschaftliche Themen.
...studiert Biowissenschaften und schreibt … nichts. Er layoutet und illustriert seit 2023 für den ruprecht.