Waseem Butt engagiert sich seit 15 Jahren politisch in Heidelberg und will Studierende mehr in die Politik integrieren. Im Jahr der Kommunalwahl spricht der ruprecht mit seiner Wählerliste Heidelberg in Bewegung über Rassismus und Gemeinschaftspolitik
Herr Butt, Sie sprachen in Heidelberg am vergangenen Samstag auf einer Demonstration vor tausenden Demonstrierenden über Rechtsextremismus. Welche persönlichen Berührungspunkte haben Sie mit dem Thema?
Waseem Butt: Ich bin selbst jemand, der Rassismus erfährt. Vor 15 Jahren, als ich mit der Kommunalpolitik in Heidelberg angefangen habe, hat man mir gesagt: „Mach dir keine Sorgen, in Heidelberg ist das anders“ oder „Ach, das ist nichts“. Ich habe nie daran geglaubt und leider Recht behalten. Zwei Männer bedrohten mich vor ein paar Monaten vor meinem eigenen Laden. So hat es immer angefangen, auch in den 1920ern. Und auch andere Personen aus meiner Familie hat es getroffen: Meine Nichte ist hier aufgewachsen, war nie in Pakistan, spricht nicht mal Urdu. Ihre Muttersprache ist Deutsch. Sie sagt: „Ich bin deutsch, aber meine Freunde sagen, ich bin es nicht.“ Sie ist erst fünf Jahre alt. Der Rassismus beginnt leider schon im Kindergarten. Deswegen hat mich auch das Treffen in Brandenburg nicht überrascht, weil ich gegenüber diesen Themen anders sensibilisiert bin. Aber jetzt hat das auch die breite Gesellschaft wahrgenommen und kann es nicht mehr ignorieren. Konkret wird bei den aktuellen Protesten auch ein AfD-Verbot gefordert.
Michael Allimadi: Die Hürden für ein solches Verbot, das das Bundesverfassungsgericht aussprechen muss, sind sehr hoch. Das NPD-Verfahren hat fast vier Jahre gedauert. Man muss Material sammeln, nachweisen, dass sich die AfD gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellt. Die AfD-Leute arbeiten immer haarscharf an der Grenze des Sagbaren und verschieben diese stetig. Sie sagen etwas, das große Aufmerksamkeit erregt und bekommen kostenlos Presse und Aufmerksamkeit. Vor hundert Jahren war das ähnlich mit den Nationalsozialisten. Die Energie der Proteste der letzten Woche muss konserviert werden, um bei den Wahlen am 9. Juni die AfD abzustrafen. Nur wenn die Bürger:innen aktiv werden und zu den Urnen gehen, können wir dies schaffen.
Vincent Enders: Wichtig zu verstehen ist auch, woher die AfD ihre Wähler:innen rekrutiert. Gemäß einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung findet sich unter den AfD-Wähler:innen ein erheblich erhöhter Anteil an Arbeitslosen, Personen mit niedrigem Einkommen und generell Personen ohne Abitur. Diese Menschen fühlen sich in unserer Gesellschaft abgehängt, chancenlos und von der Politik nicht mehr wahrgenommen. Und dadurch sind sie sehr empfänglich für die simplen Parolen der AfD, die ihnen eine vermeintlich einfache Lösung durch „den Ausländer“ als Feindbild verspricht.
Wie kann man diese Menschen wieder zurückholen?
Enders: Unser Land hat gerade sehr viele Probleme. Wie kann es zum Beispiel sein, dass die Löhne in manchen Bereichen so niedrig sind, dass immer noch fast eine Million Menschen ihr Gehalt mit Hartz 4 aufstocken müssen? Dass die OECD gerade bescheinigt hat, dass in fast keinem anderen Land in Europa die schulischen Leistungen von Kindern so stark vom Einkommen der Eltern abhängen wie in Deutschland? Oder dass das Bafög-Amt so überlastet ist, dass Anträge in Teilen mehr als sechs Monate für die Bearbeitung brauchen? Ich kenne selbst Studierende aus ärmeren Familien, die deswegen beinahe ihr Studium abbrechen mussten. Alle Parteien haben hier in den letzten zehn bis zwanzig Jahren geschlafen und sollten hier dringend aufwachen und den Menschen wieder Chancen bieten. Nur dann können wir sie für die Demokratie zurückholen und die AfD besiegen.
Butt: Dies sind natürlich jetzt bundespolitische Themen. Aber auch auf kommunaler Ebene gibt es genügend zu tun. Wir als Heidelberg in Bewegung möchten insbesondere die Nichtwähler wieder zurück an die Urnen holen, indem wir Menschen aufstellen, die die gleichen Probleme wie sie haben und diese in die Politik tragen können. Wir möchten insbesondere für Chancengleichheit in Heidelberg sorgen.
Enders: Geld spielt dabei auch keine Rolle. Man muss nur das vorhandene Geld anders steuern. Einige Parteien planen ja immer noch einen Neckarufertunnel. Wenn man diese Millionen stattdessen zum Beispiel in die GGH und sozialen Wohnungsbau investiert, wäre den Menschen sehr viel mehr geholfen.
Im Juni wird der Stadtrat neu gewählt. Bringen sich Studierende ausreichend politisch ein?
Butt: Die klügsten Menschen Deutschlands kommen nach Heidelberg, hier leben 40.000 Studierende. Im Gemeinderat sitzen keine Fachleute für die Anliegen von Studierenden. Ich bin überzeugt: Wären auch nur zehn Studierende im Gemeinderat, würde man über ganz andere Themen diskutieren.
Anna-Maria Aggelakos: Wer herzieht, merkt schnell, dass Heidelberg doch nicht die Stadt ist, für die sie sich gibt: Grün, lebendig, für Studierende. Man kommt gar nicht richtig rein in die Stadtgesellschaft, sondern es wird zwischen den Studierenden und den Heidelbergern getrennt. Diese Schichten sind hart zu durchbrechen. Das liegt zum einen an der fehlenden politischen Vertretung, aber auch daran, dass es sich etabliert hat, Studierende nicht richtig aufzunehmen. Es gibt hier nur wenig Kulturangebote für junge Menschen. Hochkultur wird gefördert, aber gleichzeitig erleben wir ein Clubsterben und Sperrzeiten in der Altstadt. Das sind alles studentenunfreundliche Dinge. Kurz vor dem Studienabschluss überlegt man dann: will ich hier in meine Zukunft investieren, in eine Stadt, die mir nicht erlaubt hat, Wurzeln zu schlagen? Die meisten werden sagen: „Nein, dann geh ich halt wieder“. Das ist schade, denn dadurch engagiert man sich weniger, geht nicht in Vereine, übernimmt keine Verantwortung, interessiert sich weniger und wählt nicht.
Butt: Tatsächlich scheint es mir, als hätten die anderen Parteien sogar Angst vor den Studierenden. Sie sagen, dass es extrem schwer und anstrengend ist, in den Gemeinderat zu kommen und dann sehr viel Zeit kostet. Keine Partei erwähnt, dass man aber auch 900€ Aufwandsentschädigung bekommt, es also wie ein Nebenjob vergütet wird. Und anstrengend ist es auch nicht. Über die Hälfte der Gemeinderatsmitglieder hat in den letzten 15 Jahren keine einzige Wortmeldung gemacht. Ich glaube, dass können unsere Studierenden besser.
Was ist Ihr Résumé zur vergangenen Legislaturperiode?
Butt: Auch als Einzelstadtrat kann man viel erreichen. Bei den letzten Haushaltsverhandlungen habe ich zum Beispiel 26 Änderungsanträge eingereicht mehr als vielen anderen Parteien und bis auf zwei wurden alle angenommen. Außerdem habe ich das einzige erfolgreiche Bürgerbegehren in der Geschichte Heidelbergs in die Wege geleitet. Wir haben so die Verlegung des Ankunftszentrums für Flüchtlinge an die Autobahn verhindert. Die Grünen waren eigentlich auch dagegen und hatten dies in ihrem letzten Wahlprogramm so geschrieben. Leider war dann der Druck der Investoren zu groß und plötzlich waren sie doch für die Verlegung. Dies trotzdem zu verhindern war wohl mein größter Erfolg der letzten Legislaturperiode. Im Gemeinderat gibt es 48 Sitze, 24 davon konservativ, 24 mitte-links. Ich bin also häufig der Einzige, der entscheidet, wie eine Abstimmung ausfällt (lacht). So kann ich frei von Parteizwängen mich für das entscheiden was für Heidelberg die beste Entscheidung ist.
Das Gespräch führten Moritz Kapff und Justus Brauer
Moritz studiert Economics/Politische Ökonomik in Heidelberg. Er ist aktiv beim Netzwerk Plurale Ökonomik und schreibt in seiner Freizeit zu ökonomischen und gesellschaftlichen Themen. Seine Interessen umfassen Zentralbanken, die sozial-ökonomische Transformation und ökonomische Ideengeschichte.
…hielt schon immer gerne eine Zeitung in der Hand. Seit Frühling 2023 kann er seine Begeisterung für den Journalismus beim ruprecht ausleben.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.