Texte lesen, Räume finden, der Vorlesung folgen – Alltäglichkeiten, zu denen viele Studierende sich keine Gedanken machen, kosten ihre sehbehinderten Kommiliton:innen viel Zeit und Kraft
Barrierefreiheit: Diesen Begriff assoziieren die meisten an erster Stelle mit Rampen, breiten Türen und Aufzügen, obwohl „Barrierefreiheit“ eigentlich viel weiter zu fassen ist. Kennzeichnungen in Braille-Schrift zur Orientierung in öffentlichen Gebäuden, Bodenindikatoren oder das Anwenden von Farbkontrasten sind einige der Maßnahmen, die ebenfalls unter Barrierefreiheit zu verstehen sind.
Neben der Orientierung am Campus und in den Räumlichkeiten der Universität kann das barrierefreie Gestalten von Unterlagen der unterschiedlichen Veranstaltungen ein Hindernis darstellen. Je nach Ausmaß der Seheinschränkung kann ein hochwertiger Scan eines Textes, bei dem die Schrift vergrößert werden kann, bereits ausreichen. Ist dies nicht der Fall, ist es, nach Angaben der Universität Heidelberg, jeder betroffenen Person erlaubt, barrierefreie Kopien oder Scans von Werken zum eigenen Gebrauch herzustellen, auch ohne die Erlaubnis der Hersteller:in. Dazu wird im Multimediazentrum sowie im Scanner-Raum im 4. OG des Triplex-Lesesaals der Hauptbibliothek ein Programm zur Umwandlung von PDF-Dateien in barrierefreie Textdokumente zur Verfügung gestellt. Auch das Nutzen einer Braillezeile, die das Geschriebene auf dem Bildschirm in Brailleschrift durch bewegliche Stifte wiedergibt, ist für einige Studis eine Möglichkeit, dem Unterricht zu folgen. Digitalisierung ist somit ein Schlagwort für das Gestalten eines barrierefreien Studiums. Doch auch in Sachen Digitalisierung ist zu bedenken, dass bei der Konzeption neuer Technik oft nicht an Betroffene gedacht wird. Der Austausch von taktilen Knöpfen durch einen Touchscreen in Aufzügen und Ticketautomaten macht die Verwendung für Menschen mit Sehbehinderungen schwierig bis gar unmöglich.
Nach Angaben der Universität Heidelberg besteht das Angebot eines Nachteilsausgleich für Betroffene mit jeder Art von Einschränkung. Dieser kann den Einsatz von technischen Hilfsgeräten bei schriftlichen Prüfungen, umgewandelte Prüfungsformate oder Fristverlängerungen beinhalten. Auch ein Peer-Start für den Studieneinstieg, bei dem Studierende aus höheren Semestern, die den Studiengang, die Stadt und die Universität besser kennen, einen bei der ersten Orientierung vor Ort begleiten, ist eine Möglichkeit. Beide Unterstützungsangebote kann man beim Team Inklusives Studieren beantragen.
Die Uni bietet einem viel Freiraum bei der Entscheidung, wie viele Veranstaltungen man pro Semester besuchen will. Da Studierende mit Sehbehinderungen einen erhöhten Lese- und Nachbearbeitungsaufwand haben, ermöglicht dies Betroffenen, so viele Veranstaltungen zu besuchen, wie sie schaffen. Neben dem Studium noch zu arbeiten ist dadurch meist keine Option mehr. Das BAföG-Amt bietet Nachteilsausgleiche für beeinträchtigte Studierende an und man kann bei der Stadt Heidelberg eine Eingliederungshilfe beantragen. Wie sinnvoll das ist, ist abhängig von der persönlichen Situation des Betroffenen.
Studieren mit Behinderung bedeutet auch: Immer wieder Emails schreiben, immer wieder mit Professor:innen sprechen, immer wieder für sich einstehen müssen.
Das Schaffen eines Bewusstseins für die Breite des Begriffs Barrierefreiheit, der neben Personen im Rollstuhl auch Menschen mit jeglicher Art von Einschränkung miteinschließt, die spezifische und unterschiedliche Bedürfnisse haben, um durch ihren Alltag zu kommen, ist der Anfang einer inklusiven Gesellschaft.
Von Claire Meyers
...studiert Politikwissenschaften und Geschichte und schreibt seit anfangs des Wintersemester 2023/24 für den ruprecht. Besonders interessiert sie sich für Politik, schreibt aber auch gerne über Heidelberg oder kulturelle und gesellschaftliche Themen.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.