Viele Frauen fühlen sich nachts alleine unsicher, vor allem auf dem Heimweg. Wir begleiten eine unserer Kolleginnen sieben Tage lang nachhause
Die besten Pläne entstehen aus Schnapsideen. In der ruprecht-Redaktion ist es altbekannt, dass Mara, pfiffige Glossenautorin und begabte Kuchenbäckerin, liebend gerne spazieren geht. Am liebsten montagabends nach Sitzungsende, wenn sich der Großteil der Redaktion auf´s Fahrrad schwingt oder die Öffis nutzt. Mara jedoch läuft zu Fuß heim – zum Schrecken unserer Redakteurin Daniela. Aus Sorge um Mara begleitet sie sie nach den Sitzungen und an Layoutwochenenden regelmäßig nachhause in die Altstadt.
Aus dem Witz, dass wir einen Redaktionsschichtdienst einführen sollten, um Daniela die Sorgen von den Schultern zu nehmen, wird diese vermeintliche Schnapsidee plötzlich zu einer ernsthaften Überlegung für einen Sieben-Tage-Artikel. Da die ruprecht-Redaktion sich allerdings selten eine ganze Woche am Stück sieht, begleiten wir Mara über sieben Wochen nachhause. Mit ein wenig Überredenskunst bleibt nur eine Frage offen: Wer meldet sich für den Schichtdienst?
Für den ersten Abend erklärt sich Emilio bereit, den Weg zu Fuß mit anzutreten. Auch Bastian, Anne und ich schließen uns dem Marsch an. An der Alten Brücke trennen sich unsere Wege, doch nicht vor einem ernsten Gespräch über die Sicherheit von Frauen. Auch wenn Mara nie ein Problem damit hatte, alleine nachhause zu laufen, sind die Bedenken um ihre Sicherheit nachvollziehbar.
Am zweiten Montag wird die Protagonstin in die Mitte der begleitenden Fahrräder genommen – eine hauseigene Eskorte! Das Highlight gibt es dann nach unserer Weihnachtsfeier: Es ist kalt und nach Mitternacht. Es ist keine schwere Rechnung: Zwei Fahrräder und ein Gepäckträger. So durfte Mara in dieser Nacht sogar Kutsche fahren. „Das ist wie eine Rikscha, nur unbequemer“, ruft sie auf der holprigen Fahrt. Sie wird wohl trotzdem lieber bei ihren Spaziergängen bleiben. Ist ja auch ganz schön, wenn sich die Lichter im Wasser spiegeln und man bei gutem Wetter sogar die Sterne und den Mond sieht.
Doch wie jede andere Großstadt kann auch Heidelberg bei Mondschein ein anderes Gesicht zeigen. Ein paar harmlose Studis hier, ein paar seltsame Gestalten da. Mehr als einmal sind Daniela und Mara auf dem Weg nachhause Männergruppen begegnet, die ihnen ein unsicheres Gefühl gegeben haben.
An einem Abend werden die beiden in der Altstadt von zwei betrunkenen Männern verfolgt, bis Daniela sich umdreht und laut fragt, was sie wollen. Sie geben an, nach der Unteren zu suchen. „Wir haben ihnen kurz und knapp den Weg erklärt, woraufhin die beiden trotzdem nicht in die Richtung gegangen sind, in die ich sie geschickt habe.“
In der römischen Schildkrötenformation geht es gesammelt nachhause
Auch andere betroffene Frauen erzählen mir von ihren Erfahrungen in Heidelberg. Isabel* muss auf ihrem Nachhauseweg an einer Baustelle in Neuenheim vorbei. „Immer wenn ich dort langgelaufen bin, habe ich sehr viel Catcalling erlebt. Manchmal kam dazu, dass die Bauarbeiter, wenn ich alleine war, auf dem Weg stehen geblieben sind.“ Auch Freundinnen, die Isabel zuhause besucht haben, berichten Ähnliches.
Mia* erzählt mir, dass sie während ihrer gesamten Schulzeit abends kaum weg gewesen sei, weil der Nachhauseweg sich alleine zu gefährlich angefühlt habe. „Das war sogar ein Kriterium bei der Wohnungssuche in Heidelberg: die Freiheit, abends alleine nachhause gehen zu können und nicht erst querfeldein, an unbeleuchteten Schrebergärten oder am Bahnhof vorbei zu müssen.“
Als Sarah Everard 2021 in London auf ihrem Nachhauseweg verschwindet, erzählt Mia in ihrer Freundesgruppe davon, dass sie sich nachts häufig unsicher fühlt. Doch dafür erntet sie Unverständnis. Heute sagt sie dazu: „Ich habe mir das Angsthaben nicht ausgesucht. Ich kann Angst nicht abstellen. Und es ist nicht meine Verantwortung, keine Angst zu haben, sondern die der Gesellschaft, mir keine zu geben.“
Sarah Everard wurde es nicht gewährt, nach einem Mädelsabend nachhause zu gehen. Sie wurde auf dem Heimweg von einem Polizisten angehalten, gekidnappt, vergewaltigt und ermordet. Nach ihrem Tod geht die Whatsapp-Nachricht „Text me when you get home xx“ viral – eine Nachricht, die für uns Frauen zum Alltag unter Freundinnen gehört. Wir haben Angst um einander, wir haben Angst um unsere eigene Sicherheit.
Wir teilen unseren Standort miteinander, wir bilden eine schützende Faust um unsere Schlüssel. Denn wir wissen, dass Sarah Everard kein Einzelfall ist.
„Schreib mir, wenn du zuhause bist“, sage ich meinen Freundinnen, wenn sich unsere Wege abends trennen. Es ist längst an der Zeit, dass Frauen nicht mehr für dieses Problem verantwortlich gemacht werden. Denn es sind nicht alle Männer. Aber eben alle Frauen.
Ein Kommentar von Ayeneh Ebtehaj
*Namen von der Redaktion geändert
...studiert Politikwissenschaft und Anglistik. Sie schreibt seit April 2023 für den ruprecht, am liebsten über Politik, Kultur und Themen, die Studis betreffen. Bis Juli 2023 leitete sie das Ressort Studentisches Leben.