Das zehnjährige Jubiläum der Verfassten Studierendenschaft wird von fehlendem Engagement und chaotischen Sturasitzungen überschattet
Du hast den Stura gewählt? Glückwunsch, und tut mir leid, du gehörst zu einer Minderheit. Nicht einmal einer von fünf Studierenden hat im Juni abgestimmt. Und das ausgerechnet zum 10. Jubiläum der Verfassten Studierendenschaft (VS), das vergangene Woche in der Neuen Aula gefeiert wurde. Neben Nostalgien über eingemachte Tomaten und Plädoyers für die Demokratie wurde ein Kaktus als Geburtstagsgeschenk übergeben: Auf dass die VS ein freundlicher Stachel im Fleisch der Universität bleibe.
Doch wie stachelig kann ein Organ sein, das sich in Sitzungen fast von innen demontiert? Grundsatzdebatten, endlose Anträge, Beschimpfungen. Viele Mitglieder tauchen gar nicht zu den Sitzungen auf, regelmäßig müssen Abstimmungen wegen fehlender Anwesenheit vertagt werden. Gleichzeitig fordert die Satireliste hitzefrei. Ende Juni trat dann das Präsidium von Konflikten im Stura gesammelt zurück. Eine Woche lang war nicht sicher, ob der Stura handlungsfähig bleibt, denn ohne Präsidium kann keine Sitzung stattfinden.
Solche Ereignisse sollten ernst genommen werden, und zwar von der gesamten Studierendenschaft. Stattdessen scheint ein gepflegtes Desinteresse bei vielen zu herrschen, wie auch der Geschichtsprofessor Philipp Gassert bei seiner Geburtstagsrede auf der Jubiläumsfeier feststellt. Am Ende der Woche kandidieren nur vier Leute für das Präsidium, das mindestens zwei, maximal sechs Mitglieder hat. Zwei der Kandidierenden sind die ehemaligen Präsidenten, ein dritter war schon einmal Teil des Präsidiums. Wie soll sich bei so wenig Fluktuation etwas ändern?
Das Desinteresse der Studierendenschaft reflektiert sich nicht nur in fehlenden Kandidaturen für das Präsidium, sondern auch bei der Festtagsgesellschaft: Die neue Aula ist erschreckend leer an diesem Abend. Nur die Tabletts beim Sektempfang sind schon vor Ende der Veranstaltung abgegrast. Eine traurige Metapher: Man nimmt sich, aber sieht nicht, dass man auch zurückgeben könnte.
Klar ist: Wer etwas für sich oder andere bewegen möchte, der muss viel Zeit opfern. Zeit, die viele während des Studiums nicht aufbringen können, wie die VS auf Anfrage vermutet. Dass man laut der Vorsitzenden Carolin Roder für ein administratives Amt in der VS quasi Jura im Nebenfach studieren muss, hilft nicht gerade bei der Suche nach Nachwuchs.
Viele der Gremien suchen nach Mitgliedern, und es bleiben wichtige Themen auf der Strecke. So hat das Verkehrsreferat jahrelang unterbesetzt für die Rückerstattung des 9 Euro Tickets gekämpft. Nun zieht sich das Projekt auch deswegen, weil der damals zuständige Verkehrsreferent nicht mehr da ist.
Laut Carolin gehe viel Energie in Grundsatzdebatten über Bürokratie und Politik verloren. Dabei laufen im Hintergrund viele wichtige Projekte, wie der Notlagenzuschuss oder die kostenlose Rechtsberatung. Nun ist die Frage: Kriselt es im Stura, weil Interesse der Studierendenschaft fehlt? Oder fehlt das Interesse, weil es im Stura kriselt? Seit der Gründung des Stura stieg die Wahlbeteiligung nie über 20 Prozent. Die VS vermutet, dass das an fehlenden Kapazitäten der Studierenden liegt, aber auch an fehlender Präsenz des Themas auf dem Campus. Viele haben von der Wahl kaum etwas mitbekommen. Das müsste uns als ruprecht genauso zu denken geben wie denen, die gewählt werden wollen. Mit der Wahlbeteiligung sinkt auch die Anzahl an direkt gewählten Vertreter:innen im Stura. Zurzeit gibt es deshalb nur 15 politische Direktmandate. Zwar können auch die 60 Entsandten der Fachschaften uns vertreten, doch ist die Form der Mitbestimmung deutlich indirekter. Wer über die Sitzmöbel im Institut hinaus hochschulpolitisch etwas bewegen will, hat über die Listen die Möglichkeit dazu.
Aber auch die Diskussion in der Studierendenschaft über Stura-Themen ist wichtig, ob Marstallschließung oder die Finanzierung studentischer Projekte. Oder auch über den Stura selbst, denn mit zehn Jahren kommt dieser bald in die Pubertät, und bekanntlich passiert da eine ganze Menge. Das Tolle ist: Wir können mitentscheiden. In diesem Sinne, Happy Birthday.
Von Lena Hilf
Transparenzhinweis: Der Artikel wurde am 27.7. überarbeitet, da der Grund für den Rücktritt des Präsidiums nicht korrekt wiedergegeben wurde. Außerdem wurde der Abschnitt zu den Kandidaturen für das Präsidium hinsichtlich des genauen zeitlichen Ablaufs konkretisiert.
...studiert Physik und schreibt seit Oktober 2019 für den ruprecht. Besonders gerne widmet sie sich Glossen, die oft das alltägliche Leben sowie wissenschaftlichen oder politischen Themen. Sie leitete erst das Ressort Hochschule und später das Ressort Wissenschaft.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.