Im Interview reagiert die Fakultät für Physik auf die Initative „unbiasing physics“, die über Sticker und Instagramposts auf Diskriminierungserfahrungen in der Physik aufmerksam macht
Unbiasing physics“ bietet eine Plattform, wo sich diskriminierte Studierende gehört fühlen. Wo findet man innerhalb der Fakultät Gehör, wenn man Diskriminierung erfahren hat?
Loredana Gastaldo: Es gibt die Gleichstellungsbeauftragte, das bin ich, und die zugehörige Kommission. Uns kann man anschreiben und bekommt innerhalb weniger Tage einen Gesprächstermin. Wir arbeiten dann gemeinsam an einer Lösung.
Björn Schäfer: Auch mich als Studiendekan kann man bei Problemen ansprechen, und Studierende haben ebenfalls die Möglichkeit, unsere Fachschaft zu kontaktieren, die sich sehr engagiert.
In den ersten Semestern kommt ein:e Professor:in auf 300 Studierende. Was, wenn die Hemmung zu groß ist, um mit Dozierenden zu sprechen?
Gastaldo: Ich hätte im ersten Semester auch Angst gehabt, zu meinem Professor zu gehen. Ich verstehe, dass „unbiasing physics“ den Anschein hat, alles leichter zu machen, ermöglicht aber keine konkrete Hilfe.
Für mich haben die Sticker die Aufmerksamkeit vor allem darauf gelenkt, dass in den Augen der Beteiligten adäquate Ansprechpartner fehlen. Das heißt nicht, dass es die nicht gibt. Wir, also die Gleichstellungskommission, die Fachschaft und der Studiendekan sind ja da! Aber vielleicht fehlt dennoch jemand, mit dem die Studierenden auf Augenhöhe reden können.
Schäfer: Ich habe schon vermutet, dass es eine Hierarchie-Hemmschwelle gibt. Deshalb versuche ich, gezielt mit Studierenden ins Gespräch zu kommen. Fakultätsübergreifend gibt es auch das Unify-Büro, und im neuen Konzept kommen Vertrauenslots:innen dazu. Diese Personen, einschließlich studentischer Lots:innen, werden auf allen Ebenen als niederschwelliger Kontakt dienen und zu den richtigen Stellen innerhalb oder außerhalb der Fakultät weiterleiten.
Diskriminierung kann unterschwellig stattfinden. Vielen ist nicht klar, welche Vorfälle man der Fakultät mitteilen sollte. Könnte man darüber gezielter aufklären?
Gastaldo: Im Moment werde ich drei bis vier Mal pro Jahr kontaktiert; diese Anfragen begleite ich mit Herz bis zum Ende. Wenn wir dazu ermuntern, uns zu kontaktieren, brauchen wir mehr Zuständige. Intern stimmen wir uns schon jetzt ab und tauschen uns über unsere Arbeit aus.
Schäfer: Die Senatsleitlinien zu partnerschaftlichem Verhalten definieren eine akademische Gemeinschaft als Ideal, das wir schützen möchten. Wir sind aktiv dabei, einmal pro Semester Sprecher:innen zu einem Gleichstellungsthema einzuladen, und mindestens einmal im Jahr gibt es Workshops zu spezifischen Themen, die von der Studierendenschaft oder von Fakultätsmitgliedern gewünscht werden.
In Tutorien mit überwiegend männlichen Teilnehmern beobachtet man, dass viele sich scheuen, Fragen zu stellen. Wie könnte man Tutor:innen für die Förderung der Gruppendynamik sensibilisieren?
Gastaldo: Diese Beobachtung kenne ich. Die Studierenden sollten keine Angst haben zu sagen, dass sie etwas nicht verstehen. In 99 Prozent der Fälle hat der Mann, der neben euch sitzt, das auch nicht verstanden, auch wenn er vielleicht so wirkt. Wir können allen Dozierenden empfehlen, in den Tutor:innenbesprechungen die Grundlagen respektvoller Zusammenarbeit durchzunehmen. Und ab dem Wintersemester sollte mit allen Erstsemestlern ein bis zwei Stunden lang über respektvollen Umgang gesprochen werden.
Studierende orientieren sich in ihrer Ausbildung auch an möglichen Vorbildern. Doch es gibt unter den 45 Professuren zurzeit nur 13,2 Prozent Frauen.
Schäfer: Wir haben ein bis zwei Neuberufungen jährlich. Damit sich die Geschlechteranteile im Kollegium substanziell ändern, braucht es etwa 30 Jahre. Wir befinden uns in einer transformativen Phase, in der Gleichstellung Chefsache ist. Die Gleichstellungsbeauftragte ist in jedem Berufungsverfahren mit dabei und im Vorfeld sprechen wir aktiv geeignete Kandidatinnen an.
Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren damit erfolgreich waren: Am Zentrum für Astronomie sind schon ein Drittel aller Professuren durch Frauen besetzt, was auch den höheren Frauenanteil bei den Studierenden und Doktorierenden in der Astronomie widerspiegelt. Auch konnten viele Institute der Fakultät schon Bewerbungsverfahren abschließen, aus denen eine Professorin hervorging; wir sind also auf einem guten Weg.
Unter den Studierenden lag der Frauenanteil 2022 bei 26,9 Prozent.
Schäfer: Ja, das stimmt und wir sind uns dessen sehr bewusst. Gleichstellung ist eine Generationenaufgabe und wir gewinnen jedes Jahr ein Prozent dazu, was sehr erfreulich ist. Dazu tragen auch Formate wie der Girls’ Day, Förderung von Schülerinnen in MINT-Fächern oder die Arbeit des Haus der Astronomie bei.
Auf einem Zeithorizont von 20 Jahren entwickelt sich alles gut, und damit meine ich nicht, dass wir einfach warten können. Wir müssen uns 20 Jahre lang Mühe geben und danach den Erfolg auch halten.
Gastaldo: Wir merken jetzt schon als Dozierende, dass die Frauen sich in den Übungsgruppen selbstbewusster verhalten als früher. Sie sind aktiver, und sprechen Ideen und Fragen schneller aus.
Sind Sie mit „unbiasing physics“ in Kontakt getreten?
Gastaldo: Nein, „unbiasing physics“ ist nicht auf uns zugekommen und hält sich anonym. Aber wir möchten die Thematik von fehlenden Anlaufstellen dennoch gemeinsam mit unseren Studierenden angehen und die Diskussion weiterführen: Wir sind da, lasst uns reden und eine Lösung finden.
Es ist uns bewusst, dass es ein Problem gibt. Und solange auch nur ein:e Student:in ein Problem hat, ist das für mich schon inakzeptabel.
Von Lena Hilf
Transparenzhinweis: Die Autorin ist selbst Masterstudentin an der Fakultät für Physik und Astronomie
...studiert Physik und schreibt seit Oktober 2019 für den ruprecht. Besonders gerne widmet sie sich Glossen, die oft das alltägliche Leben sowie wissenschaftlichen oder politischen Themen. Seit April 2021 leitet sie das Ressort Hochschule.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.