Wurde Ihre Straße nach Antisemit:innen benannt? Diese Frage müssen viele Heidelberger:innen mit Ja beantworten. Doch das muss nicht so bleiben
Die meisten Heidelberger Studierenden stehen zu Beginn des Studiums vor der Monumentalherausforderung der Wohnungssuche. Wenn diese endlich bewältigt wurde, ist die Erleichterung groß – doch ein Einzug in eine Straße bringt auch die Frage mit sich, nach wem jene eigentlich benannt wurde. In Fällen wie der Felix-Wankel-Straße trübt sich die originäre Einzugsekstase bereits nach kurzer Recherche: Ebenjener Wankel war – nebst innovativen Ingenieurstätigkeiten – überzeugter Antisemit, der dem Aufbau von NS-Strukturen in Baden erheblichen Vorschub leistete.Was in vielen anderen Städten zur Streitfrage verkommt, verschont auch Heidelberg nicht: Wie geht man mit öffentlichem Raum um? Welche Personen sollte die Gesellschaft durch Straßennamen rühmen – und welche nicht?Um diese Fragen kümmert sich seit 2017 eine vom Gemeinderat einberufene Kommission von Geschichtsexpert:innen. Anlass waren zivile Änderungsanträge für einzelne Straßennamen. Aus einem jahrelangen und aufwendigen Untersuchungsprozess ging im Mai letzten Jahres ein 158-seitiger Abschlussbericht hervor, der dem Gemeinderat systematisch und klar begründet eine Umbenennung von neun Heidelberger Straßen empfiehlt. In acht Fällen wird diese durch nationalsozialistische Verstrickungen der namensgebenden Personen begründet. Zusätzlich wird der Chemiker Fritz Haber, der als Leiter des Gaskampfwesens für den Einsatz von Giftgas während des Ersten Weltkriegs verantwortlich war, als Problemfall eingestuft. Frank Engehausen, Professor am Historischen Seminar und ebenfalls Teil der Kommission erklärt dem ruprecht, dass auch einige andere Namen kontrovers diskutiert wurden. Er räumt ein, dass es immer verschiedene Ansichten über das Verhalten der Personen geben könne, und man durchaus weitere Umbenennungsempfehlungen hätte aussprechen können. „Ich denke, dass es doch eine Weile gedauert hat, bis sich das Problembewusstsein geschärft hat“, so Engehausen auf die Frage, warum auch Jahrzehnte nach der NS-Diktatur noch problematische Personen im Stadtbild gewürdigt werden. Beispielsweise Ernst Rehm, der trotz seiner Mitgliedschaft in NSDAP und SS im Jahre 1994 zum Namensgeber einer Straße in Kirchheim wurde, wo er lange in Vereinen und im Gemeinderat aktiv war. Besonders sticht auch die 2014 erfolgte Betitelung einer Straße in der Bahnstadt heraus: Die aufgrund ihrer Leistungen im eher männlich geprägten Chemiesektor zur Namenspatronin auserkorene Marga Faulstich war in leitender Funktion beim „Bund Deutscher Mädel“ aktiv und somit maßgeblich daran beteiligt, das NS-Gedankengut unter den Jugendlichen zu verbreiten. Der Stadtverwaltung, die diesen Vorschlag einbrachte, könnte man zumindest vorwerfen, zu jenem Zeitpunkt nachlässig geprüft zu haben, denn Informationen über Faulstichs Lebenslauf waren längst einsehbar. Wagt man den Ausblick auf die Zukunft der neun betroffenen Straßen, so ist es fraglich, ob und wann eine Umbenennung erfolgen wird. Die Diskussionen dazu sollen sich über das ganze Jahr 2024 ziehen.„Ich hätte nicht gedacht, dass die Arbeit an unserem Bericht so viele Jahre in Anspruch nehmen würde und bin durchaus stolz auf das Ergebnis. Deshalb würde ich mich freuen, wenn in der Sache, das heißt über die Biographien der betroffenen Personen und unsere Einschätzungen, diskutiert wird. Die Frage ist, ob das passieren wird oder ob man nur mit den Kosten argumentiert“, so Engehausen. Vor allem in den Fällen der Haber- und Felix-Wankel-Straße könnte eine Umbenennung mit hohen Kosten verbunden sein. Es bleibt abzuwarten, ob das Primat der Ökonomie gebrochen und trotzdem für die Änderung entschieden wird, damit Heidelberger Bürger:innen in ihrer Adresse bald nicht mehr den Namen NS-begeisterter Antisemit:innen angeben müssen.
Von Laura Altenburg und Finn Fabry
Laura Altenburg
...studiert seit dem WiSe 2021 im Bachelor in Geschichte und Religionswissenschaft – beim ruprecht ist sie seit Studienbeginn, hat zwischendurch Hochschule mitgeleitet und ist zurzeit im Layout-Team. Bei Gelegenheit produziert sie auch Illustrationen für Artikel und schreibt am liebsten über Medien und internationale Themen.