Tara-Louise Wittwer analysiert in ihrem Buch unsere Entschuldigungskultur
Rezension:
„Sorry – Es tut mir leid – Bitte entschuldige mich“. Diese Formulierungen begegnen uns jeden Tag, fast omnipräsent ist die Erwartung der Entschuldigung im gesellschaftlichen Zusammenleben. Aber ist dann ein „Sorry, dass ich gerade nicht ans Handy gehen konnte“ genau so viel Wert wie ein „Sorry, dass ich zum siebten Mal die Küche nicht aufgeräumt habe, nachdem du mich jedes Mal darum gebeten hast?“
In ihrem am 2. Mai 2024 erschienenen Buch „Sorry, aber… Eine Verzichtserklärung an das ständige Entschuldigen“ räumt Tara-Louise Wittwer mit unserer Entschuldigungskultur auf. Wittwer ist studierte Kulturwissenschaftlerin, Autorin, Kolumnistin und Content Creatorin. Als „wastarasagt“ generiert sie in den Sozialen Medien durch beliebte Formate wie Tiktoxic oder What men made me do eine große Reichweite.
„Sorry, aber…“ ist ein Allerlei aus popkulturellen Elementen und empirischen Belegen, wodurch eine ganz neue Form feministischer, wissenschaftlicher Unterhaltungsliteratur entsteht. Durch autobiografische Anekdoten aus ihrer Kindheit und ihrem Arbeitsleben leitet Wittwer geschickt in die Thematik ein, indem sie demonstriert, wie inflationär Entschuldigungen im Alltag genutzt werden.
Um die heutige Kultur rund ums Sorry-Sagen zu verstehen, ist es aber auch notwendig, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Von der Apologie des Sokrates bis Prinzessin Dianas Beziehung zur britischen Presse macht die Autorin eines deutlich: Sorry, aber Entschuldigungen sind nicht mehr das, was sie mal waren.
Ein durch die Sozialen Medien immer mehr in Erscheinung tretendes Phänomen ist auch die „Nonpology“, die Wittwer so beschreibt: „Und wenn man dann danebenliegt mit einer Nonpology, einer Entschuldigung, die eigentlich keine ist, dann tut das so weh wie Doc Martens, die sich einfach nicht einlaufen lassen und jeden Schritt schwerer machen.“
Soll man sich also gar nicht mehr entschuldigen? Natürlich nicht, meint die Autorin. Entschuldigungen sind immer noch relevante gesellschaftliche Normen, die unser Zusammenleben regeln. Trotzdem sollte man sich nicht nur um der Entschuldigung willen entschuldigen. Also nicht nur als Schadensbegrenzung für ein beschädigtes Image, nicht nur, weil man denkt, dass es von einem erwartet wird. Nicht, wenn man es nicht ernst meint.
Dass es in Ordnung ist, diese egoistischen Entschuldigungen nicht anzunehmen, und trotzdem mit Situationen abschließen zu können, gibt Wittwer ihren Leser:innen durch einen unerwarteten Dialog mit. Ganz nach dem Motto: „Okay. I don’t forgive you.“
Man sollte sich nicht nur um der Entschuldigung willen entschuldigen
Das Buch überzeugt durch eben jene Lebenslektionen, außergewöhnliche Veranschaulichungen und den unschlagbaren Humor der Autorin. Allein durch die ungewöhnliche Komposition des Buches – von einer Widmung, die nicht an Menschen geht, über eingeschobene Interludes, die zulassen, dass die Gefühle der Autorin nachvollziehbarer sind, bis zu einer lehrreichen Danksagung – ist die Vorfreude der Leser:innen auf das nächste Kapitel stets hoch, weil man nicht weiß, was eine:n erwartet.
Obwohl Tara-Louise Wittwer selbst anfangs behauptet, Entschuldigungen seien zu komplex für ein Buch, schafft sie es innerhalb dieses einen Buches, die Entschuldigungskultur aus den verschiedensten Perspektiven zu beleuchten und neue feministische Erkenntnisse zu einer oft thematisierten Problematik zu liefern. „Sorry, aber…“ liest sich wie eine Komödie auf 180 Seiten, aus der man viel mehr mitnimmt als ein paar Lacher und ein bisschen Satire.
Von Annika Bacdorf
...studiert Politikwissenschaft und Anglistik. Seit dem Winter 2023 ist sie beim ruprecht, wo sie mal dies und mal das macht.