In Zypern bekam ein Influencer bei der EU-Wahl die meisten Stimmen. Wie Fidias es von Tiktok ins EU-Parlament geschafft hat
Viele deutsche Politiker:innen wie Olaf Scholz sind erst seit diesem Jahr auf Tiktok aktiv. Das Ziel? Einen Zugang zu jungen Wähler:innengruppen bekommen und sie politisch erreichen.
Dass dieser unkonventionelle Weg der Eigenwerbung hocheffektiv sein kann und damit reale Folgen hat, zeigt das Phänomen Fidias Panayiotou in Zypern. Eigentlich ist der 24-Jährige bekannt für kurze Challenge-Videos und Vlogs auf Social Media. Dieses Jahr kandidierte er überraschend für die Europawahl in Zypern. Dabei verheimlichte er seinen über zwei Millionen Follower:innen nicht, dass er keine Ahnung von Politik habe.
Was für viele nach einer Schnapsidee klingen mag, hat offenbar in der Bevölkerung gefruchtet: Mit 71.000 Stimmen wurde Fidias im Juni zum meistgewählten zyprischen Kandidaten gekürt. Damit hat er als unabhängiger Kandidat einen von sechs Sitzen im EU-Parlament bekommen, die Zypern zustehen. Die konservative Partei DISY kam mit ihren Kandierenden auf 24 Prozent auf Platz eins, die kommunistische Partei AKEL wurde mit 22,5 Prozent Zweite. Ähnlich wie in weiten Teilen Europas konnte die rechtsextreme Partei Zyperns ELAM mit elf Prozent ebenfalls einen Sitz im EU-Parlament sichern.
Fidias sprach nach seinem Wahlsieg von einem Wunder, dass er ohne die Unterstützung einer Partei gewählt wurde. Sein Ziel sei es gewesen, junge Menschen für Politik zu begeistern. Expert:innen glauben, dass ihm das gelungen sein könnte: Während die Wahlbeteiligung bei der letzten Europawahl 2019 noch bei 45 Prozent lag, haben dieses Jahr knapp 60 Prozent gewählt. Der Anstieg und der hohe Anteil der jungen Wähler:innenstimmen wird teilweise dem „Fidias-Faktor“ zugeschrieben, wie BBC News berichtet.
Für Elina war das kein Grund zu wählen. Die Studentin kommt ursprünglich aus Zypern. Sie glaubt, wie sie dem ruprecht erzählt, dass es bei der nächsten Wahl noch mehr Kandidierende wie Fidias geben wird, die nichts über Politik wissen. „Es ist der Start eines neuen Kapitels und ich weiß nicht, wo das hinführen wird. Andererseits wird das ‚Phänomen Fidias‘, auch dazu führen, dass wir sehen, wie die Politik überhaupt funktioniert, weil er alles auf Social Media zeigt.“
Zypern ist seit 1974 de facto geteilt, was bei Wahlen immer wieder ein zentrales Thema ist. Der griechischsprachige Teil im Süden ist 2004 der EU beigetreten, während der türkischsprachige Teil im Norden nur von der Türkei als eigenständiger Staat anerkannt wird. Auch die Migrationspolitik stand im Wahlkampf im Vordergrund.
Durch seine Lage im Mittelmeer ist Zypern eine zentrale Anlaufstelle für Geflüchtete aus umliegenden Ländern wie Syrien und dem Libanon. Erst im April hatte der zyprische Innenminister Ioannou den Krisenmodus deklariert und in einem Appell an die EU nach Hilfe gefordert.
Wie Fidias in seiner neuen Position handeln wird, bleibt abzuwarten. Auf seinen Social-Media-Kanälen macht er nun Kurzform-Inhalte zu seinem Job als Politiker. Zuletzt zeigte er, wie er sich „Politiker-Klamotten” kauft, nachdem er bei medialen Auftritten bisher legere Kleidung trug. Auch war seine Zelebrierung für einen Poltiker ungewöhnlich: Mit dem Dab brachte Fidias einige Erinnerungen an 2016 zurück.
Seinen Follower:innen sagte er im Januar, dass er noch nie gewählt habe, aber das Regieren der „Nerds in Brüssel“ satthabe. „Wenn ich lernen kann, Youtuber zu sein, dann kann ich auch lernen, ein EU-Abgeordneter zu sein.“
Von Ayeneh Ebtehaj
...studiert Politikwissenschaft und Anglistik. Sie schreibt seit April 2023 für den ruprecht, am liebsten über Politik, Kultur und Themen, die Studis betreffen. Bis Juli 2023 leitete sie das Ressort Studentisches Leben.
...studiert Biowissenschaften und schreibt … nichts. Er layoutet und illustriert seit 2023 für den ruprecht.