Während der Aufführung kann man den heiß gewordenen Staub auf den Scheinwerfern riechen und danach gibt es manchmal noch einen Teller selbstgekochte Suppe. Das von Wolfgang Graczol und seiner Frau gegründete Taeter-Theater liegt im Westen Bergheims und begeistert seine Zuschauer:innen seit 1987 mit Klassikern der Theaterbühne. Im Interview mit dem ruprecht verrät er, was es mit dem Namen auf sich hat und welche Rolle Studierende in seinem Theater spielen.
Herr Graczol, Sie sind seit über 50 Jahren Schauspieler. Was motiviert Sie nach all den Jahren noch, auf der Bühne zu stehen?
Das Theater ist meiner Meinung nach die lebendigste Kunst. Gemeinsam mit anderen Menschen etwas zu erarbeiten, das dann auf der Bühne zum Leben erwacht, dieses verdichtete Leben auf der Bühne – das ist fantastisch. Das Theater zeigt uns das Leben, bringt einen Blick auf das Leben. Mit Tschechows Stück „Die Möwe“, das wir kürzlich aufgeführt haben, haben wir diese Erfahrung ganz besonders gemacht. Die zehn Charaktere des Stücks bleiben gleich und werden doch anders – das ist hochinteressant. Mich fasziniert einfach dieses große Rätsel „Mensch“, der manchmal ein Engel ist und manchmal ein Teufel. Es sind die guten Autoren, die uns dabei helfen, dieses Rätsel zu enträtseln. So ist das Theater für mich ein Lebenselixier.
Sie sind nicht nur schon lange Schauspieler, sondern leiten das Taeter-Theater nun schon seit über 30 Jahren und sind Regisseur, Techniker und Kartenabreißer. Ist das Taeter-Theater also ihr Lebenswerk?
Das kann man so sagen. Ich möchte dabei allerdings die Rolle meiner Frau Anne Steiner-Graczol betonen, mit der das Ganze eigentlich erst wirklich begonnen hat. Ich habe Sie kennengelernt, als ich vor der Gründung des Taeter-Theaters an der städtischen Bühne in Heidelberg aktiv war. Sie war dort damals in der Requisite tätig und ich wollte sie für meine erste freie Produktion als Bühnenbildnerin gewinnen. Dabei hat es zwischen uns gefunkt und wie sich herausstellen sollte, waren das zwei gute Säulen, auf denen man dieses Werk aufbauen konnte. Sie war also von der Geburt des Theaters an dabei und ist genauso universell ausgebildet wie ich. Auch meine Frau kümmert sich um das Licht, bedient das Ton-Pult und arbeitet an der Kasse, und sie spielt natürlich auch selbst. Ich nenne sie deshalb gerne meine „gesamtkünstlerische Beraterin“. Sie war es überdies auch, die mir damals die Frage stellte, warum ich nicht selbst ein Theater aufbaue – und gut zweieinhalb Jahre später haben wir dann das Taeter-Theater gegründet.
Wer wirkt sonst noch bei Ihnen im Theater mit?
Zum Großteil Amateur-Schauspieler. Das heißt für mich, dass ich sehr oft von Null anfangen muss. Für „Die Möwe“ zum Beispiel, dem bereits erwähnten Stück von Tschechow, habe ich mit einem jungen Mann, der den Charakter Konstantin spielt, obwohl er noch nie im Theater aktiv war, lange Improvisationsübungen gemacht, damit er sich freispielen konnte. So habe ich ihn langsam und behutsam an die Rolle herangeführt, die er jetzt fabelhaft spielt.
Sie haben also den Anspruch, ein offenes Theater zu sein, wo jede:r einfach mitspielen kann?
Ja, unbedingt. Das war früher allerdings einfacher, weil die Leute heutzutage wenig Zeit haben. So verbummelte Studenten wie früher gibt es nicht mehr. Aber wer bei uns mitspielen will, soll sich melden. Ich suche Leute, die Fantasie haben, sich für Theater interessieren und gerne spielen möchten. Theater spielen fördert die Fantasie, die Empathie und bestärkt die Persönlichkeit der Darsteller. Dadurch, dass sie sich in einen anderen Charakter einfühlen, werden sie freier, offener und selbstbewusster. Und nebenbei, und doch wichtig: Gagen gibt es bei uns nicht. Die einzige Gage ist Schweiß, manchmal vielleicht Tränen, aber vor allem Freude.
Abgesehen von der persönlichen Weiterentwicklung – wie wird man denn ein:e gute:r Schauspieler:in?
Als Schauspieler muss man seinen Blick in die Welt schärfen. Wie jemand ist, wie jemand geht, wie jemand spricht, wie jemand etwas nicht sagt – das ist wie ein großer Fundus, dessen Bestandteile man zu einem neuen Bild zusammenfügt. Zudem spielen natürlich die Erfahrungen, die man macht, eine Rolle.
Glänzen semi-professionelle Theater wie Ihres eigentlich primär durch ihren Charme, oder haben sie einen ganz eigenen Wert?
Das gehört schon dazu. Unser uriges Theater hat seinen eigenen Charme. Aber das Wichtigste ist die Qualität der Aufführung. Wir arbeiten ganz viel am Auftreten, an den Bewegungen und an der Sprache. Ich sage immer, dass wir für die letzte Reihe spielen und nicht nur für die erste. Unser Ehrgeiz ist es, dass man auch dort jedes Wort versteht. Die Arbeit an der Sprache beschränkt sich nicht nur darauf, auf die Artikulation und Lautstärke zu achten, sondern soll auch dabei helfen, den Sinn des Gesagten zu vermitteln. Das Sprichwort: „Der Ton macht die Musik“, könnte man abwandeln in: „Die Betonung macht den Sinn“. Selbst manche Nachrichtensprecher könnten auf diesem Gebiet noch viel Unterstützung gebrauchen. Wobei, sie würden wahrscheinlich sagen, sie könnten viel Unterstützung gebrauchen.
In Heidelberg gibt es einige von Amateur:innen betriebene Theatergruppen. Ist Ihr Theater mit diesen Gruppen vernetzt?
Nein. Aber es besteht die Möglichkeit für Gastauftritte bei uns im Taeter-Theater.
Kürzlich ist die Theaterflatrate für Studis auf das Taeter-Theater erweitert worden. Soll damit nur eine neue Zielgruppe erreicht werden, oder ist das auch ein Versuch, mehr Studierende als Schauspieler:innen anzuwerben?
Ausschlaggebend war sicherlich der Wettberwerbsnachteil. Für umme in die städtischen Bühnen zu kommen und hier 15 Euro zu zahlen, macht schon einen Unterschied für Studenten, die auch auf’s Geld schauen müssen. Von daher sind wir sehr glücklich darüber, dass durch die Erweiterung der Theaterflatrate merkbar mehr Studenten zu uns kommen. Aber wir hoffen natürlich auch, dass da ein paar Theaterinteressierte dabei sind, die selbst einmal auf unserer Bühne stehen wollen.
Ein Theater für Studierende und von Studierenden – könnte darin nicht auch die Zukunft des Taeter-Theaters liegen, wenn Sie irgendwann beschließen sollten, die Bühne anderen zu überlassen?
Solange ich Leiter des Taeter-Theaters bin, bin ich, wie schon gesagt, für die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen offen. Einen Nachfolger wird es nach heutigem Stand nicht geben. Das entspricht auch der Auffassung unseres Vermieters.
Welche Funktion hat das Theater für die Gesellschaft und wie versuchen Sie, dieser Funktion in Ihren Stücken gerecht zu werden?
Die vornehmste Pflicht des Theaters ist es, zu unterhalten. Das heißt im besten Sinne: Halt zu geben. Theater darf lange weilen, aber nie langweilig sein. Das Publikum soll zum Mitfühlen und Mitdenken angeregt werden. Das Theater hat aber auch einen großen Bildungsauftrag. Denn Geschichte wiederholt sich leider. Man muss darüber Bescheid wissen, was war, um das, was ist, besser verstehen zu können. Das gilt auch für kulturelle Ereignisse. In der Fernsehsendung „Gefragt – Gejagt“ wurde die Frage „welcher Dänenprinz ist die Hauptfigur eines Stückes von Shakespeare?“ mit „weiter“ beantwortet. Auf die Frage, wer der Komponist der Mondscheinsonate sei, begründete der junge Mann seine Unkenntnis beim Erscheinen des Namens „Beethoven“ damit, dass das vor seiner Zeit gewesen sei. Theater hat also nicht nur einen politischen Bildungsauftrag, sondern soll die Zuschauer auch kulturell weiterbilden.
Das klingt so, als hätten sie eine ganz spezifische Vorstellung davon, was für Sie ein gutes Theaterstück ausmacht. Haben Sie denn ein Lieblingstheaterstück?
Das Lieblingsstück ist jedes Stück, das ich gerade mache. Ich sauge mich an einem Stück fest wie ein Blutegel. Wobei die Stücke sich qualitativ natürlich unterscheiden. „Die Möwe“ ist aber wirklich ein Lieblingsstück für mich geworden. Es führt die vielfältigen Schicksale der Figuren so plastisch vor, dass mir dazu viel einfallen konnte. Auch schätze ich Tschechows Humor in diesem tragischen Stück sehr.
Eine abschließende Frage: Was hat es mit dem Namen Ihres Theaters eigentlich auf sich? Warum „Taeter“?
Es hat auf jeden Fall etwas mit der Tat zu tun. Schon bei Goethe heißt es: „Im Anfang war die Tat“. Wobei, aber das klingt vielleicht ein wenig kitschig, vor der Tat liegt eigentlich noch etwas anderes: die Sehnsucht. Aber man kann es nicht Sehnsuchtstheater nennen. Deshalb habe ich mich für die Tat entschieden. Für meine erste freie Produktion habe ich den Namen der städtischen Bühne in Heidelberg umgeformt. Aus „Theater der Stadt Heidelberg“ habe ich „Täter der Stadt Heidelberg“ gemacht. Daraus wurde schließlich „Taeter Theater“ und diesen Namen trägt unser Theater bis heute.
Frage aus der Leser:innenschaft:
Hat die junge Generation von heute andere Erwartungen an das Theater als frühere Generationen?
Das ist eine ganz schwierige Frage, da ich die Erwartungen nicht kenne. Es würde mich aber wirklich interessieren, was die junge Generation vom Theater erwartet. Sie sollen mir daher gerne schreiben. Der Dialog kann schließlich sehr anregend sein.
Das Gespräch führte Severin Weitz
...studiert Politikwissenschaft und Geschichte und schreibt seit dem WiSe 2023/24 für den ruprecht. Besonders gerne berichtet er über Politisches aus Heidelberg und der weiten Welt oder die neusten Entwicklungen an der Uni.
...studiert Volkswirtschaft und schreibt seit dem Sommer '23 für den ruprecht. Er ist ein Freund der pointierten Kolumne und leitet die Seiten 1-3.