Sexarbeiter:innen räumen bei Zwinger x mit Vorurteilen auf
„Wir wollen denen eine Stimme geben, über die sonst nur geredet wird“, so lautet das Motto am Abend des 23. Oktober in der Zwingerstraße 3. Doch wer genau sind die, über die sonst nur geredet wird? Die vier weiblich gelesenen Personen, die über die nächsten zwei Stunden selbst und mit dem Publikum sprechen werden, verbindet vor allem ihr Beruf: Sexarbeit. „Zwinger x Sex Work“, eine Kollaboration mit dem „Queerfeministischen Kollektiv Heidelberg“, hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Vorurteilen aufzuräumen und einen Einblick in die verschiedenen Facetten des Berufsfelds zu geben. Zuerst werden in einer Gesprächsrunde allgemeine Fragen beantwortet, im Anschluss kann man in kleineren Gruppen als Zuschauer:in direkt Fragen stellen.
Anlass für dieses Gespräch bietet ein Antrag der Unionsfraktion im Bundestag. „Die Strukturen des Prostitutionsmilieus sind bis auf wenige Ausnahmen selbstbestimmter Prostituierten zutiefst menschen- und insbesondere frauenverachtend“, heißt es darin. Konkret fordert die Union das „Nordische Modell“, welches ein Sexkaufverbot sowie bessere finanzielle Unterstützung für den Ausstieg aus der Sexarbeit enthält. Dem Antrag widerspricht die Gesprächsrunde vehement. Zwangsprostitution müsse natürlich bekämpft werden; ein reines Sexkaufverbot sei aber kein effektives Mittel. Viel allgemeiner müsse man bei der Armutsbekämpfung ansetzen und verhindern, dass Frauen in die Sexarbeit gezwungen werden können.
Die Frage, ob Sexarbeit in Deutschland selbstbestimmt möglich sei, wird von den Vier bejaht. Trotzdem bestünden bei der Ausübung dieser gesetzliche Einschränkungen, wie beispielsweise die „Betriebsstättenregelung“, für deren Abschaffung sie plädieren. Im Rahmen dieser kann das Anmieten von Appartements und Hotelzimmern für Escort-Dates leicht durch eine Anzeige verhindert werden, wenn der Verdacht auf Betrieb einer illegalen Prostitutionsstätte besteht.
Insgesamt sind die geschilderten Erfahrungen mit Sexarbeit an dem Abend überwiegend positiv. Vor allem betont wird die finanzielle Selbstbestimmung und das Ausleben eigener sexueller Vorlieben. Auch sei durch den „ein oder anderen Euro“ immer Konsens zu sexuellen Handlungen gewährleistet.
Allgemein fordern die Sexarbeiter:innen auch mehr Akzeptanz durch die Gesellschaft. Gerade für Menschen mit Behinderungen oder Körpern, die nicht dem gesellschaftlichen Ideal entsprechen, sei Sexarbeit wichtige Care-Arbeit und könne sogar therapeutische Funktion haben. Sexarbeit solle endlich als normaler Berufsweg anerkannt werden, die einzelnen Ausformungen als ganz normale Dienstleistungen. Dementsprechend lautet der letzte Aufruf ans Publikum: „Bucht uns!“. Man wünsche sich mehr nette Kund:innen.
Von Justus Brauer
…hielt schon immer gerne eine Zeitung in der Hand. Seit Frühling 2023 kann er seine Begeisterung für den Journalismus beim ruprecht ausleben.