Wir und sie: Die neue Sonderausstellungdes Kurpfälzischen Museums zeigt,wie Europa Fremdheit konstruierte
Seit dem 18. Oktober öffnet das Kurpfälzische Museum seine Türen zur neuen Sonderausstellung „Die Erfindung des Fremden in der Kunst“. Bei der feierlichen Eröffnung sprachen neben Ausstellungskuratorin Julia Carrasco auch Kultur-Bürgermeisterin Martina Pfister sowie Direktor Frieder Hepp, der das politische Statement hinter der Ausstellung mehrfach betonte. Interessierte Besucher:innen erwartet ein volles Programm. Neben Vorträgen und thematischen Führungen zur „Erfindung des weißen Blicks“ oder der „Erfindung der Weiblichkeit“, kooperiert auch das Karlstorkino mit einigen thematisch passenden Vorführungen.
Den Anstoß zur Ausstellung gab ein Holzstich Hans Burgkmairs, auf dem zum ersten Mal afrikanische und indische Völker dargestellt werden. Die Frage, warum und unter welcher Bedeutung Europa fremde Kulturen mit christlichen Motiven wie Adam und Eva darstellt, habe Julia Carrasco nicht mehr losgelassen: „Das Thema hat schon länger gegärt“. Neben Exponaten der Sammlung des Dauerbestandes mussten auch passende Leihgaben gefunden und erworben werden. Hierbei sei es wichtig, besondere Überzeugungskraft zu besitzen: „Es geht darum, die Institutionen zu überzeugen, sich von ihren eigenen Objekten zu trennen“ berichtet Julia Carrasco. „Man muss sehr gut argumentieren! Jede Ausleihe ist ein potenzielles Risiko für die Objekte“, erklärt Julia Carrasco. Dies gestaltet sich nicht immer leicht: „Es gab natürlich auch Absagen. Das kann immer vorkommen.“
Nach zwei Jahren Vorbereitung zählt die Sonderausstellung nun auch auf zeitgenössische sowie vergangene Kunst aus aller Welt. Das Thema des Fremden hat in Heidelberg Tradition: Nicht nur Exponate des Dauerbestandes befassen sich mit Fremdheit, auch die Stadt selbst war und ist internationaler denn je. Die Heidelberger Hip-Hop-Gruppe Advanced Chemistry, die auch Platz in der Ausstellung fanden, machten in ihrem Song „Fremd im eigenen Land“ bereits 1993 auf die Probleme und Herausforderungen von Migrant:innen aufmerksam.
Besonders stolz ist Frau Carrasco auf ein Flugblatt, das die indigene Bevölkerung Brasiliens nach den Reiseberichten Amerigo Vespuccis darstellt. Die Darstellung der Menschen präge unser Bild bis in die heutige Zeit. Nur noch zwei Flugblätter sind weltweit erhalten: In New York und in München, woher Carrasco das Münchner Exponat für ihre Ausstellung gewinnen konnte. Außerdem macht Carrasco auf das Werk von Gülsün Karamustafa aufmerksam, eine zeitgenössische Künstlerin, die den von der männlichen Malerei des Orientalismus geprägten, fetischisierenden Blick auf Frauen offenlegt und dekonstruiert. Durch das zeitgenössische Werk werde eine Position entgegengesetzt, die mit Stereotypen breche. „Bilder haben eine große Wirkmacht“, erklärt Carrasco. „Hier treten historische und zeitgenössische Positionen in einen Dialog.“
Die neue Sonderausstellung des Kurpfälzischen Museum soll dazu anregen, eigene Vorstellungen des Fremden und Vorurteile kritisch zu hinterfragen. Hierfür wurden Interventionen in die Ausstellung selbst integriert, mit denen Betrachter:innen zum kritischen Blick angeregt werden soll. „Fremdsein ist keine neutrale Kategorie“, so Carrasco, „es ist kein Gegensatz des Eigenen, sondern dient dafür, die eigene Identität zu definieren“. Die Kunst spiele hierbei eine wichtige Rolle. Es gehe um die Sensibilisierung für Strategien, mit denen Künstler:innen Fremdheit erst erzeugen. Über die Zeit hinweg haben sich Bilder, die bis heute wirksam sind, verfestigt und verselbstständigt. Auch Julia Carrasco betont den Aktualitätsbezug der Ausstellung: „Wir sind tagtäglich von Bildern umgeben, die wir nicht hinterfragen, weil sie von uns als selbstverständlich wahrgenommen werden.“ Die Ausstellung kann noch bis zum 12. Januar 2025 besucht werden.
Von Anja Thea Haffner
Hier geht’s zur Website der Ausstellung:
Die Erfindung des Fremden – Kurpfälzisches Museum Heidelberg