Private Bildung muss man sich leisten können. Nicht-staatliche Hochschulen werden zunehmend beliebter, allein in Heidelberg finden sich mindestens fünf. Was sind die Gründe und was heißt das für die öffentlichen Universitäten?
Private Universitäten erfreuen sich in Deutschland steigender Beliebtheit. Studierten 2015 und 2016 etwa acht Prozent der Studierenden an einer Privathochschule, waren es 2023 bis 2024 schon über zwölf Prozent. Dabei hatten Privathochschulen in der Vergangenheit einen schlechten Ruf, veröffentlichte der Spiegel noch 2013 ein Interview mit dem Titel „Eine Elite von naiven Automaten“. Inzwischen ist die Kritik jedoch leiser geworden. Gibt es also nichts mehr zu ihnen zu sagen?
Heidelberg gehört nicht allein der Ruprecht-Karls-Universität: Neben der Pädagogischen Hochschule können Studierende auch an mehreren privaten Hochschulen ihre Abschlüsse erwerben: Die Schiller International University, die Fresenius Hochschule, die internationale Berufsakademie der F+U, die SRH Hochschule und zuletzt die Hochschule für Jüdische Studien bieten anerkannte Hochschulabschlüsse. Die Hochschule für Jüdische Studien (HfJS) arbeitet, anders als die meisten privaten Hochschulen, nicht gewinnorientiert. Sie ist durch gemeinsame Lehrveranstaltungen und personelle Überschneidungen eng an die staatliche Universität gebunden. Die meisten privaten Hochschulen verlangen weitaus größere Beträge: Bundesweit kostet ein Studium an einer privaten Universität im Schnitt etwa 520 Euro im Monat, ein Masterstudium etwa 700 Euro.
Sam* studiert Soziale Arbeit an der SRH-Hochschule. Die Stiftung Rehabilitation Heidelberg hat ihren Ursprung als Ausbildungsort für Menschen mit Behinderungen und Kriegsversehrte, unterhält heute aber bundesweit Standorte. Das Unterrichtsmodell der SRH hat Sam klar überzeugt: „Ich bin davon ausgegangen, dass das der einzige Weg wäre, mit dem ich ein Studium schaffen könnte.“ Sam glaubt, dass die Vielzahl an Prüfungen, die an einer staatlichen Universität parallel zueinander abverlangt werden, zu viel gewesen wären. Sam ist neurodivers: Unter diesen Begriff fallen zum Beispiel Autismus oder ADHS, die oft mit einem höheren Bedürfnis nach Strukturen oder erhöhter Empfindlichkeit gegenüber Reizen einhergehen.
Das sogenannte CORE-Modell der SRH unterteilt den Lehrstoff in Modulblöcke von jeweils fünf Wochen. Innerhalb dieser Modulblöcke wird nur ein Thema behandelt. Am Abschluss davon steht dann eine Prüfungsleistung. In Sams Fach war das oft eine schriftliche Arbeit von insgesamt 20 Seiten, manchmal auch ein Vortrag. Geschenkt wird der Abschluss also auch hier nicht einfach. Schließlich sind die Abschlüsse der SRH, wie auch die der meisten privaten Hochschulen, staatlich akkreditiert. Dafür zuständig ist der Wissenschaftsrat, eine Einrichtung von Bund und Ländern. Seine externen Prüfer:innen bewerten die Qualität der Lehre und Prüfungen sowie die Finanzierungsstruktur privater Hochschulen. Das Votum des Wissenschaftsrates ist ausschlaggebend für eine staatliche Akkreditierung der Abschlüsse.
„Die öffentlichen Hoch schulen sind vorsätzlich ausgehungert“
Valentin vertritt die Studieren den der verschiedenen SRH-Campus. Auch für ihn gab das CORE-Modell den Ausschlag, an der SRH Architektur zu studieren: „Das Erlernte wird vertieft und dann an gewendet. Es ist also kein einfaches Auswendiglernen und dann wieder Vergessen, sondern praxisbezogen.“
Wie belastend sind die Studiengebühren für Studierende der SRH? Sam kam trotz der hohen Kosten finanziell gut zurecht: „Ich hatte erst mit dem Studium angefangen, als ich wusste, dass ich es mir leisten kann. Gegen Ende des Studiums wurde es mit dem Ersparten aber relativ knapp, das ich mir erarbeitet hatte.“ Es habe jedoch ausgereicht. Valentin erwähnt außerdem, dass etwa 90 Prozent der Studierenden ihr Studium in Regelstudienzeit ab schließen würden. Die Kosten sind also offenbar gut einzuplanen.
Neben den positiven Aspekten stört sich Sam vor allem an einer Sache: „Ich würde mir wünschen, dass sich die Hochschule mehr um die aktuellen Studis und deren Wünsche kümmern würde anstatt Sponsor:innen anzuwerben und Marketing zu betreiben.“ Sam findet, dass die Versorgung von pflegebedürftigen Studierenden, die am SRH-Campus wohnen, im Vergleich dazu zu kurz komme.
Der Campus der SRH, dessen Szenerie von einem weithin sichtbaren Turm aus Glas und blau lackiertem Stahl beherrscht wird, ist komplett barrierefrei. Der Gegensatz beispielsweise zur Bergius-Villa, die sich die Islamwissenschaft, der Studierendenrat, der ruprecht und die theoretische Physik teilen und bei der der Putz von der Außenwand fällt, ist unübersehbar. Um den alten Lastenaufzug dort zu nutzen, musste lange ein Termin mit dem Hausmeister vereinbart werden.
Mehrere moderne, leise Aufzüge mit klar sichtbarer Beschriftung helfen hingegen dabei, den SRH Campus zu durchqueren. Valentin lobt diese Barrierefreiheit: „Ich bin Rollstuhlfahrer, kann hier absolut eigenständig studieren und bin nie auf fremde Hilfe angewiesen.“ Die SRH ist mit der Attraktivität ihres Bildungsangebots nicht alleine. Der Kölner Professor für Sozialwissenschaften Tim Engartner, der zu ökonomischer Bildung forscht, schreibt: Private Hochschulen erfreuen sich nach wie vor eines starken Zulaufs. Ihnen gelingt es auf bessere Weise als staatlichen Hochschulen, die Erwartungshaltung von Studierenden zu bedienen.“
Die kleinformatigen Lehrveranstaltungen – mit maximal 30 Studierenden in einer Lerngruppe – und innovativen Methoden sowie die im Vergleich zur staatlichen Uni oft bessere Ausstattung sind nicht nur der SRH vorbehalten.
Sind die privaten Universitäten also einfach wettbewerbsfähiger? Das effiziente Unternehmen gegen den trägen Staat? Engartner weist auch auf Schließungswellen von Privatuniversitäten zwischen 2009 und 2013 hin, wie zum Beispiel der Privatuniversität Rostock. Eine generell überlegene Wettbewerbsfähigkeit lasse sich also nicht behaupten.
In diesem Zusammenhang weist Engartner auch darauf hin, dass das öffentliche Bildungssystem „vorsätzlich ausgehungert“ sei: „Eine zentrale Ursache für die Popularität privater Schulen und Hochschulen ist der teils desolate bauliche, personelle und administrative Zustand staatlicher Einrichtungen. Obwohl die Universitäten seit den 1970er Jahren stetig steigende Studierendenzahlen zu verzeichnen hatten, gab es keine adäquate Aufstockung der Finanzierung. „Personalmangel und daraus resultierende unter durchschnittliche Betreuungsverhältnisse sind die Folge“, kritisiert Engartner. Die zunehmende Beliebtheit von privaten Hochschulen setze die öffentlichen weiter unter Druck.
Die Unterfinanzierung der öffentlichen und das Gedeihen der privaten Hochschulen ist für Engartner auch politisch gewollt: Viele Wissenschaftsminister:innen würden darauf abzielen, die öffentliche Lehre nach Vorbild der Privatuniversitäten an wendungsbezogener und effizienter, man könne auch sagen: „verschulter“, zu gestalten. Die „anwendungsbezogenen Studiengänge“ sollten verstärkt in den Mittelpunkt gestellt werden.
„Ich kann hier vollkommen eigenständig studieren“
Der Wettbewerbsgedanke soll die Forschung antreiben. Es werde nur ein bestimmtes Verständnis von „Exzellenz“ honoriert. Bekannt ist dabei vor allem die Exzellenzinitiative des Bundes, die Forschungsprojekte fördern soll. Das bedeute laut Engartner Förderung nach dem so genannten „Matthäusprinzip“: Wer die Voraussetzungen für gute Forschung habe, dem werde noch mehr gegeben. Auch in Heidelberg sind zwei sogenannte Exzellenzcluster angesiedelt.
Bei aller Freude über heraus ragende Forschung und deren Bedeutung bleibt jedoch der bittere Beigeschmack einer fehlenden Grundförderung: Muss es bröckelnden Putz und „Exzellenz“ an derselben Universität geben?
Die Entwicklungen in der Lehre und Forschung, bei der private Hochschulen vorangingen, gefährdeten, so Engartner, die Hochschullehre selbst. Indem sich die Lehre auf Anwendbarkeit und die Forschung auf „Exzellenz“ konzentriere, ginge einer ihrer zentraler Aspekte verloren: „Die Einheit von Forschung und Lehre wird damit durchbrochen; die Studierenden profitieren nicht mehr von neuesten Forschungsergebnissen. Die Orientierung in der Lehre am aktuellen Stand der Wissenschaft ist aber konstitutiv für Hochschulen. Es ist ihre zentrale Legitimationsbasis in einer Wissensgesellschaft.“
Schließlich kritisiert er die hohen finanziellen Hürden. Diese würden soziale Selektionsmechanismen verstärken. „Bildung ist die zwingende Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Zugang zu ihr sollte idealerweise für niemanden und zu keinem Zweck eingeschränkt werden“, so Engartner. Wenn statt der Eignung vor allem die finanzielle Situation über die Zulassung entscheide, festige dies die bestehenden Strukturen sozialer Ungleichheit.
Das grundsätzliche Problem privater Hochschulen bleibt: Bildung ist eine Frage des Geldbeutels. Angesichts ihrer zunehmenden Beliebtheit wird dieses Problem nicht verschwinden, sondern eher größer werden.
Unterfinanzierte öffentliche Dienste in anderen Ländern geben einen Ausblick in die Zukunft: Zum Beispiel die Gesundheitsversorgung im Vereinigten Königreich, die kurz davor steht, durch ein angeblich „überlegenes“ privates Modell ersetzt zu werden.
*Pseudonym
Von Michèle Pfister
kennt den Zustand der Bergius-Villa als rupi zur Genüge