Schon mal von Fanny Angelina Hesse gehört? Agar-Platten machen Bakterien sichtbar, doch ihre Erfinderin wird kaum gewürdigt. Wie ein indonesischer Pudding die Biologie revolutionierte
Bakterienkolonien verzieren die Plastikschale vor meinen Augen und das Laborlicht fällt durch das transparente Gel, auf dem die Bakterien wachsen. Dieser Nährboden, Agar genannt, ist für Biolog:innen auf der ganzen Welt Alltag. Agar halt. Ob Einführungspraktikum an der Uni, Impfstoffentwicklung oder Brauerei, der Nährboden ist allgegenwärtig und das seit über 100 Jahren. Zwischen namhaften Laboruntensilien – Bunsenbrenner, Petrischale oder Erlenmeyerkolben – fragt kaum jemand, woher der Agar kommt. Frühe Mikrobiolog:innen wie Pasteur oder Koch knobelten lange daran, Bakterien voneinander zu trennen. Die Mikroben in einer Flasche wachsen zu lassen war kein Problem, doch dabei schwammen verschiedene Arten durcheinander. Auf Gelatine konnte man einzelne Kolonien separieren, doch viele Bakterien mögen es warm – die Gelatine schmolz und das Experiment war hinüber. Geronnenes Ei oder Kartoffeln waren stabiler, aber nicht durchsichtig. Ende des 19. Jahrhunderts schwirrten einige Methoden umher, keine davon war besonders gut.
Die Lösung brachte Fanny Angelina Hesse, nachdem ihr Mann im Labor von Robert Koch von schmelzender Gelatine frustriert war. Über Freund:innen hatte sie von Agar erfahren, einem Geliermittel, das aus Algen hergestellt und in Indonesien für Pudding verwendet wird. Obwohl sie ihren Mann auf die Agar-Rezepte aufmerksam machte, wurde sie üblicherweise nur als Hausfrau mit einer Idee dargestellt, oder ihre Entdeckung wurde gleich Robert Koch zugeschrieben. Koch selbst unterschätzte Agar lange und erkannte den Verdienst des Hesse-Paars nie öffentlich an.
Anders als bei bahnbrechenden Entdeckungen, die männliche Kollegen für sich beanspruchen, wurde Agar fast unbemerkt in die Biologie übernommen. Lediglich zwei wissenschaftliche Veröffentlichungen, jeweils Jahrzehnte nach der Entdeckung, erwähnen Hesse. Und trotzdem ist ihr Vermächtnis unerlässlich: Als Großbritannien im zweiten Weltkrieg der Agar ausging, wurde der nationale Notstand ausgerufen. Die Antibiotika-Tests und Impfstoffe waren gefährdet.
Wie wenig heute über Fanny Angelina Hesse bekannt ist, verwunderte auch den Mikrobiologen Corrado Nai. „Das ist, als würden Journalisten noch nie von Johannes von Gutenberg gehört haben”. Deshalb kontaktierte er die Nachfahren Hesses. Urenkel Frank Hesse erinnert sich noch, wie sein Vater immer von dessen berühmter Agar-Oma erzählte. Die Familie habe sich darauf aber nie viel eingebildet und so wurde auch die von Franks Vater verfasste Biographie nie veröffentlicht. Corrados Recherchen entfachten neues Interesse und historische Zeichnungen kamen wieder ans Tageslicht.
Mit Wasserfarben hatte Fanny Angelina Hesse die auf Agar wachsenden Bakterien präzise fesgehalten. Die Zeichnungen belegen ihr tiefgreifendes Verständnis der Forschung. Im Museum des Robert-Koch-Instituts sollen die Zeichnungen nun auch ausgestellt werden. Die Biographie ist laut Corrado Nai und Frank Hesse zu persönlich, um diese als Paper zu veröffentlichen, doch Corrado hat eine Idee: Auch beim Agar ginge es darum, Unsichtbares, wie Bakterien, sichtbar zu machen. Mit einer Graphic Novel könnten die Entdeckungen Fanny Angelina Hesses für möglichst viele Menschen greifbar werden. „Ich habe noch nie eine Graphic Novel geschrieben“, merkt Corrado an, aber er stellt sich der Herausforderung. Mittlerweile hat er ein Team aus Illustrator:innen und Historiker:innen, die parallel entwerfen, illustrieren und die Biographie wissenschaftlich aufbereiten. Über die Crowdfunding-Seite „Kickstarter“ sammelten sie bereits genug Geld, um eine Kurzfassung der Graphic Novel zu finanzieren. Neben typischen Comics verwendet das Team auch ausgefallene Agar-Kunst. Dabei werden farbige Mikroben auf dem Nährmedium angeordnet, sodass sie zu einem Bild verwachsen.
Mit den bisherigen Entwürfen will Corrado nun eine:n Herrausgeber:in finden. Vergessenen Wissenschaftler:innen die verdiente Bekanntheit zu verschaffen ist harte Arbeit, aber Corrado ist zuversichtlich: „Jetzt geht es los“.
Von Bastian Mucha
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.