Was lange währt, wird doch nicht gut? An Francis Ford Coppolas „Megalopolis“ scheiden die Geister
An den deutschen Schulen stirbt Latein. Ironisch, weil die Sprache schon lange tot ist, und trotzdem ist es wahr. Seit Jahren geht die Zahl der Schüler:innen, die die Sprache des Imperium Romanum lernen, beständig zurück. Dabei beherbergte die Welt der Antike eine Vielzahl skurriler, machthungriger und oft auch überlebensgroßer Charaktere. Aus diesem Füllhorn der Biographien bediente sich auch Francis Ford Coppola beim über dreißig Jahre währenden Schreib- und Entstehungsprozess seines neuesten Films „Megalopolis“ reichlich.
Viele der Figuren, die in der klassizistisch angehauchten New-York-Parallelversion „New Rome“ um Macht und die Zukunft der Stadt ringen, haben historische Vorbilder. Der „Pate“-Regisseur spielt in seinem neuesten Film klar auf die Sandalenfilme aus Hollywoods goldenem Zeitalter an. Amerika wird zum römischen Reich, in dem eine Patrizierschicht auf dem Rücken der Bevölkerung allerlei dekadenten Vergnügungen nachgeht. Der Vergleich mag hinken; unterhaltsam ist die Synthese einer modernen Metropole mit Halbwissen aus dem Lateinunterricht trotzdem.
Die von Francis Ford Coppola aufgegriffenen historischen Figuren sind allesamt der Ära des Untergangs der res publica entnommen. Der Protagonist, Cesar Catilina, vereint in seinem Namen gleich zwei Staatsmänner. Adam Driver spielt den genial-verrückten Architekten, dem seine Vision für die Stadt viele Feinde beschert, geschmackvoll überzeichnet. Der stur konservative und doch aufrechte Cicero, verkörpert von Fan-Liebling Giancarlo Esposito, agiert als Catilinas politischer Gegenpol. Clodio Pulcher, gespielt von Shia LaBeouf, ist dabei beinahe grotesk in seiner Bösartigkeit sowie seinem Hedonismus und erinnert dabei immer wieder an Donald Trump, einen alten Schulkameraden Coppolas. Passende Charaktereigenschaften für den Sohn von Crassus (Jon Voigt), der im alten wie im neuen Rom den Titel „Reichster Mann der Welt“ innehielt.
Illustre Schauspieler, die den Cast zumindest auf dem Papier hochwertig machen, verschwinden beinahe komplett und lassen kaum einen Eindruck beim Zuschauer zurück. Besonders unbedeutend: Laurence Fishburn als Cesars Chauffeur und Teilzeit-Erzähler, Jason Schwartzman als Ciceros Sidekick und Dustin Hoffmann als unbeholfener Problemlöser. Schon eher im Gedächtnis bleibt da die Popsängerin Vesta, gespielt von Grace VanderWaal, die die Massen in Neu-Rom mit ihrem Gelübde begeistert, bis zur Ehe Jungfrau zu bleiben – eine Anspielung auf den Kult der Vestalinnen, wenn auch historisch etwas ungenau.
Dieses Phänomen ist einer der vielen Schwachpunkte des Films: Coppola will den Bogen zwischen antiken und gegenwärtigen Phänomenen spannen und wird dabei leider keinem der Beiden gerecht. Ob bei Details, Figuren oder in ganzen Handlungssträngen – die hervorgehobenen Parallelen wirken weit hergeholt und erzwungen. Ein weiterer Grund für Kopfschmerzen bei den Zuschauer:innen sind die Dialoge. Gefangen zwischen banalem Humor und überbordend poetischen Monologen hat das Drehbuch leider wenig außer Fremdscham zu bieten.
Wer bei der Erwähnung von Shia LaBeouf und Dustin Hoffmann vorher aufhorchte, sieht sicher die Agenda, die Coppola mit bestimmten Castingentscheidungen verfolgte. Der Entschluss des 84-jährigen Kultregisseurs, mit Shia LaBeouf und Dustin Hoffman gleich zwei formell „gecancelte“ Schauspieler zu verpflichten, schlägt ebenfalls Wellen in den Medien. Besonders LaBeoufs Karriere sahen viele Beobachter:innen nach mehreren Missbrauchsvorwürfen seiner Ex-Freundin und Sängerin FKA Twigs gegen ihn als beendet an.
Ob man Coppola nun als einen Hüter der Sitten des alten Hollywoods oder als rückständiges Relikt sehen will – Fakt ist: „Megalopolis“ ist ein politischer Film. Neben Coppolas unverhohlener Kritik an modernen Populist:innen und seinen giftigen Seitenhieben gegen die sensationslüsternen amerikanischen Massenmedien kann das Hauptmotiv des Films – Fortschritt gegen Stillstand – ebenfalls als Kommentar zu zahlreichen aktuellen Diskursen gelesen werden. Besonders elegant ausgearbeitet sind allerdings auch diese eigentlich interessanten Ideen leider nicht.
Die Idee für den Film soll Coppola bereits 1977 während der Dreharbeiten zu seinem Jahrhundertfilm „Apocalypse Now“ gehabt haben. Die ersten Ideen für das Projekt – ein Freilichttheater direkt am geografischen Mittelpunkt der Vereinigten Staaten als Aufführort für ein vier Abende umfassendes Theaterstück à la Ring des Nibelungen – wirken mindestens so megalomanisch wie die Hauptfigur des Films selbst. Dass dieser Traum schnell am Geld scheiterte, verwundert kaum. Trotzdem sieht sich „Megalopolis“ klar in einer langen Reihe kultureller Errungenschaften. Deutlich wird das vor allem durch Zitate verschiedenster Giganten der Weltliteratur, welche sich die Figuren immer wieder gegenseitig und manchmal auch den Zuschauer:innen an den Kopf werfen. Ganz so sinnreich wie Marc Aurel oder wortgewaltig wie Seneca ist „Megalopolis“ aber sicher nicht.
Auch wenn der Film großartig aussieht, opulent und kreativ inszeniert ist, hält „Megalopolis“ letzten Endes vor allem seine eigene Wichtigtuerei zurück. Verständlich für einen Film, der das letzte Meisterwerk eines der größten lebenden Regisseure werden sollte – unterhaltsamer macht ihn das trotzdem nicht. Unmittelbar nach der Veröffentlichung polarisierte der Film wie kaum ein anderer in den Medien. Von einer neuen Ära des Monumentalfilms bis zum peinlichsten Reinfall der letzten zwanzig Jahre konnte man so ziemlich alles darüber lesen. Gänzlich ungenießbar ist der Film nicht, doch wird er weder dem Konzept, noch dem Regisseur oder dem Cast gerecht.
Von Nepomuk Meyer
...studiert American Studies im Bachelor. Er schreibt mal über kleine, mal über große Themen und sonst alles, wofür er sich begeistern kann. Er ist seit 2023 beim ruprecht dabei.
...studiert Biowissenschaften und schreibt … nichts. Er layoutet und illustriert seit 2023 für den ruprecht.