Schwer zu glauben: Unsere Wälder sind zur CO2-Quelle geworden
Der deutsche Wald stößt insgesamt mehr CO2 aus, als er aufnimmt. Mit diesem Schluss verblüffte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir die Öffentlichkeit bei der Vorstellung der Ergebnisse der vierten Bundeswaldinventur (BWI). Zwischen 2021 und 2022 stapften im Auftrag seines Ministeriums 100 Inventurtrupps des staatlichen Thünen-Instituts durch die deutschen Wälder, maßen und zählten und probten, um deren Zustand zu erfassen. Aus den Ergebnissen sticht hervor: Bei der letzten BWI von 2012/13 noch „Senke“, also ein Kohlenstoffspeicher, ist der Wald seit 2017 zur CO2-„Quelle“ geworden. Wie kommt’s?
Wälder entziehen der Atmosphäre durch Photosynthese große Mengen an CO2, um dessen Kohlenstoff für das eigene Wachstum zu nutzen. Dieser wird wieder frei, wenn die Bäume als Totholz oder im Rahmen der Holzernte aus dem Wald ausscheiden. Bei Verrottung entweicht CO2 über Jahre hinweg, bei energetischer Verwertung sofort. Der klimaschützende Effekt ist folglich nur dann gegeben, wenn der Vorratszuwachs im Wald größer ist als die im Kreislauf entstehenden Emissionen. Dass dies nun nicht mehr der Fall ist, liegt vor allem an der Klimakrise. Extremereignisse sind für den Großteil der Schäden auf knapp 20 Prozent der Flächen verantwortlich. Die vier Dürrejahre seit 2018 haben insbesondere die Massenvermehrung des Borkenkäfers ermöglicht, eines Schädlings, der zum großflächigen Absterben von Nadelbäumen führt.
Wie so oft stehen nun kurzfristige Maßnahmen nachhaltigen gegenüber: Um die Resilienz der Wälder gegenüber Klimaveränderungen zu stärken, ist aktiver Waldumbau hin zu klimaangepassten Mischwäldern essentiell. Nadelbäume binden durch ihr schnelles Wachstum viel Kohlenstoff und sind ökonomisch profitabel. Laubbäume wachsen langsamer und werden älter, ein höherer Anteil wäre langfristig in Hinblick auf Klima und Biodiversität sinnvoll.
Nach Modellierungen des Thünen-Instituts wird der Wald für viele Jahre eine Treibhausquelle bleiben. Dies stellt europäische und nationale Politik vor eine ganz neue Herausforderung, denn die Senkleistung des Waldes wurde auf dem Weg zur Klimaneutralität fest einberechnet. Es stellt sich die beunruhigende Frage, welche anderen Wege zur CO2-Reduktion möglich sind. Einige Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch: Neben der kurzfristigen Erweiterung natürlicher Senken müsse nun der Einsatz innovativer CDR-Methoden, kurz für „carbon dioxide removal“, zur technologischen Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre abgewägt werden, so Forscher:innen der Helmholtz-Klima-Initiative.
Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, warb in diesem Zusammenhang kürzlich für die Einrichtung einer „Europäischen Kohlenstoff-Zentralbank“, welche über die bisherige EU-Vergabe von Ausstoß-Rechten hinausgeht und mit „Clean-up-Zertifikaten“ nicht nur die Emissionen, sondern auch CO2-Entnahmen abbildet.
Ein trockenes Projekt wie die deutsche Bundeswaldinventur könnte somit auch ein Anschub für neue Ideen der „CO2-Immissionspolitik“ sein. Einen Anfang wollte Özdemir mit der Reform des Bundeswaldgesetzes von 1975 machen – die Ampel streitet noch.
Von Charlotte Breitfeld
...schreibt über Wissenschaft und Politik und am liebsten über beides in einem. Sie interessiert sich für alles, was zusammenhängt – so auch in ihrem Studienfach, den Biowissenschaften. Für den ruprecht schreibt sie seit dem Sommersemester '24.
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.