Im Wintersemester 2023/24 findet an der Uni Heidelberg eine Ringvorlesung über Thomas Mann statt. Dabei werden sämtliche Vorträge – wie könnte es anders sein – von Männern gehalten
Kommentar
Mal ganz ehrlich: Männerquoten schön und gut. Aber es ist doch schon sehr riskant, wenn akademische Vorträge von Männern gehalten werden. Wenn es um die wirklich wichtigen Dinge geht – die Lehre der schlauen Wissenschaftlerinnen von morgen – dann fühlt frau sich doch viel wohler, wenn Frauen am Pult sachlich über den Stand der Wissenschaft aufklären. Männer fordern ihre hübschen Köpfe ja schon genug. Was will Mann mehr!
So könnte ein Beitrag unter dem viralen Hashtag ‚Women in Male Fields‘ in Bezug auf die diessemestrige Lehrveranstaltung ‚Thomas Mann im Gegenlicht seiner Zeit‘ lauten. Die Ringvorlesung wird von der Ruprecht-Karls-Universität und der Manfred Lautenschläger-Stiftung getragen und vom emeritierten Germanisten Dieter Borchmeyer organisiert. Dabei dachte man sich schön sprichwörtlich: Ein Mann, ein Wort – viele Männer, eine Ringvorlesung.
Nicht nur die Organisation der Vorträge liegt in fester Männerhand. Sämtliche wissenschaftliche Vorträge werden von zehn Forschern – an dieser Stelle wurde das Gendern nicht vergessen – gehalten. Ein Plakat, das im Germanistischen Seminar auf die Vorlesungsreihe aufmerksam macht, wurde mehrfach schriftlich kommentiert; nie blieb das wenig positive Feedback lange hängen. Denn bei so vielen Männern fragt frau sich: Gab es keine einzige Wissenschaftlerin, die für einen Vortrag verfügbar gewesen wäre, oder waren die Frauen bei der Vortragsvergabe alle in der Küche?
Ob die Vergabe lief, wie Herbert Grönemeyer es uns vor genau vierzig Jahren erklärte („Männer rauchen Pfeife, Männer sind furchtbar schlau“), wissen wir nicht. Aber wie die Liedzeilen gehören diese Zustände in die 1980er. Im Gegenlicht ihrer Zeit ist die Vorlesungsreihe ein bärtiges Beispiel für die strukturelle Benachteiligung von Forscherinnen in der Wissenschaft. Neben Gender Publication Gap und Gender Citation Gap führt Gatekeeping zu überflüssigem Wissensabfluss.
Mit einem Frauenanteil von 42 Prozent bei den geisteswissenschaftlichen Professuren in Deutschland gehen die freien Künste im Vergleich am ehesten auf eine gleichgeschlechtliche Verteilung zu. Man dürfte meinen, dass mehr als genug kompetente Rednerinnen für eine paritätische Ringvorlesung existierten. Aber! Anstatt die Betroffenen von patriarchalen Gesellschaftsproblemen zu bemitleiden, richten wir das Wort doch an die Verursacher!
Herr Borchmeyer, haben Sie seit Ihrer Emeritierung vor 18 Jahren noch nicht läuten hören, dass die Zeiten, in denen die deutsche Universität ein Männerverein war, verstrichen sind? Trotz – oder gerade wegen Gatekeeper wie Ihnen beweisen 42 Prozent Akademikerinnen im Olymp des Wissenschaftsbetriebs: Um exzellente Forschung und Lehre zu betreiben, muss man weder Johannes heißen noch einen besitzen.
Was bleibt zu sagen, außer: ‚Ein Hoch auf das Patriarchat‘? Ein Hoch auf Männer, die ihre Männerfreunde für ihre Männervorlesungen ranholen, um mal eben 90 Minuten über Thomas Mann zu reden. Nur Männer reden über Thomas Mann, denn Thomas Mann ist super männlich.
Von Daniela Rohleder
...studiert Editionswissenschaft & Textkritik im Master und ist im Herbst 2021 beim ruprecht eingestiegen. Zwischen Oktober 2022 und November 2023 leitete sie das Ressort „Studentisches Leben“. Auch thematisch widmet sie ihr Zeichenlimit gerne dem studentischen Blick auf die Umwelt – wobei sie einiges über Radiosender, Feierkultur und Elternschaft gelernt hat.
...studiert Biowissenschaften und schreibt … nichts. Er layoutet und illustriert seit 2023 für den ruprecht.