In der Tierwelt ist Schönheit überlebenswichtig. Christiane Nüsslein-Volhard spricht über Elchgeweihe und Pfauenfedern
„Survival of the Beauty“ könnte dem Namen nach ein neue Reality-TV-Sendung sein, irgendwo zwischen „Dschungelcamp“ und „Love Island“. Angelehnt ist die Hypothese an Darwins Prinzip „Survival of the Fittest“, das beschreibt, wie sich in der Evolution diejenigen Lebewesen durchsetzen, die am besten an ihre Umwelt angepasst sind. Der Pfau beispielsweise läuft diesem Prinzip aber zuwider. Das auffallende Gefieder des Männchens mit seinen farbprächtigen Mustern hindert ihn am Fliegen und ist nicht gerade hilfreich bei der Tarnung vor Fressfeinden. Was nützt dem Pfau also seine Schönheit?
Die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard forscht zu diesem Thema am Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen. Sie bemerkte, dass wir natürliche Muster bei Tieren genauso wahrnähmen wie die Schönheit von Kunstwerken, die aber von Menschen geschaffen sind. Die Funktionen und die Entstehung von Schönheit im Tierreich sind weitestgehend unerforscht. Im Rahmen des „International Science Festivals Geist Heidelberg“, das jährlich vom Deutsch-Amerikanischen Institut veranstaltet wird, hat die Nobelpreisträgerin im November den Vortrag „Schönheit der Tiere“ gehalten. In ihrem gleichnamigen Buch erklärt die Forscherin, dass manche Muster, Farben und Gerüche von Tieren der Tarnung, Abschreckung oder Kommunikation dienen. Sie haben einen konkreten Nutzen für das Überleben der Individuen. Die bunten Federn des Pfaus oder das übergroße Geweih eines Elchs sind dagegen mit physischen Einschränkungen verbunden. Diese Merkmale hätten sich zurückbilden müssen, wenn die Evolution nur nach dem Prinzip „Survival of the Fittest“ funktionieren würde. Schon Darwin entdeckte, dass es neben der natürlichen Selektion einen zusätzlichen Mechanismus gibt: die sexuelle Selektion. Um den Weibchen aufzufallen, die Konkurrenz auszustechen und damit höhere Chancen bei der Fortpflanzung zu haben, müssen vor allem die Männchen schön sein. Das riesige Geweih des Elchs und die Federn des Pfaus können aber nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn das Weibchen diese Schönheit anerkennt. Den Weibchen muss also ein ästhetisches Empfinden zu eigen sein, das mit dem des Menschen vergleichbar ist. Seine Partnerwahl trifft das Weibchen dann anhand von subjektiven Schönheitsstandards.
Bei Tieren hat die evolutionäre Auslese bestimmte ästhetische Merkmale begünstigt. Schönheitsstandards bei Menschen sind dagegen kulturell geprägt und unterliegen ständiger Veränderung. Nur der Mensch verschönert sein natürliches Aussehen künstlich durch Bemalung, Kleidung und Schmuck. Wir verhielten uns so eigenartig, weil wir unsere Schönheit selbst wahrnehmen könnten, meint Nüsslein-Volhard. Kein anderes Tier prüfe sich im Spiegel. Dass Schönheit losgelöst von Eitelkeit möglich ist, zeigt uns die Tierwelt. Dass der Schönheitsdruck auf Frauen* eigentlich unnatürlich ist, auch.
Von Maria Bonk