Das Forschungsprojekt eines Heidelberger Teams bringt DNA in Form
“Zum krönenden Abschluss den Stein zu gewinnen, war für alle pure Ekstase“, schwelgt Simon in Erinnerungen an den Gewinn des iGEM-Wettbewerbs für synthetische Biologie. Die Abkürzung steht für “international genetically engineered machine” und wurde vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) für Schüler:innen und Studierende ins Leben gerufen.
Simon ist eins von 20 Mitgliedern des Heidelberger iGEM-Teams 2024. Bei der Themenwahl sind die Gruppen frei, unter der Voraussetzung, dass Ingenieurskunst mit Biologie verknüpft wird. Das Team gewann mit seinem Projekt “PICasSO” den Grand Prize und konnte sich somit gegen 190 andere universitäre Gruppen aus der ganzen Welt durchsetzen. Zuletzt gewann Heidelberg den Hauptpreis vor zehn Jahren. Die vorherige Forschungsgruppe aus Heidelberg hatte den Ansatz verfolgt Mischplastik mit modifizierten Bakterien abzubauen und war damit unter die Top10 ihrer Alterskategorie gekommen. Den Artikel zum Team 2023 liest du hier.
In ihrem Projekt schufen die 20 Studierenden eine Art Toolbox, um DNA neu zu falten. Sie tauften ihr Programm “PiCasSO”, eine elegante Abkürzung für “Plasmid-Integrated Cas–Stapled Origami”. Unser Erbgut besteht aus einer langen Kette von vier verschiedenen Bausteinen, den Nukleotiden. Häufig wird bei der DNA-Modifikation nur an die Veränderung der Abfolge der verschiedenen Nukleotide, also an die Primärstruktur, gedacht. Doch unser Erbgut liegt im natürlichen Zustand nicht als lange Kette vor, sondern ist zu einer 3D-Struktur aufgerollt. So können weit voneinander entfernte Genabschnitte in räumliche Nähe gebracht werden und es kann beeinflusst werden, wie aktiv diese Gene sind. Gene sind die Baupläne für Proteine, welche als Arbeiter:innen und Werkzeuge im Körper angesehen werden können. Sie transportieren und speichern Stoffe, ermöglichen Bewegung, übermitteln Nervenimpulse und sind kurzgesagt die Basis aller Funktionen und Prozesse im Körper. Den Bau dieser Werkzeuge beeinflussen zu können, durch Veränderung der räumlichen Anordnung der DNA, bietet also großes Potential. Die Änderung der räumlichen Struktur kann DNA-Abschnitte zum Beispiel unzugänglich machen, sodass das Protein, dessen Bauplan dort gespeichert ist, nicht mehr hergestellt werden kann.
“PiCasSo” nutzt CRISPR/Cas, eine Nobelpreis-gekrönte Methode, die eigentlich genutzt wird um DNA gezielt zu schneiden und ihre Abfolge zu verändern. “In unserem Fall wird die Genschere allerdings nicht zum Schneiden, sondern zum Tackern verwendet,” erklärt Simon. Das System besteht aus drei Komponenten: zwei Proteinen, die die Funktion des Tackerns übernehmen (dCas9 und dCas12a), sowie eine Kette an Bausteinen, ähnlich zur DNA, die als Navigator dient (fgRNA). Die fgRNA bestimmt also mit ihrer Abfolge an Bausteinen, wo getackert wird und ist dementsprechend anpassbar.
Das Grundprinzip von “PiCasSO” basiert auf einem Mechanismus, der in der Natur bereits existiert und erforscht wurde. Es gibt Mediator-Proteine, welche das Gleiche tun wie “PiCasSO”: Sie bringen im Zellkern Enhancer in räumliche Nähe zu dem Gen. Als Enhancer werden DNA-Abschnitte bezeichnet, die die Expression eines Gens verstärken. Die natürlich vorkommenden Mediator-Proteine sind allerdings auf jeweils nur eine Region spezialisiert. “PiCasSO” kann hingegen nach Belieben angepasst werden, wodurch alle möglichen Gene verstärkt werden können.
Das Maskottchen des Teams ist ein Plüsch-Chamäleon, weil es “so wandelbar wie unser Cas-Tacker ist,” so Simon. Beim Finale des Wettbewerbs in Paris trugen alle Teammitglieder ein Chamäleon auf der Schulter, während sie auf der Bühne standen.
Das Finale ist als große Messe aufgezogen, bei der jedes Team einen eigenen Stand hat und dort Besucher:innen und Mitgliedern anderer Teams erklärt, worum es im eigenen Projekt geht. Die drei besten Teams in der jeweiligen Alterskategorie tragen ihre Projekte dann vor allen auf der Hauptbühne vor. Erfahren, dass sie dazu gehören, hat das Heidelberger Team beim gemeinsamen Abendessen. “Das Team hat dann erstmal das Restaurant mit Freudenrufen zusammengeschrien,“ grinst Simon. “Das Personal war etwas irritiert, hat uns aber gratis Shots versprochen, falls wir gewinnen.” Beim finalen Event hat das Team auch den Preis für die beste Wiki-Onlineseite. Zur Wiki-Seite des Teams gelangst du hier.
Der Grand Prize hat die Form eines Klemmbausteins und ist ein Wanderpokal in den die Namen der Gewinnerteams der letzten Jahre eingraviert sind. Wer die Preise persönlich bestaunen möchte, kann das im vierten Stock des Instituts für Pharmazie und molekulare Biotechnologie im Neuenheimer Feld tun.
Kaum ist das Projekt vorbei, gehen schon die Planungen für das kommende Jahr los. Gebraucht werden nicht nur Biolog:innen. Auch Grafiker:innen und Informatiker:innen sind für ein erfolgreiches Projekt von essenzieller Bedeutung.
Die Fußstapfen nach diesem Gewinn sind natürlich groß, doch das zukünftige Team wird sicherlich mit frischen Ideen, Leidenschaft und harter Arbeit an diesen Erfolg anknüpfen – und vielleicht sogar neue Maßstäbe setzen. Die gratis Shots hat sich das diesjährige Team jedenfalls verdient, wir sagen deshalb Glückwunsch und Prost.
Von Heinrike Gilles
...studiert molekulare Biotechnologie und ist seit dem Sommersemester 2023 beim ruprecht. Meistens schreibt sie wissenschaftliche Artikel oder über das studentische Leben. Seit November 2023 kümmert sie sich außerdem um die Website und den Instagram-Kanal des ruprecht.