Bei der Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl wurde es lustig, hitzig und still
Taschen werden kontrolliert, die Polizei ist informiert. Der Anlass ist eine Podiumsdiskussion mit zwölf Politiker:innen aus dem Wahlkreis Heidelberg: von ganz links bis ganz rechts und alles dazwischen, darunter Vertreter von CDU, SPD, Grünen, FDP, die Linke, sowie der AfD, BSW und weiteren Parteien.
Tage zuvor kursiert ein offener Brief, der den Ausschluss von AfD, CDU, BSW und der rechtskonservativen Kleinpartei Bündnis Deutschland fordert. Am Abend verteilt die Initiative Flugblätter, die irrtümlich auch die SPD auf der „Verbotsliste“ aufführen. Ein Druckfehler, heißt es, gemeint sei die FDP. “Wenn wir eine einladen, müssen wir alle einladen“, rechtfertigt sich die Verfasste Studierendenschaft und verweist auf das Landeshochschulgesetz, das politische Neutralität vorschreibt. Über das Eskalationspotential mit Gegenprotesten während der Veranstaltung haben sie auch nachgedacht.

Das Format der Diskussion ist simpel: Studierende stellen Fragen, die Politiker:innen dürfen 90 Sekunden lang antworten. Die Fragen dürfen an bis zu drei Parteien gerichtet werden. “Ungefragt” dürfen Vertreter:innen der Parteien nur 20 Sekunden sprechen. Von diesen Rede-Jokern hat jede Partei drei Stück. Die Debatte bleibt über weite Strecken sachlich. Studentische Themen wie Studienfinanzierung, hohe Mieten und wirtschaftliche Standortpolitik stehen im Mittelpunkt. Auch Antisemitismus an Universitäten wird angesprochen. In der Ukraine-Frage bilden die Parteien eine klare Front, nur das BSW stellt sich quer. Migration und Klima bleiben unerwartet außen vor.
Deutlich ist die Ablehnung gegenüber der AfD spürbar, auch wenn Proteste nur stumm geäußert werden. Nach den Redebeiträgen des AfD-Direktkandidaten Malte Kaufmann herrscht Totenstille, nur eine einzige Person klatscht laut, eine bittere Situationskomik. Als weiteres Zeichen der Ablehnung werden Schilder mit “Bla Bla Bla” und “-∞ Aura” hochgehalten.

In anderen Momenten sorgt die Debatte für Heiterkeit: ein scharfzüngiger Schlagabtausch über das “Urheberrecht” des Deutschlandtickets oder der MLPD-Kandidat, der sich als „einziger Arbeiter“ im Saal bezeichnet, nur um im nächsten Moment von der Die Partei-Vertreterin gekontert zu werden.
Die Redeanteile sind ungleich verteilt. CDU, die Linke und Grüne werden häufig direkt adressiert, während kleinere Parteien wie die Freien Wähler oder Bündnis Deutschland und auch das BSW meist nur über Joker zu Wort kommen.
Gegen Ende wird die Debatte emotionaler. Lauter Beifall ertönt für die populistische Forderung der Linken “das Geld von den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben”. Der Vertreter der MLPD skandiert, der Sozialismus sei nicht gescheitert, sondern verraten worden. Dass die Kleinpartei wegen solcher links-extremistischen Parolen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, scheint nicht alle zu stören. Immer wieder gibt es für Redebeiträge der MLPD lauten Applaus.
Beim Thema Abtreibung entstehen hitzige Diskussionen. Alexander Föhr von der CDU spricht sich für die Beibehaltung des §218 StGB unter dem Gebot des Ungeborenen-Schutzes ab der 12. Schwangerschaftswoche aus, auch Tim Nusser von der FDP spricht von einem Kulturkampf kurz vor der Wahl und bekommt besonders von den Linken und dem Publikum Gegenwind zu spüren.

Nach zwei Stunden ist die Diskussion vorbei – doch nicht der Abend. Eine Gruppe Studierender betritt die Bühne, skandiert Parolen gegen Rechts. Eine spontane Demonstration formiert sich. Kaufmann verschwindet zügig, abgeschirmt durch Sicherheitspersonal. Die Organisatoren bleiben ruhig, Eingriffe sind nicht nötig.

Den Protest empfand der Stura als völlig im Rahmen.* “Wir hätten uns einen besseren Verlauf der Veranstaltung im Vorfeld nicht vorstellen können”. Das akademische Publikum der Universität Heidelberg hat sich mal wieder für eine Demokratie des Wortes, nicht der Faust und der Hetze ausgesprochen, wo auch die Kontroverse im Podiumslicht diplomatisch ausgetragen werden kann.
Von Andreea Surugiu
* Korrektur: Formulierung wurde auf Anfrage des StuRas angepasst

...beobachtet gerne, schreibt über Menschen und studiert Medizin. Die Welt wird durch das Schreiben kohärenter, ertragbarer, schöner.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.