Der deutsche Wald produziert mehr CO2 als er speichert. Der ruprecht sprach mit Heidelbergs Stadtforstdirektor, Tillmann Friederich, und Klaus-Dieter Hupke, Naturschützer und bis vor kurzem Professor für Geographie an der PH. Ein Gespräch über Möglichkeiten und Grenzen unserer Wälder
Ganz grundsätzlich, wozu ist der Wald nach Ihrem Verständnis überhaupt da?
Hupke: Zunächst ist wichtig zu verstehen, dass der Wald keine Naturform mehr ist, wenn man strikte Definitionen anwendet. Er ist schon seit vielen Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden, ein menschlich geprägter Raum, ein kultureller Raum. Andererseits ist der Wald trotzdem noch Lebensraum für Pflanzen und Tiere und unser größter, oft ja auch recht naturnah erscheinender Teilraum. Der NABU ist eine Naturschutzorganisation. Wir beschäftigen uns also mit dem Erhalt biologischer Vielfalt, mit Biodiversität. Jedes Lebewesen braucht einen Lebensraum. Der Erhalt von diesen bedeutet damit auch den Erhalt der Tiere, Pflanzen und Pilze, die dort ansässig sind.
Friederich: Genau, der Wald ist keine unberührte Natur mehr. Er ist ein gewisses Kunstprodukt. Aber das macht ihn für mich nicht weniger wertvoll, ganz im Gegenteil. Als deutsche Förster:innen haben wir einen multifunktionalen Blick auf den Wald. Es gibt nicht die eine, alles überragende Funktion. Von dem ursprünglichen Ansatz, so viel Holz zu ernten, wie möglich, haben wir uns weit entfernt. Dafür sind ganz andere Funktionen hinzugetreten. In Heidelberg spielt insbesondere die Erholungsfunktion eine ganz, ganz wichtige Rolle.
Nach den Ergebnissen der letzten Bundeswaldinventur ist der deutsche Wald zur Kohlenstoffquelle geworden. Die Regierung hat den Wald jedoch als feste CO2-Senke in ihren Klimamodellen eingerechnet. Diese fällt jetzt weg. Wo steht der Wald in diesem Kontext?
Hupke: Die großen Klimasenken sind diejenigen natürlichen oder quasinatürlichen Systeme, von denen Kohlenstoff auf Dauer gebunden wird. In einem Korallenriff findet zum Beispiel Kohlenstofffixierung über Jahrmillionen hinweg statt. So etwas haben wir im Wald nicht. Der Wald ist ein Kohlenstofffixierer, eine Kohlenstoffsenke, vorübergehend – während er wächst. Wenn ein reifer Wald da ist, wird unter gewissen Zyklusschwankungen ein Gleichgewicht entstehen zwischen dem Neuaufbau von Holz aus dem CO2 der Luft und dessen erneutem Freiwerden durch Fäulnis.
Das würde dann heißen, dass der Wald prinzipiell gar keine Netto-Senke sein kann?
Friederich: Auf Dauer nicht. Jedenfalls nicht, wenn er einfach vor sich hinwächst und verrottet.
Hupke: Das sehe ich auch so. Eine Ausnahme sind allerdings die Moore, wenn man die noch zu den Wäldern zählen will. Moore fixieren Kohlenstoff als Torf unter einem extrem sauren Milieu, in dem die Wirksamkeit von Destruenten, Bakterien und Pilzen, gehemmt wird. Und dort haben sich in unseren mitteleuropäischen Mooren seit 10.000 Jahren Holz oder andere pflanzliche Stoffe angesammelt. Diese wurden damit dauerhaft dem Kohlenstoffzyklus entzogen. Im Heidelberger Stadtgebiet haben wir die allerdings von Natur aus nicht in der Fläche.
Ist dann das allseits präsente Bild des klima- freundlichen Waldes eine Illusion?
Friederich: Wald ist schon gut für das Klima, das ist keine Illusion. Das Problem ist immer der zeitliche Versatz, von dem wir sprechen. Wir haben gerade von wirklich langen Zeiträumen gesprochen. Als Lebewesen, die um die 80 Jahre alt werden, nehmen wir da eher andere Zeiträume wahr. Das ist aber eigentlich zu kurz, um langfristige Aussagen über die Klimaleistungen von Wäldern zu treffen. Es gibt eine Art natürliches Sättigungsniveau, denn der Wald kann nicht unendlich dicht werden, irgendwann stirbt er ab. Deswegen ist der Wald als ganz langfristige „Klimamaschine“ nicht zu beobachten. Das gilt meiner Auffassung nach aber nur für den nicht bewirtschafteten Wald.
Kann man als Bürger:in angesichts der Berichte über die durch die Klimakrise geschwächten Wälder etwas konkretes tun? Und geht das über die politische Bewusstseinsarbeit hinaus?
Friederich: Ich glaube, man muss da realistisch bleiben. Der Wald ist ein riesiges Ökosystem. Da kann man gar nicht den Ansatz verfolgen, mit Man- und Womanpower den Wald gesund zu pflegen. Der muss das sozusagen aus eigener Kraft schaffen – und mit unseren forstbetrieblichen Maßnahmen tragen wir dazu bei, dass das Ökosystem möglichst resilient gegenüber Klimaveränderungen ist. Aber was können Bürger:innen tun? Wenn wir alle darauf achten, unseren CO2-Ausstoß kleinzuhalten, drehen wir als Bürger:in minimal am „ganz großen Rad“. Lokal hat das aber keine Wirkung. Daher ist hier vor allem Bildung wichtig, um Bewusstsein zu schaffen. Aber ich will eben nicht den Eindruck vermitteln: Stürmt alle in den Wald und gießt die einzelnen Bäume.
Hupke: Ich würde Herrn Friederich völlig beipflichten. Das eigentlich Entscheidende ist das große Rad. Der Wald kann das Klima nicht retten. Wir müssen endlich die Verbrennung fossiler Energiequellen in den Griff bekommen. Der Wald und auch unser Umgang mit ihm kann nur einen ganz kleinen Beitrag leisten. Wir sollten und müssen ihn aus ganz anderen Gründen unbedingt erhalten.
Wie kann der unter Druck stehende Wald denn zukunftssicherer gemacht werden?
Hupke: Um klimaresistente Wälder aufzubauen, will der NABU die Naturverjüngung gewähren lassen. Also zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Baumarten hochwachsen lassen. Das müssen natürlich nicht unbedingt die Baumarten sein, die dem Klima in ein paar Jahrzehnten angepasst sind. Aber nach dem, was wir wissen, haben Bäume auch eine gewisse Resilienz gegenüber Klimaschwankungen. Für die nächsten 20 Jahre, die wir tatsächlich überblicken können, würden wir mit Naturverjüngung schon ganz gute Arbeit leisten. Was darauf folgt, können wir nicht wissen: Wir wissen nicht, wie das Klima sich tatsächlich entwickelt und ob die Menschheit es fertigbringt, den CO2-Ausstoß signifikant zu verringern. Aktuell sieht es nicht danach aus.
Friederich: Da sind wir in einigen Punkten anderer Meinung. Es ist völlig unstrittig, dass der Wald nicht das Klima rettet. Darin, wie klein dessen Beitrag ist, wäre ich mir allerdings nicht so sicher. Ich glaube schon, dass der Wald, gerade in Mitteleuropa, die eine wesentliche Einflussgröße ist, die wir noch haben. Und wenn wir es mit der dekarbonisierten Gesellschaft ernst meinen, dann geht es nicht ohne Holz. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat sich viele Gedanken darüber gemacht: Die Idee ist auch, dass wir mit Holz Baustoffe substituieren können, die wahnsinnig klimaschädlich sind, wie Zement oder Stahl. Das müssten wir dann aber tatsächlich auch machen. Daher bin ich der Auffassung, dass wir eine große Verantwortung haben, den Rohstoff Holz auf eine kluge Weise einzusetzen – zum Schutz des Klimas.
Könnte man durch aktive Holznutzung beim Bau oder für andere Produkte eine langfristige Speicherwirkung erreichen?
Friederich: Natürlich. Es gibt die natürliche Sphäre des Kohlenstoffs im Ökosystem, die ist insgesamt ausgeglichen. Und dann können wir als Menschen unsere technische Sphäre andocken, über Holzprodukte zum Beispiel. Die Gestühle von Kirchtürmen sind teilweise aus dem Mittelalter, das sind so die ältesten, langlebigsten Holzprodukte. Jetzt ist jedem klar, dass die wenigsten gefällten Bäume zu Dachstühlen von Kirchtürmen weiterverarbeitet werden. Aber auch solange andere technische Produkte bestehen, ist der in ihnen gebundene Kohlenstoff nicht klimawirksam. Es gibt also eine Art technischen Produktspeicher von Kohlenstoff, der allerdings auch begrenzt ist. Wichtig ist daher vor allem die Substitutionsleistung, denn wenn ich ein Haus aus Holz gebaut habe, habe ich es nicht aus Zement gebaut.
Das Gespräch führte Charlotte Breitfeld
...schreibt über Wissenschaft und Politik und am liebsten über beides in einem. Sie interessiert sich für alles, was zusammenhängt – so auch in ihrem Studienfach, den Biowissenschaften. Für den ruprecht schreibt sie seit dem Sommersemester '24.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.