… wer war das? Unsere Reihe zum Matilda-Effekt
Die vergessene „Mutter der Kernspaltung“ kam 1878 in Wien zur Welt und entwickelte schon früh eine große Leidenschaft für die Wissenschaft, in der sie später Großes vollbringen würde.
Trotz der Hürden für Frauen in der akademischen Welt studierte sie Mathematik, Physik und Philosophie in Wien und promovierte, als zweite Frau jemals, im Fach Physik. Anschließend zog sie nach Berlin, wo sie ebenfalls als eine der ersten Frauen zu den Vorlesungen von Max Planck zum Thema Radiophysik zugelassen wurde und den Chemiker und Naturforscher Otto Hahn kennenlernte. Gemeinsam forschten sie jahrelang an Kernstrukturen und entdeckten 1909 den radioaktiven Rückstoß. Dieser passiert, wenn bei radioaktivem Zerfall Kernteilchen ausgestoßen werden und der verbleibende Kern eine Rückstoßbewegung erfährt.
Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft musste sie nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erst nach Österreich und dann nach Schweden fliehen. Trotz dieser Umstände setzte Lise Meitner ihre wissenschaftliche Arbeit fort. So formulierte sie mit ihrem Neffen Otto Frisch 1939 die erste theoretische Deutung einer Kernspaltung: Nach Neutronenbeschuss zerfällt ein Urankern und gibt dabei radioaktive Strahlung ab. Mit dieser Erkenntnis legten sie den Grundstein für Kernenergie, aber auch für den Bau der Atombombe.
Für die Entdeckung der Kernspaltung erhielt allein Otto Hahn 1944 den Nobelpreis für Chemie, obwohl Meitner maßgeblich an der Forschung beteiligt war. Damit ist sie ein Fall des sogenannten Matilda-Effekts, der beschreibt, wie die Beiträge von Wissenschaftlerinnen systematisch verdrängt oder ihren männlichen Kollegen zugerechnet werden.
Ihre außerordentlichen Leistungen wurden erst viel später gewürdigt, ironischerweise unter anderem mit dem Otto-Hahn-Preis. Das chemische Element Meitnerium wurde nach ihr benannt. Meitner setzte sich ihr gesamtes Leben für eine friedliche Verwendung der Atomspaltung ein und war gegen den Bau einer Atombombe. Als Pionierin der Radiophysik und für die Repräsentation von Frauen in der Wissenschaft, sollte sie nicht übersehen werden.
von Michelle Kochno
...studiert Politikwissenschaften und öffentliches Recht. Beim ruprecht ist sie seit Januar 2024 und scheibt am liebsten über Wort und Kultur.
...studiert Biowissenschaften und schreibt … nichts. Er layoutet und illustriert seit 2023 für den ruprecht.