Sie war die Kleingeldprinzessin und zog mit den Stadtpiraten durch die Straßen. Nun weg von der Kleinkunst! Musikerin Dota Kehr im Interview.
Du bist jetzt gerade als Dota auf Tour. Was ist aus deinen Stadtpiraten geworden?
Dota Kehr: Die Stadtpiraten heißen nicht mehr Stadtpiraten, weil sie nicht mehr so heißen wollten.
Warum hießen sie denn mal so?
Warum, ja warum eigentlich? Weil wir damals dachten, es passe gut zur Kleingeldprinzessin, aber dann fanden wir ziemlich bald beides zu kindertheatermäßig.
Wenn sich jetzt eure Geschmäcker, was Namen betrifft, so verändert haben, haben sie sich auch eure Musik betreffend verändert?
Wir sind vor allem von der Kleinkunstecke weggekommen. Am Anfang war das alles sehr viel akustischer. Unser Hörverhalten hat sich einfach verändert. Mir persönlich geht es so, ich hatte vor zehn Jahren ziemlich große Berührungsängste mit Synthesizerklängen und inzwischen gefällt mir das gut.
Habt ihr inhaltlich auch neue Ideen und Themen gefunden?
Da würde ich über die Jahre keine Veränderung sehen. Klar, die eigenen Ansprüche an die eigenen Texte wachsen auch ständig. Irgendwie liegt die Latte immer höher. Früher habe ich einfach alles veröffentlicht, jetzt wähle ich eher aus.
Inhaltlich gesehen habe ich schon immer politische, aber auch persönliche Texte geschrieben. Vor allem ist es mir wichtig, vielseitig zu schreiben. Ich finde es sehr ermüdend, einen ganzen Abend Lieder über „Ich und du“ zu hören – reicht mir nicht. Aber ich würde mir auch nicht den ganzen Abend ein politisches Lied nach dem anderen anhören wollen.
Da du gerade die Politik ansprichst – die politische Lage macht im Moment wenig Mut. Hast du manchmal Resignationsmomente? Oder hast du das Gefühl, dass man immer etwas tun muss?
Klar spielt Resignation immer eine Rolle und ist auch Thema für Lieder, aber grundsätzlich würde ich eher dem zweiten zustimmen: Dass man immer was tun muss!
Wenn ich morgens die Zeitung aufschlage, überkommt mich das Frustgefühl und mein Tag fängt schlecht an.
Das Gefühl habe ich aber auch!
Was machst du dagegen?
Nix! Man muss das Gefühl so annehmen und damit umgehen. Es gibt Situationen, in denen es sinnvoll ist zu protestieren. Das ist ein wichtiger Teil demokratischer Partizipation.
Sind dann deine politischen Lieder eine Form von Protest?
Von Protest? Eine Form von Ausdruck, dass ich dem eine Formulierung gebe, was mich beschäftigt und was auch oft andere Leute beschäftigt. Ob man das schon Protest nennen kann? Ich schreibe selten Lieder gegen irgendwas. Vielleicht mehr für etwas …
Der Titel „Vergiftet“ von der neuen Platte spricht sich schon gegen etwas aus.
Ja, stimmt. Das Thema des Liedes ist im weiteren Sinne Umweltverschmutzung. Aber im engeren Sinne, was es mit einem macht. Also das, was es mit dem einzelnen Menschen macht: Verunsichert zu sein darüber, was sicher ist. Dass überall irgendwelche Gifte drinnen sein könnten.
Es geht also eher um die eigene Reaktion auf die politische Situation als darum, Ratschläge zu geben.
Genau. Da wo es im Individuum stattfindet, das ist ein besseres Thema für ein Lied als das große Ganze.
Glaubst du, dass man politisch etwas auslösen kann mit einem Lied?
Ich halte es nicht für ausgeschlossen. Ein Lied verändert immer die Welt in dem Raum, in dem es gespielt wird.
Vermisst Du in Deutschland eine Tradition politischer Liedermacher?
Absolut!
Du hast eine Weile in Brasilien gelebt? Gab es das dort mehr?
Ja, in Brasilien gab es mindestens an zwei Stellen richtige Überschneidungen in die Politik. Also bekannte Musiker, die dann in der Politik aktiv geworden sind: Gilberto Gil als Kultusminister auf föderaler Ebene und Chico Cesar als Kultursenator in Paraiba. Das gibt es also auch.
Aus welchen Gründen bist du damals nach Brasilien gegangen?
Ich wollte mehr über die Sprache und über die Musik lernen. Dann hatte ich das Glück dort tolle Musiker kennenzulernen. Also das war nicht nur Glück, ich habe auch viel gearbeitet (lacht).
Etwas ganz anderes: Bist du eigentlich witzig?
Das sollten wohl andere Leute beurteilen. Ich glaube, ja. Zumindest glaube ich, dass sich die Leute bei den Konzerten gut unterhalten fühlen.
Ist Humor in Musik für dich eine große Sache?
Total, find’ ich super. Ich mag das sehr. Aber mir ist, wie gesagt, Abwechslung wichtig. Wenn alles an dem Konzert darauf ausgelegt ist, dass es lustig ist, finde ich das nicht sonderlich spannend. Es ist interessanter, wenn jedes Lied für sich stehen kann.
Eine Frage zum Liederschreiben: Wie läuft das ab?
Ich schreib immer ganz viele Ideen auf, wenn sie mir gerade einfallen. Dann muss ich mich aber zurückziehen und fahre weg. Da mache ich von morgens bis abends nichts anderes, als an den Stücken zu arbeiten.
Schreibst du alleine? Das klingt nach einem sehr einsamen Prozess.
Ich schreibe schon alleine, aber alleine wegzufahren, das wäre mir dann zu krass. Ich bin oft mit Max Prosa weggefahren. Dann schreibt er an seinen Sachen, ich an meinen. Abends kochen wir etwas, trinken ein Glas Wein und spielen uns gegenseitig vor, woran wir gerade arbeiten.
Inspiriert das gegenseitig?
Total. Es ist sehr wichtig, was er zu meinen Liedern sagt und ich denke es ist ihm auch wichtig, was ich zu seinen sage. Irgendwo arbeitet jeder für sich alleine, aber es ist schön, das gemeinsam zu machen.
Mir ist aufgefallen, dass du viel für deine Texte gelobt wirst, dafür bekommst du auch viele Preise. Hast du manchmal das Gefühl, als Musikerin auf deine Texte reduziert zu werden?
Ja! Ein bisschen. Und ich finde es schade. Gerade beim aktuellen Album würde ich es sehr begrüßen, wenn die Leute mehr über die Musik reden würden, denn ich glaube sie ist gut gelungen.
Eine banale Sache zum Schluss: Warst du schon mal in Heidelberg?
Ob ich schon mal in Heidelberg war? Klar war ich schon mal in Heidelberg! Das erste Mal habe ich in der Bosseldorn-WG gespielt. Das war eine ziemlich große Studenten-WG. Da hatte ich einen Auftritt bei deren Gartenfest. Das nächste Mal waren wir in der Villa Nachttanz, dann im Karlstorbahnhof und dann in der Halle02. Da spielen wir jetzt auch wieder.
Alle Stationen abgelaufen von der WG bis zur Halle.
Es fing auch wirklich schön bei den Wurzeln an.
Das Gespräch führten Christina Deinsberger und Anna Vollmer