Weniger als die Hälfte der Studierenden schafft ihr Studium in der ihnen vorgegebenen Studienzeit. Das kann für BAföG-Empfänger zum Problem werden
Gerade einmal 40 Prozent der Studierenden absolvierten 2014 im Bundesdurchschnitt ihr Studium in Regelstudienzeit. Das geht aus einem Anfang Juni veröffentlichten Bericht des Statistischen Bundesamtes hervor.
Dabei erlangten 46 Prozent der Bachelorabsolventen ihren Abschluss in der vorgesehenen Studienzeit von sechs Semestern an Volluniversitäten beziehungsweise acht Semestern an Fachhochschulen. Lediglich 34 Prozent der Master-Absolventen erlangten ihr Prädikat in der Regelstudienzeit von vier Semestern. Immerhin können zwei Semester nach der vorgesehenen Studiendauer im Durchschnitt 85 Prozent der Bachelor-Absolventen und 87 Prozent der Master-Absolventen ihren Abschluss vorweisen.
Innerhalb der Regelstudienzeit zu studieren, ist insbesondere für den Leistungsanspruch der Studierenden im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) entscheidend: Die Gewährung von BAföG-Leistungen erfolgt nur unter engen Voraussetzungen über die Regelstudienzeit hinaus.
„Mit den aktuellen Zahlen kann von Regel keine Rede sein, wenn 60 Prozent der Studierenden mehr als die offiziell ausgewiesene Regelstudienzeit brauchen“, kommentiert Ben Seel, Vorstandsmitglied des Freien Zusammenschluss von Studierendenschaften (fzs), den Befund des Statistischen Bundesamtes. Die Kopplung der staatlichen Studienfinanzierung bewertet Seel als „fatal“. Da die Verknüpfung von Studiendauer und BAföG viele Studierende in Finanzierungsschwierigkeiten bringe, habe sie den Charakter eines „Studienabbruchprogramms“. Die im Idealfall einzuhaltende Studienzeit legen jeweils die Verantwortlichen der Studiengänge fest. Ursprünglich wurde die Regelstudienzeit im Rahmen der Bologna-Reform eingeführt, um Studierende während ihres Studiums vor der Auflösung ihres Studiengangs zu schützen.
Ein längeres Studium kann laut dem Studierendenwerk Heidelberg verschiedene Gründe haben. „Neben akuten wie chronischen Erkrankungen, einem Handicap, das eine längere Studiendauer mit sich bringen kann, Schwangerschaft oder Kindererziehung spielt auch das Nichtbestehen von Studienleistungen eine Rolle“, so Nora Gottbrath, Referentin der Geschäftsführerin des Studierendenwerks Heidelberg.
Peter Zervakis, Projektkoordinator im Projekt nexus der Hochschulrektorenkonferenz, nennt weitere Gründe: „Ein großer Teil der Studierenden jobbt neben dem Studium, nicht wenige sind darauf angewiesen. Andere pflegen Angehörige oder haben bereits eine eigene Familie. Auch Praktika, Auslandsaufenthalte oder eine aufwendige Abschlussarbeit können dazu führen, dass sich das Studium um ein oder zwei Semester verlängert. Es kommt leider auch vor, dass eine Hochschule in einem Semester nicht allen Studierenden einen Platz in einem Pflichtkurs anbieten kann, weil zum Beispiel Laborplätze fehlen.“ Allerdings könne unter Angabe der vom Studierendenwerk benannten Gründe – mit Ausnahme des Nichtbestehens von Prüfungsleistungen – eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer gerechtfertigt werden, so Gottbrath. Eine Studienfinanzierung über die Regelstudienzeit hinaus sei so möglich. Die Verweildauer im Wohnheim stehe nicht im Zusammenhang mit der Regelstudienzeit, die Mietzeit beträgt unabhängig davon sechs Semester und kann durch Arbeiten im Haus verlängert werden.
Es kann keine vorgefertigten Bildungskarrieren geben
Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sieht Schwierigkeiten, konkrete Ursachen der oftmals überschrittenen Regelstudienzeit auszumachen. „Menschen bringen unterschiedliche Ziele, Interessen und Voraussetzungen mit. Deshalb kann es keine vorgefertigten Bildungskarrieren geben“, konstatiert Denise Burgert, stellvertretende Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums. Man wolle sich deswegen mehr dafür einsetzen, den individuellen Bedürfnissen der Studierenden Rechnung zu tragen. Eine Flexibilisierung des Studiums soll vor allem durch das Programm „Studienmodelle individueller Geschwindigkeit“ ermöglicht werden. Nach einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) betrug das Fördervolumen dieses Programms an der Universität Heidelberg im Zeitraum von 2013 bis 2015 etwa 334 000 Euro und wurde insbesondere von Studierenden mit Kind genutzt. Das DZHW kritisierte aber, dass das Programm insgesamt nur von wenigen Studierenden genutzt würde und nicht BAföG-kompatibel sei.
Zervakis sieht die verbreitete Überschreitung der vorgesehenen Studienzeit gelassen. „Wenn 85 Prozent der Bachelorabschlüsse und 87 Prozent der Masterabschlüsse innerhalb der Regelstudienzeit plus zwei Semester erworben werden, besteht auch kein Anlass zur Sorge. Wenn Studierende über den berühmten Tellerrand schauen und sich dafür die Zeit nehmen, ist dies besser als ein um jeden Preis in der Regelstudienzeit absolviertes Studium“, erklärt er. Man sei sich in der Hochschulrektorenkonferenz aber auch bewusst, dass eine Flexibilisierung des Studiums stattfinden müsse. Dies solle mit individuellen Regelungen zum Teilzeitstudium und einem flexibleren BAföG erreicht werden.
Von Tim Schinschick