Unsere Autorin ist single und gar nicht so unglücklich. Doch könnte nicht alles viel schöner sein? Ein Ausflug in die Welt des Datings
Eine Spritztour in den Fünfzigerjahren. Der reiche südafrikanische Ölmagnat Tony de Boers verliert sein Herz in Heidelberg und verliebt sich Hals über Kopf in die mittellose Klavierspielerin Hella, die er am Straßenrand aufsammelt. Mehr Romantik geht nicht. Solche Geschichten, das lehrt die Erfahrung, gibt es allerdings meistens nur im Film. In meinem Leben geht es deutlich profaner zu. Bloß: Ist das so schlimm?
Ein Drittel aller deutschen Erwachsenen ist single. Das sind viele. Zu viele, wenn man all den Zeitschriften und Partnerbörsen trauen darf, die versprechen: „So findest du deinen Traummann!“ und gleich davon ausgehen, man wolle das auch. Single-Sein wird von der Mehrheit nicht als neutral bewertet, sondern als ein temporärer Zustand, der möglichst bald behoben werden muss. Wer allein ist, muss doch auch einsam sein! Abgesehen davon, dass ich dieser Annahme keineswegs zustimme, bin ich kein großer Fan der aktiven Suche nach der Liebe. Ich war noch nie auf einer Online-Partnerbörse angemeldet. Dates finde ich unangenehm. Doch vielleicht sollte man nicht vorschnell urteilen. Um nicht Schuld an meinem eigenen Unglück zu sein, wage ich einen kleinen Ausflug in die Welt des Datings.
Höre ich mich in meinem Bekanntenkreis um, verspricht „Tinder“ große Erfolge. Eine ganze Reihe von Leuten findet dort scheinbar nicht nur Sex, sondern auch die Liebe. Leider bin ich ein altmodischer Mensch. Ich besitze kein Smartphone und die Idee, Menschen auf meinem Telefon wegzuwischen, gefällt mir nicht. Es muss andere Möglichkeiten geben.
Speed-Dating zum Beispiel. Das funktioniert ein bisschen wie Tinder, nur analog. Man trifft verschiedene Gesprächspartner, redet kurz und kann danach entscheiden, wen man wieder sehen möchte. Geht es der anderen Person genauso, bekommt man die jeweiligen Kontaktdaten. Das muss nun also ausprobiert werden. Ich google „Speed-Daten Heidelberg“, der nächste Termin ist gleich am folgenden Tag. 18,50 Euro kostet es, zahlen kann man in bar. Oben auf der Seite steht: „Wer einsam bleibt, ist selber schuld!“ In meiner Bestätigungsmail werden mir Fotos angezeigt. „Kennst du schon diese Singles?“ Ich klicke einen von ihnen an und werde auf sein Profil weitergeleitet. Sein Foto ist verschwommen, will ich mehr sehen, muss ich zahlen. Bei seinem Beziehungsstatus steht „gebunden“. Ich beschließe, mich weiterhin auf die nicht-virtuelle Art der Kontaktaufnahme zu konzentrieren.
Also ich sag jetzt erst einmal ein bisschen was zu mir
Das Daten findet im „Zapata“ statt, einem eher lausigen Restaurant am Hauptbahnhof. Eine Gruppe Menschen steht verkrampft vor dem Seiteneingang – die Singles. Seltsame Situation. Darf man jetzt reden oder geht dann das Konzept kaputt? Sieben Minuten pro Person. Dann klingelt das Glöckchen und der nächste Gesprächspartner ist dran, die Frauen bleiben sitzen, die Männer ziehen weiter. Wir gehen hinein, ein Raum des Restaurants ist gänzlich für die Partnersuche reserviert. Zehn kleine Tische, meiner wackelt. In keinem der folgenden Gespräche wird diese Tatsache unerwähnt bleiben. Meist mit einem „Ach Mensch, du Arme!“, ich glaube, das soll das Eis brechen. Es gibt ein Freigetränk pro Person – Sekt, Sekt-Orange, Orangensaft? Mein Gegenüber und ich schauen uns an, verstehen uns: Sekt. Auf jeden Fall! Gemeinsam nervös, das ist doch schon mal etwas, worüber man reden kann. Trotzdem ist das Klingeln eine wahre Erlösung.
Erst nach ein paar Malen werde ich lockerer, stelle interessantere Fragen, scherze mutiger. Auf einmal ist es fast wie ein Spiel. Und noch einer! Es geht rasend schnell um, man verliert fast den Überblick. Zum Glück habe ich meinen Datingzettel, auf dem ich mir Notizen zu meinem Gegenüber machen kann. Auf der einen Seite ist ein Mann, auf der anderen eine Frau abgebildet, neben beiden stehen scheinbar nützliche Tipps für das jeweilige Geschlecht. Keine Scheu vor Klischees! Verlangt beispielsweise die Frau nach der Beurteilung ihres Gewichts, sollten Männer diese Frage niemals beantworten. Weil Frauen ja grundsätzlich gleich in den ersten Minuten von einem gänzlich unbekannten Gesprächspartner wissen wollen, ob sie zu dick sind, oder?
Keinen der Teilnehmer habe ich schon einmal irgendwo gesehen – und das in Heidelberg, wo eine neue Bekanntschaft ja eigentlich selten eine richtig neue Bekanntschaft ist. Doch die meisten kommen nicht einmal aus der Stadt, sondern aus der umliegenden Gegend, einer ist gar aus Speyer angereist. Ein paar sind schon lange Single, andere haben sich erst kürzlich getrennt. Zwei haben ihre letzte längere Beziehung beim Speed- Dating kennengelernt. Es gibt die Routinierten („Also, ich sag erst mal ein bisschen was zu mir.“ Dreiminütige Zusammenfassung der bisherigen Karrierelaufbahn), die Schüchternen (eher schleppendes Gespräch über Spare Ribs), die Unkonventionellen. Ein paradiesvogelartiger Mathematiker (Notiz auf dem Zettel: „bunt“) geht ständig Daten. Als Sozialforschung. Er sagt: „Meine Lieblingsantwort auf die Frage ‚Was machst du in deiner Freizeit?‘ ist bisher: Saufen und im Internet surfen.“
Ich schlendere nach Hause und denke über gelungene und katastrophal gescheiterte Gespräche nach. Kann man flirten lernen? Es gibt zahlreiche Ratgeber und Coaches, die das behaupten. Im Internet stoße ich auf einen „Flirtcoach“, der seine Dienste im Raum Heidelberg-Karlsruhe anbietet. Stundensatz: 65 Euro plus Spesen. Ich suche nach einer günstigeren Alternative. In der Universitätsbibliothek finde ich den Ratgeber „Single sucht Frosch. So verkaufen Sie sich richtig. 120 Tipps für den perfekten Flirt“ von Jens Löser. Der ist „Top-Redner“ und „einer der profiliertesten Experten für Vertrieb in Deutschland.“
Genauso klingt sein Buch: „Unter ‚Sozialakquise‘ verstehen wir das aktive Kennenlernen einer Frau oder eines Mannes, also eines potenziellen Partners.“ Ich bin das Produkt, das angepriesen werden muss. Denn, seien wir mal ehrlich, wo ist der Unterschied, ob ich Gebrauchtwagen oder mich verkaufe? Jens Löser sagt: Es gibt keinen. Denn: „Irgendwie sind wir in der Sozialakquise ja auch Gebrauchtmenschenverkäufer.“ Das ist tatsächlich sein Ernst. Nach den fünf Bausteinen auf dem Weg zum Erfolg (Einstellung, Strategie, Prozesse, Methoden, Verkaufsgesprächsführung) bin ich nicht vorbereitet, sondern wütend. Abgesehen, dass seine Flirttipps wenig hilfreich sind („Nicht langweilig sein!“), sind sie meilenweit von allem entfernt, was ich mir unter gelungener zwischenmenschlicher Kommunikation vorstelle. Kein einziges Mal geht es tatsächlich um das Gegenüber. Der Leser ist der „Top-Verkäufer“, der einen „Kunden“ (potentiellen Partner) akquirieren muss. „Kunden wissen oft, was sie wollen, aber nicht, was sie brauchen. Sie wollen deshalb auch geführt werden“, heißt es an einer Stelle. Oder: „Top-Verkäufer greifen oben an! Sie haben im Gegensatz zu vielen durchschnittlichen Verkäufern keine Angst davor, direkt die Entscheider anzusprechen.“ Die Entscheider, das sind die Attraktiven, die, so Löser, zu oft allein bleiben. Eine interessante These. Der Cartoon unter dem Text zeigt eine pummelige Frau mit Brille, die sich debil grinsend darüber freut, dass ihr der Hof gemacht wird, während die schlanke Dame mit wallender Mähne allein in der Ecke heult.
Die Rezensionen auf Amazon sind positiv. Wenn Partnersuche heute so funktioniert, bleibe ich lieber allein.
Doch nicht verzagen. Vielleicht sollte man es auf dem klassischen Weg versuchen. In einer Bar. Einfach jemanden ansprechen. Ein Abend in der Unteren. Der Plan: Blickkontakt, Flirtsprüche ausprobieren. Dieser Vorsatz scheitert kläglich. Auch nach fünf Gratissekt im „Mohren“, wo sich doch eigentlich alles nur darum dreht, jemanden kennenzulernen, bringe ich es nicht über mich, lässig umherzuflirten. Dafür kann man Leute beobachten, die es besser können. Gleich zu Beginn begegnen wir einem jungen Mann, der seine Freundin vor fünf Jahren in der Halle getroffen hat. Sein Rat: „Es muss etwas Unvorhergesehenes passieren!“ Ein Freund habe ihn damals einfach in seine Zukünftige „reingeschubst“. Mir scheint das kein verlässlicher Erfolgsgarant zu sein, doch auch das Ansprechen bereitet ihm keine Mühe. „Geh einfach rüber!“ rät er meinem Begleiter und zeigt auf einen Mädchentisch. Macht es vor und ist eine Minute später schon vollends integriert. Ich schöpfe Mut und lasse mich auf eine Schnick-Schnack-Schnuck-Partie mit meinem Nachbarn ein.
Vielleicht treffen wir uns mal auf ein Hörnchen, also Croissant, also zum Frühstück?
Wir ziehen weiter in die Destille. Meiner Begleitung wird von einer Dame beherzt auf den Hintern gehauen. Von so viel Einsatz ist er ganz verschreckt. Schnell ins Hörnchen. Der Schnick-Schnack-Schnuck-Spieler ist plötzlich auch wieder da. „Vielleicht treffen wir uns mal auf ein Hörnchen, also Croissant, also zum Frühstück?“ Das ist Situationskomik, davon kann man lernen. Es ist ein lustiger, wirklich schöner Abend. Die Liebe des Lebens ist nicht dabei, aber doch ein paar nette Bekanntschaften. Es ist erstaunlich, wie viele Leute man trifft, wenn man sich einmal darauf einlässt.
Ähnliches sagt auch Maren Stephan, Psychologin und Single-Beraterin aus Neuenheim, die ich am nächsten Tag anrufe, um mir eine professionelle Meinung einzuholen. Menschen treffen könne man eigentlich überall, auch im Supermarkt oder im Bus. Dies vermittele sie auch den Klienten, die das Gefühl hätten, niemanden kennenzulernen. Die häufigsten Probleme seien aber andere: „Frauen klagen oft darüber, sich immer in den Falschen zu verlieben oder kommen von alten Beziehungen nicht los“, erzählt sie. Viele Männer dagegen „schaffen es nicht, eine an Land zu ziehen.“ Die Beratung sei deshalb immer sehr individuell. „Manche brauchen Flirttipps, bei anderen muss man nach Gründen suchen, warum sie sich nicht von einer Person lösen können.“ Stephan besteht darauf, das nicht als Therapie zu verstehen, sondern als Hilfestellung: „Single sein ist ja keine Krankheit, im Gegenteil, häufig ist es sogar sehr gesund, besonders zwischen zwei Beziehungen.“
Ich frage Stephan, ob das Internet die Liebe verändert habe. Zum Guten, zum Schlechten? „Es ist eine Möglichkeit mehr, Menschen kennenzulernen“, erklärt sie. Wer Bindungsprobleme habe, so glaubt sie, finde jedoch auch dort niemanden, wohingegen beziehungsbereite Menschen diese Hilfe gar nicht unbedingt nötig hätten. „Ein Problem ist vielleicht, dass sich die Auswahl an potentiellen Partnern so enorm vergrößert hat, dass es vielen noch schwerer fällt, sich auf eine Person festzulegen. Man denkt immer, dass irgendwo auf der Welt noch ein Besserer sein könnte.“
Grundsätzlich habe sich aber sehr wenig verändert: „Liebe und Partnerschaft sind schon immer wichtige Themen gewesen, nur ist das Alleinsein nun endlich enttabuisiert.“
Ich lege auf und bin beruhigt. Es gibt Hoffnung, auch ohne Ölmagnaten. Ehrlich gesagt bin ich mehr als froh, nicht darauf warten zu müssen, dass mich jemand aus meinem Single-Dasein erlöst, sondern mich selbst auf die Suche begeben zu können. Denn das macht ja häufig auch ganz schön viel Spaß.
Von Anna Vollmer