Verwirrte Dozierende, bürokratische Hürden, taktlose Fragen – als Transperson an der Universität braucht man vor allem starke Nerven
Die anderthalb Jahre, in denen ich schon als Mann gelebt habe, aber noch nicht so rüberkam oder so aussah, da hatte ich Angst.“ Ben* ist transsexuell. Der 22-jährige Lehramtsstudent aus Heidelberg lebt erst seit kurzem offen als Mann. Der Schritt war nicht einfach.
Seit den 1970ern haben Menschen in Deutschland die Möglichkeit, Namen und Geschlecht auf offiziellen Dokumenten zu ändern. Zirka 1600 stellten vergangenes Jahr einen Antrag. Ein solches Verfahren braucht Zeit. „Von dem Zeitpunkt, an dem ich meine Unterlagen eingereicht habe, bis ich meinen neuen Ausweis in der Hand hielt, hat es zehn Monate gedauert“, sagt Ben. Bevor er den Antrag stellen konnte, musste er sich ein Jahr lang „probeweise“ als Mann zeigen. Er brauchte zwei Gutachten.
„Das sind zwei Sitzungen von ein bis zwei Stunden. Man wird gebeten, vorher einen transbezogenen Lebenslauf zu schreiben“, erzählt Ben, „Das ist natürlich total komisch. Das sind fremde Menschen, die du noch nie zuvor gesehen hast. Du triffst sie dort zum ersten Mal und gleich sagen sie ‚jetzt erzählen Sie mir mal die intimsten Dinge über Ihre Kindheit‘. Mir fiel das nicht so schwer, weil meine Kindheit relativ schön war. Aber ich kann mir vorstellen, dass es für manche Leute schon ziemlich mies ist, noch mal alles durchkauen zu müssen.“
Die zwei Gutachten sollten belegen, dass er tatsächlich transsexuell ist. Dazu zählt in Deutschland eine Diagnose: Transsexualität wird als psychische Störung klassifiziert. Eine Praxis, die vom Europarat kritisiert wurde und 2017 abgeschafft werden soll. In Dänemark, Schweden und Malta wird bereits jetzt darauf verzichtet.
Lange Zeit war auch eine geschlechtsangleichende Operation Voraussetzung für Änderung von Namen und Geschlecht im Ausweis. Das Bundesverfassungsgericht erklärte den entsprechenden Absatz des Transsexuellengesetzes 2011 für verfassungswidrig. Der Zwang einer Operation verstieße gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Eine revidierte Fassung des Gesetzes gibt es bisher nicht, zurzeit ist ein Eingriff jedoch nicht notwendig.
Transsexualität ist in Deutschland eine Diagnose
Auch bei Anerkennung von nicht-binären Menschen sind uns andere Länder voraus. Das Gesetz fordert eine eindeutige Zuordnung als Mann oder Frau. Nicht-binäre Personen, die sich unabhängig von körperlichen Merkmalen, einem anderen oder auch keinem Geschlecht zugehörig fühlen, werden in Deutschland staatlich bisher nicht anerkannt. In Australien haben intersexuelle und nicht-binäre Personen die Möglichkeit in ihrem Ausweis „Geschlecht: unbestimmt“ anzugeben. Neben struktureller Diskriminierung wie dieser sehen sich Transpersonen häufig auch im Alltag gewalttätiger Transphobie ausgesetzt. Dazu zählen nicht nur körperliche Angriffe, sondern auch verbale, wie etwa die Bezeichnung von Transfrauen als „Transe“.
„Trans- und Intergeschlechtliche Personen erfahren auch an der Uni Heidelberg grundlegende Formen der Diskriminierung“, sagt das Referat für Frauen* und Non-Binary (FUN). Gemeinsam mit dem Queerreferat setzt es sich in der Hochschulpolitik für transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen ein.
„Es hat sich überhaupt nicht mutig angefühlt“
„Besonders dort, wo der Zugang zu Räumen aufgrund von Körpermerkmalen geregelt wird, kommt es zu Problemen: Welche Duschräume oder Umkleiden stehen Menschen zur Verfügung, die nach dem Hochschulsport sowohl in der Herren- als auch der Damenumkleide dumm angemacht werden? Keine. Das Gleiche gilt für Toiletten.“ Ausgrenzung begegnet Trans- und Interpersonen hier täglich. „Neutrale Sanitäreinrichtungen sind ein Wunsch, der im Gespräch von Betroffenen immer wieder geäußert wird.“ Besonders unangenehm ist es, „misgendert“ zu werden – also wenn Menschen Personalpronomen für ein anderes Geschlecht verwenden – insbesondere, wenn dies absichtlich geschieht. Unbeabsichtigtes Misgendern lässt sich in den meisten Fällen dadurch vermeiden, dass man Personen, die man kennenlernt, fragt, wie sie angesprochen werden wollen. Auch die pauschale Zuordnung von Merkmalen wie Brüsten, Bärten oder Kleidungsstücken zu vermeiden, hilft.
Seine Freunde gewöhnten sich schnell an seinen neuen Namen, erzählt Ben. Dozierende taten sich da etwas schwerer: Vor Semesterbeginn bat er sie, ihn mit seinem neuen Namen anzusprechen. „Einer hat auf eine E-Mail geantwortet: ,Aber das ist doch ein Männername?‘. Die meisten Leute haben es gar nicht auf dem Schirm, dass es das gibt.“
Als er einen neuen Studierendenausweis beantragen wollte, stieß er auf Verwirrung. „Ich bin mit meiner neuen Geburtsurkunde und dem Beschluss zur Studierendenadministration gegangen. Die studentische Hilfskraft war ziemlich überfordert.“ Im LSF war zunächst nur der Name geändert, Anrede und Anzeigebild waren jedoch noch immer weiblich.
Das FUN-Referat fordert auf administrativer Ebene ein Umdenken: „Ist die Angabe des Geschlechts oder des Vornamens auf der Klausur wirklich notwendig? Wir sagen: nein. Ob männlich, weiblich, trans, inter oder was-auch-immer ist für die Bewertung ganz egal.“ Das Queerreferat ergänzt: „Ebenfalls problematisch können längere Unterbrechungen des Studiums aufgrund von eventuellen geschlechtsangleichenden Maßnahmen sein. Wünschenswert wären hier entsprechend geschulte Ansprechpartner*innen an der Uni.“
Dennoch empfindet Ben die Universität als deutlich transfreundlicher, als seinen Heimatort. Die meisten Leute hätten eine offene Haltung, meint er. Auf sein Coming-Out erhielt Ben von Freunden vor allem positive Rückmeldungen: Sie bewunderten seinen Mut und das, obwohl er diesen gar nicht erkennen konnte: „Es hat sich überhaupt nicht mutig angefühlt. Ich hatte die ganze Zeit nur Angst“, gibt er zu. „Viele Leute denken von sich, dass sie tolerant sind, sagen dann aber Sachen, die den Menschen in dem Moment verletzen.“
„Hast du einen Penis? Wie hießt du früher? Wie haben deine Eltern reagiert?“ sind Fragen, die man einer cissexuellen Person, also jemanden der das Geschlecht hat, das bei der Geburt festgestellt wurde, nicht stellen würde. Sie greifen in die Privatsphäre von Transpersonen ein. Offen beleidigt worden ist Ben nicht. „Im Internet liest man aber immer wieder so Sachen. Gerade auf YouTube werden unter Trans-Videos ziemlich schlimme Dinge gepostet. Das liegt auch an der Anonymität, die man im Internet hat. Vielleicht denken sich manche Leute, die man trifft, ‚das finde ich falsch‘ oder ‚das ist gegen meine religiösen Vorstellungen‘, aber die sagen es nicht offen.“
Transsexualität ist nicht mehr das Tabuthema, das es war
Ben outet sich selten. „Jetzt ,passe‘ ich ja“, sagt er. „Also habe ich die Wahl es den Leuten zu sagen oder nicht zu sagen.“ Passing (von Englisch „to pass as something“) bedeutet, dass fremde Personen einem auf Anhieb das richtige Geschlecht zuordnen. „Ich mache das bei Konversationen, bei denen ich das Gefühl habe, ich müsste sonst lügen. Beispielsweise, wenn man über die eigene Schulzeit redet. Ich war ja immer im Mädchensportunterricht und ich wurde gefragt, was wir im Jungssport gemacht haben.“ Als eine Arbeitskollegin eine Kundin mit einer transphobischen Bezeichnung beschrieb, erzählte er ihr ebenfalls, dass er transsexuell ist.
„Ich versuche es immer dann zu sagen, wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas verändern könnte.“
Unsere Gesellschaft hat sich bereits ein wenig verändert. „Vor zehn, zwanzig Jahren gab es in den Medien nur stark sexualisierte Darstellungen von Transpersonen“, erinnert sich Danijel Cubelic von schwarzweiss e.V., „Heute ist das nicht nur so.“ Transsexualität ist nicht mehr das Tabuthema, das es war. Dennoch fehlt es in den Mainstream-Medien an Repräsentation. Wenn die Mehrzahl aller Figuren in Geschichten cissexuell sind, wird dies als die Norm angesehen. Menschen, die dieser Norm nicht entsprechen, haben es in der Realität schwierig respektiert und akzeptiert zu werden.
Dass es zu wenig Transcharaktere und -schauspielende im Fernsehen und Kino gibt, zeigt sich auch daran, dass viele keinen Unterschied zwischen Travestiekünstlern wie Conchita Wurst und tatsächlichen Transpersonen sehen. Im Gegensatz zu Transpersonen schlüpfen sie nur zeitweise in die Rolle eines anderen Geschlechts. Die fälschliche Annahme, dass Transfrauen einfach nur Männer in Kleidern sind, wird noch dadurch verstärkt, dass Filmrollen von Transfrauen häufig an Cismänner gehen. So zum Beispiel in „Dallas Buyers Club“ oder „The Danish Girl“, in dem die Geschichte von Lili Elbe verfilmt wurde – der ersten Transfrau, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzog.
Die Transgender Awareness Week soll für mehr Sichtbarkeit sorgen. Sie entstand in den 1990ern in den Vereinigten Staaten und entwickelte sich aus dem Transgender Day of Remembrance, an dem der Opfer transphobischer Gewalt gedacht wird. LGBTQIA-Organisationen (lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, queer, intersexuell und asexuell) weltweit machen in dieser Zeit auf die Ängste, Sorgen und Hoffnungen von Transpersonen aufmerksam – so auch in Heidelberg: zum zweiten Mal gibt es die Trans*aktionstage Rhein-Neckar.
Vom 14. bis zum 20. November finden in Heidelberg und Mannheim Workshops, Vorträge, Diskussionsrunden und eine Filmvorführung statt. Organisiert werden die Trans*aktions-tage von der Heidelberger Initiative Identität & Geschlechtlichkeit, schwarzweiss e.V., PLUS, dem Queerfeministischen Kollektiv Heidelberg, Wandlungsbedarf e.V. und dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Mit der Trans*aktionswoche sollen transbezogene Themen ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden. Alle Angebote der Trans*aktionswoche sind kostenlos. Nicht nur transgeschlechtliche Menschen sind eingeladen. Ein Workshop zum Thema körperpositives Sportangebot richtet sich an alle, die aufgrund ihrer Abweichung von körperlichen Normen Diskriminierung erfahren oder erfahren haben. „Wir versuchen, intersektional zu denken“, so Cubelic. Die Aktion wird von den Städten Heidelberg und Mannheim unterstützt.
Der neugegründete Runde Tisch für sexuelle Vielfalt soll für Vernetzung auf städtischer Ebene sorgen. Auch andere Organisationen bieten in Heidelberg Treffen für Menschen an, die LGBTQIA sind. Neben größeren Events wie den Trans*aktions-tagen und dem Queer Festival, das im Mai dieses Jahres stattfand, gibt es auch kleinere Veranstaltungen.
Aktuelle Veranstaltungen sind auf queer-festival.de und im Kalender der Queerreferats auf der StuRa-Webseite zu finden.
Der Austausch mit anderen Transpersonen kann sehr hilfreich sein. Ben besucht die Selbsthilfegruppe für transsexuelle Personen und deren Angehörige.
Wie sich sein Leben verändert hat, seit er offen als Mann lebt? „Bei ,Männergesprächen‘ werde ich mehr einbezogen. Dabei kenne ich mich mit ‚typischen‘ Männerthemen wie Fußball oder Technik gar nicht aus. Ich merke, dass ich, als ich als Mädchen gelebt habe, häufiger Hilfe bekommen habe, auch wenn ich sie nicht gebraucht habe. Jetzt muss ich eher danach fragen. In Bars hat sich auch was geändert“, lächelt er. „Als Mann wird man seltener angeflirtet.“
*Name von der Redaktion geändert
Von Hannah Lena Puschnig