Die Fachschaft der Mediziner hat die Anwesenheitslisten aus ihren Vorlesungen verbannt. Ein Vorbild auch für andere Fachbereiche?
Wer glaubt, dass Studenten sich ihre Zeit frei einteilen und so gut wie keine Pflichtveranstaltungen haben, liegt falsch. Die Realität sieht meist anders aus, denn Pflichtveranstaltungen mit Anwesenheitslisten gibt es mehr als genug. Nicht nur in Tutorien, Seminaren und Übungen gehen die Listen herum, auch Vorlesungen bleiben nicht verschont. Dem hat die Fachschaft Medizin jedoch ein Ende bereitet. Seit Mitte November fällt im humanmedizinischen Curriculum jegliche Anwesenheitspflicht in Vorlesungen weg. Laut Studienkommission der medizinischen Fakultät soll dies den Studenten mehr Flexibilität und Gestaltungsfreiheit bei ihren Stundenplänen und in ihrer Zeiteinteilung geben. Dies ist jedoch nicht an allen Fakultäten gegeben – im Gegenteil. Vielmehr sind Anwesenheitspflichten mehr die Regel als die Ausnahme, in den meisten Vorlesungen allerdings unbegründet.
„Häufig geben die Professoren die Listen herum, ohne darüber zu reflektieren,“ meint Marco La Licata, Referent für Lehre und Lernen der Verfassten Studierendenschaft. Außerdem seien viele Gerüchte über die Anwesenheitspflicht im Umlauf, die jedoch nicht den Tatsachen oder vielmehr der Rechtslage entsprächen. „Einige Professoren geben die Listen aus den richtigen Gründen herum: Heidelberg ist eine Präsenzuniversität,“ erzählt La Licata. Das solle auch so bleiben.
Heidelberg ist eine Präsenzuniversität
Um dem Abbau dieser Präsenzuni entgegenzuwirken, wollen insbesondere Professoren in den Geisteswissenschaften die Anzahl von Prüfungen niedrig halten – was jedoch wieder zu mehr Sitzscheinen mit der damit verbundenen Anwesenheitspflicht führt. „Das Ziel des Referats für Lehre und Lernen ist es, sämtliche Anwesenheitspflichten aus Vorlesungen abzuschaffen,“ erklärt La Licata.
Anwesenheitspflichten sind prinzipiell nur dann gerechtfertigt, wenn sie auch begründet sind. Als begründet gilt eine Anwesenheitspflicht allerdings nur dann, wenn man die in der Veranstaltung angestrebten Kompetenzen nur durch die tatsächliche, physische Anwesenheit erworben werden können. Ein solcher Fall ist etwa ein Sprachkurs oder im Falle der Medizin das Sezieren. „In beiden Fällen trägt die Anwesenheit deutlich zur Übung und Erfahrung auf dem jeweiligen Gebiet bei,“ so La Licata. Beides sind jedoch keine Vorlesungen, deren Inhalt zumeist auch allein durch die aufmerksame Lektüre der Fachliteratur erworben und abgeprüft werden kann. „Sollte dies der Fall sein, sei eine Anwesenheitsliste nicht begründbar und damit unzulässig,“ erläutert La Licata. Sieht der Professor dies trotzdem nicht ein, besteht die Möglichkeit, gegen die Anwesenheitsliste zu klagen.
Eine Vorlesung sollte so strukturiert sein, dass die Anwesenheit sinnvoll ist – ohne Anwesenheitspflicht. Die Verpflichtung ist auch nicht sozialverträglich: Viele Studierende sind darauf angewiesen, neben dem Studium zu arbeiten. Häufig lässt sich das mit festgelegten Stundenplänen aber nur schwer vereinbaren. Ein ähnliches Problem gibt es, wenn man mit Kind studiert. Findet man in diesem Fall kurzfristig keine Betreuung und fehlt daraufhin mehr als zwei Mal, heißt es: Pech gehabt, kommen Sie bitte im nächsten Semester wieder.
Die Rechtsauffassung der Uni ist etwas anders
Ein ganz anderes Problem bei Anwesenheitspflichten ist die Rechtslage. Das Führen solcher Listen verstößt prinzipiell gegen das Landesdatenschutzgesetz, da dies eine Datenerhebung darstellt – und diese dürfen nur freiwillige Angaben enthalten, was bei Listen, deren Vordruck Name und Matrikelnummer der Studenten enthalten, nicht mehr der Fall ist. „Die Rechtsauffassung der Universität ist hier ein bisschen anders,“ sagt La Licata, „in begründeten Fällen stimmt die Uni mit dem Referat überein, bei nicht begründeten Listen ist sie der Meinung: steht die Anwesenheitspflicht in der Prüfungsordnung, ist sie generell auch in Ordnung. Das sehen wir nicht so.“ Zur Datenerhebung müsste die Prüfungsordnung ein Gesetz sein.
Als Lösung schlägt La Licata ein sogenanntes „Best-Practice-Paper“ vor, zumal auch viele Studiendekane und Professoren selbst mit dem System der Anwesenheitslisten nicht zufrieden seien. In dem Paper soll stehen, was die Dozenten dürfen und wie sie ihre Vorlesungen gestalten sollten, um die Lehre zu verbessern. Spätestens nächstes Semester soll es fertig sein. Jedoch wird es keine rechtlich verbindliche Grundlage, sondern mehr Richtlinie für die Professoren. Ob die Professoren sich jedoch an das Paper halten werden, steht auf einem anderen Blatt. Im Zweifel sollte man aber einfach den Professor ansprechen und ihn auf die Hintergründe hinweisen. Auch, wenn es oft nicht so scheint, sind sie auch Menschen – und lassen mit sich reden.
Von Verena Mengen