Heidelberg ist eine Hochburg der Studentenverbindungen. Doch diese werden meist von Männern dominiert. Eine Annäherung an eine der seltenen Frauengemeinschaften
Studentenverbindungen sind Männersache. In solchen Gemeinschaften ist folglich kein Platz für Frauen. Im letzten Jahr wurden deutschlandweit fünf neue Damenverbindungen gegründet, auch in Heidelberg gibt es drei Frauenbünde.
Bei genauerer Betrachtung kann man sich fast nicht entscheiden: billiger Abklatsch eines frauenfeindlichen Modells oder Ausdruck von Emanzipation? Die Damen haben bei der Gründung ihrer eigenen Verbindung typische Merkmale von den Herren übernommen. „Man muss das Rad ja nicht neu erfinden, wenn man sieht, dass da etwas Gutes ist“, meint Beatrice (22). Sie ist seit knapp drei Jahren aktives Mitglied bei AV Nausikaa, der ältesten Heidelberger Damenverbindung. „Wenn man in seinem Couleur bei Kerzenschein ist, hat das eine ganz besondere, schöne Stimmung.“
Vor allem der hierarchische Aufbau der Damenverbindung erinnert stark an die Herren: In der Regel sei man zwei Semester lang „Fux“, erläutert die Bundesschwester. In dieser Zeit lerne man die Verbindung, ihre Regeln und Gepflogenheiten kennen. Um in den nächsten Rang aufzusteigen und eine „Dame“ zu werden, muss man eine Prüfung ablegen. Zur Vorbereitung darauf gibt es Fuxenstunden und ein Lehrbuch, die Fuxenfibel, in der alles Wissenswerte über die Verbindung steht. Der Umfang des Stoffes ist dabei relativ hoch. Bei Bestehen der Prüfung wird man zur Dame ernannt und kann „Chargen“, also Ämter, übernehmen.„Wenn man aktiv ist, geht es darum, die Chargen zu unterstützen“, erklärt Anna (21), ebenfalls seit einigen Jahren Mitglied. „Wenn allerdings jemand eine Klausur hat, sagen wir auch nichts“, ergänzt Beatrice.
Beide betonen jedoch, dass sich der Zeitaufwand in Grenzen hält: „Wir haben das Prinzip, dass die Uni sehr wichtig ist.“ Deswegen gebe es auch die Möglichkeit, sich inaktivieren zu lassen, wenn es auf den Abschluss zugeht. Die Regelung allein lässt allerdings erahnen, wie hoch der Aufwand sein muss. Mit dem Eintritt ins Berufsleben wird man zur „hohen Dame“. Mit dem Titel kommt die Erwartung, die Verbindung finanziell zu unterstützen und zu wichtigen Anlässen wie der jährlichen Gründungsfeier, dem Stiftungsfest, zu kommen.
„Wir zwingen niemanden, bei uns zu sein“
Neben der Hierarchie ist das zentrale Prinzip bei Damen und Herren der „Lebensbund“. Dieser darf ruhig wörtlich verstanden werden: Die Mitglieder der Verbindung bleiben ihr ein Leben lang verbunden. „Die Alten unterstützen die Jungen. Ich stell mir vor, dass ich das später auch gern mache“, sagt Beatrice. „Außerdem ist es ein schönes Gefühl, dass ich immer eine Verbindung zu Heidelberg haben und dazugehören werde.“ Auch wenn der Eintritt wie die wichtigste Entscheidung des Lebens erscheint: „Wir zwingen niemanden, bei uns zu sein. Wenn es nicht passt, passt es nicht“.
Zu einem exklusiven Bund neuzeitlicher Damen gehört es auch, nicht alle von den Herren lang gehegten und gepflegten Traditionen zu übernehmen: kein Fechten, kein Bier, kein Verbindungshaus. Damen leben hier nicht in Schlössern, süffeln stattdessen meist Prosecco, besingen ewige Freundschaft und Gemeinschaft in alten Traditionsliedern – und das ohne Schmisse. Einige Teile der Lieder werden „frauenfreundlicherweise“ auch mal abgewandelt: „Wir haben unseren eigenen Weg gefunden, mit der Tradition umzugehen“, erläutert Beatrice. „Manchmal ändern wir die Strophen der Lieder. Wenn uns eine Strophe überhaupt nicht passt, dann lassen wir sie raus.“
Anders als bei den Männern ist das Erkennungszeichen kein Band über der Schulter, sondern ein rot-goldenes Schleifchen zum Anpinnen an den Blazer. „Unsere Gründungsdamen fanden das etwas femininer, auch in Abgrenzung zu den Männern“, erzählt Anna. Doch diese kleinteiligen Abänderungen gleichen auch nur dem Kratzen an der Oberfläche; die Damen bleiben allerdings weniger einflussreich als ihre männlichen Kollegen.
Denn das weibliche Pendant ist wesentlich jünger als das ursprüngliche Modell: Die ersten Frauenverbindungen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet. Unter den Nazis verboten, lebten sie erst in den siebziger Jahren wieder auf.
Die älteste Damenverbindung Heidelbergs, AV Nausikaa, gibt es seit 30 Jahren, während der älteste Männerbund Heidelbergs, die Corps Suevia, seit zweihundert Jahren besteht. Damenbünde können so im Gegensatz zu den Herren nicht auf eine vielzählige Generation von Hohen Damen aufbauen. Heute kommen auf 1000 korporierte Frauen etwa 150 000 Männer. Mit einem Dachverband und einem gut ausgebauten Korpus von etwa 10 000 Mitgliedern kann der Kontakt in den Männerverbänden äußerst nützlich sein – wie karrierefördernde Netzwerke, zu denen auch Oberbürgermeister Eckart Würzner (Corps Suevia) und Rektor Bernhard Eitel (K.D.St.V. Normannia zu Karlsruhe) gehören, unter Beweis stellen. Oft nehmen sie einflussreiche Machtpositionen ein und unterstützen ihre jungen Bundesbrüder so nicht nur durch die Finanzierung eines altehrwürdigen Verbindungshauses am Fluss, sondern auch bei ihrer Karriere.
Dachverbände gibt es bei den Damen nicht. Man könnte meinen, mit dem Wiederaufleben der Damenbünde hätte die Emanzipation in der Verbindungswelt Einzug gehalten und sich als solche zwischen Herrenverbindungen etabliert.
Doch eine Gleichstellung herrscht hier deswegen noch lange nicht: „Das würden Männerbünde nach außen so nicht zugeben – intern ist es aber Fakt“, meint Stephan Peters. Der Verbindungskritiker war früher selbst in einer Marburger Verbindung aktiv, heute klärt er über die internen Strukturen des Verbindungswesens auf. Der reine Männerbund gelte als frauendiskriminierend; die reine Damenverbindung empfinde sich allerdings nicht als sexistisch, sondern will in ihrem Zusammenschluss für Gleichberechtigung an Universitäten sorgen. Inwieweit ihr das in einem von patriarchalen Strukturen geprägten Feld wie dem Verbindungswesen gelingen kann, sei dahin gestellt.
Neben dem patriarchalisch, oft antiquiert wirkendem Touch geraten die Verbindungen auch immer wieder wegen ihres Umgangs mit Alkohol in die Kritik: In den hierarchisch organisierten Gemeinschaften, so heißt es, gäbe es zwanghaften Druck zum Besaufen bis zur Besinnungslosigkeit. Extra eingebaute Kotzebecken in manchen Verbindungshäusern wollen auch genutzt werden; Bräuche wie das Freisaufen von Kameraden, die auf den Häusern anderer Verbindungen festgehalten werden, gibt es in manchen Bünden heute noch. Anna erlebt den Alkoholkonsum bei AV Nausikaa als nicht dramatisch: „Es gibt teilweise solche Trinkgelegenheiten. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass das aus dem Ruder läuft.“ In der Heidelberger Damenverbindung kann man auch abstinent bleiben: „Wenn du keinen Alkohol trinken willst, ist das im Übrigen auch kein Grund, dass wir dich nicht aufnehmen würden“, sagt Anna. Beatrice ergänzt: „Wenn man viel trinken möchte, dann kann man das auch tun. Aber niemand wird dazu gezwungen.“
Nichtsdestotrotz begünstigt die Rangordnung der Verbindungen eine Unterordnung unter die Älteren. Durch oft entwürdigende Rituale wird diese Unterordnung eingeübt. Bei der AV Nausikaa herrsche eher ein kameradschaftliches Verhältnis. Aber Beatrice verrät: „Das ist in manchen Männerverbindungen anders. Da wird dann schon ein etwas harscherer Ton angeschlagen. So à la‚ Fux, lauf!‘“
„Frauenverbindungen imitieren ein Brauchtum, das sich gegen sie selbst richtet“
Struktur und Orientierung setzt auch der Verhaltenskodex der Verbindungen: „Es gibt zahlreiche Regelwerke, ‚Kneipcomment‘, ‚Paukcomment‘ und dazu kommen noch ungeschriebene Regeln“, erklärt der Verbindungsinsider Peters. „Wer dagegen verstößt, wird bestraft.“ Bei kleineren Vergehen regeln das Strafzahlungen oder Bier. Außerdem könne einem die „Bierehre“ entzogen oder man sogar „in den Schwarzwald“ geschickt werden – das Mitglied wird also vorübergehend aus dem Bund ausgeschlossen.
Auch das Regelwerk der Nausikaa lässt Strafen bei Fehlverhalten zu: „Das passiert aber nur, wenn man sich richtig danebenbenommen hat. Wenn man zum Beispiel bei einer Veranstaltung lieber irgendwo anders Party macht, sodass die anderen dann länger arbeiten müssen“, erwähnt Beatrice und schaut zur Seite. Solche Strafen kämen allerdings selten zum Einsatz. Man versuche, erst alles gemeinsam im Gespräch zu klären; die Gemeinschaft ist wichtiger.
Als Teil dieser Gemeinschaft stehen sie auch Anfeindungen gegenüber: „Wir hören oft das Vorurteil, dass wir alle rechts sind“, erzählt Anna. Bei manchen Verbindungen ist dieses Vorurteil durchaus berechtigt. „Was das rechtsextreme Spektrum angeht, so kann man hier den Dachverband ‚Deutsche Burschenschaft‘ als komplett rechtsextrem bezeichnen, da er ein völkisches Prinzip verfolgt“, bemerkt Peters. Alle anderen Verbände seien es nicht, wobei einzelne Bünde rechtsextrem auffielen. „Von diesen Gruppen grenzen wir uns ganz klar ab und pflegen auch keinen Umgang mit ihnen“, stellt Anna klar.
Da der Unterschied zwischen den Bünden für Außenstehende schwer erkennbar ist, sind kritische Nachfragen durchaus berechtigt. Gerade die gewollte Undurchsichtigkeit der Szene und die Geheimniskrämerei bei Veranstaltungen und Ritualen machen es schwer, die konservativen Vereine von den rechtsextremen zu unterscheiden. Kritische Auseinandersetzungen sind an dieser Stelle wichtig. Zu körperlichen Angriffen als Mittel der Kritik darf es jedoch nicht kommen – einen solchen hat Beatrice schon erlebt: “Ich war mit Bundesschwestern und Männern, die Band getragen haben, in der Unteren Straße unterwegs. Plötzlich verfolgte uns ein Mann und rief ‚Ihr seid alles Nazis!‘ Danach hat er einen meiner Begleiter in den Rücken gestoßen.“
Verbindungsmitglieder werden oftmals als rechtsextrem und konservativ wahrgenommen. Auch wenn dies nicht immer der Fall ist, bemerkt Peters eine gewisse Homogenität in ihrer Gruppenzusammenstellung: „Insbesondere die, die aus konservativen Kreisen kommen, begeben sich gerne wieder in diese bekannten Strukturen.“ Aus diesem Grund sind Damenverbindungen keine Gegenbewegungen, denn wie Peters zu Bedenken gibt: „Frauenverbindungen imitieren ein Brauchtum, das sich gegen sie selbst richtet. Sie sind daher eine paradoxe Erscheinung, aber sicherlich keine Form der Emanzipation.“
Von Esther Lehnardt und Phuong-Ha Nguyen
Danke für den ausgewogenen und solide recherchierten Artikel zum Thema Damenverbindungen. Endlich hat mal jemand tatsächlich sowohl mit Menschen aus diesem Milieu als auch Kritikern gesprochen. Schade nur, dass ihr nicht auf die anderen Formen von Damen- und gemischten Verbindungen eingegangen seid. Da hätte sich durchaus ein heterogeneres Bild ergeben, was z.B. das Thema Gleichstellung angeht. Das hätte den Text durchaus bereichert und über eine „Annäherung“ hinaus gebracht.
Ein paar Anmerkungen seien allerdings noch erlaubt:
# „Mit einem Dachverband und einem gut ausgebauten Korpus von etwa 10 000 Mitgliedern kann der Kontakt in den Männerverbänden äußerst nützlich sein – wie karrierefördernde Netzwerke, zu denen auch Oberbürgermeister Eckart Würzner (Corps Suevia) und Rektor Bernhard Eitel (K.D.St.V. Normannia zu Karlsruhe) gehören, unter Beweis stellen.“
-> Richtig ist, dass theoretisch ein großes Netzwerk besteht. Das ist ja auch eines der Verkaufsargumente von Verbindungen. Ich möchte da nur ein wenig relativieren und die Luft rauslassen: Alles halb so wild. Niemand wird einem Bundesbruder/-schwester einen verantwortungsvollen Job vermitteln, wenn er oder sie nicht denkt, dass die Person dafür entsprechend qualifiziert ist. Mit einer Empfehlung bürgt man ja quasi selbst. Unter meinen Bekannten von Jusos, GJ, Julis, JU oder Galilei Consult sind durchaus größere Netzwerker, die dadurch tatsächlich schon Jobs und Posten bekommen haben. Also alles nichts, was es nicht in anderen Kreisen nicht auch gibt. Ob es das besser macht… anderes Thema.
Aber wie ihr das darstellt, scheint es so, als ob Rektor und Oberbürgermeister dank „Kontakt in den Männerverbänden“ an ihre derzeitigen Positionen gekommen seien – ja dies sogar unter „Beweis“ gestellt sei. Puh. Entweder ihr habt das unsauber formuliert, oder ihr habt investigativ recherchiert und Material für zwei (hochschul-) politische Knaller in der Schublade!
# „Oft nehmen sie einflussreiche Machtpositionen ein und unterstützen ihre jungen Bundesbrüder so nicht nur durch die Finanzierung eines altehrwürdigen Verbindungshauses am Fluss, sondern auch bei ihrer Karriere.“
-> Was die „Karriereförderung“ ganz konkret angeht: Man munkelt, es gibt in der Heidelberger Gastronomie zahlreiche Verbindungsstudenten die dort ihre einflussreichen Machtpositionen nutzen, um ihren Bundesbrüdern zu lukrativen nicht-mal-Mindestlohn-Jobs zu verhelfen in denen sie dann gerne auch mal hängenbleiben. Vielleicht macht ihr da ja auch mal eine Story draus 😉
By the way: Die meisten Verbindungshäuser in Heidelberg tummeln sich in der Altstadt/Schlossberg – eher weniger am Fluss. Einfach mal klingeln, die Jungs freuen sich bestimmt über netten Besuch.