Das Heidelberger Institut für internationale Konfliktforschung erstellt jährlich ein Dokument, das sämtliche Auseinandersetzungen der Welt erfasst
Wenn in der Tagesschau über Kriege und bewaffnete Konflikte auf der ganzen Welt gesprochen wird, berufen sich die Journalisten oft auf das Konfliktbarometer (KoBa), welches jedes Jahr von dem Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) herausgebracht wird. Das KoBa dient vor allem der Aufklärung. In ihrer Arbeit beschreiben und analysieren die jungen Konfliktforscher die politische Lage im vergangenen Jahr und schildern retrospektiv die innen- und außenpolitischen Konfliktentwicklungen weltweit. Das Ziel der Autoren ist es, vor allem möglichst neutral über die verschiedensten Konflikte in der Welt zu berichten. Das mag schwer sein, vor allem bei der Quellen-Wahl, wobei man oft auch die einzelnen Sprachen kennen muss und zwischen den regierungsnahen und Oppositionquellen vorsichtig lavieren muss. Die Kooperation mit Organisationen wie United Nations High Commissioner for Refugees und den Experten aus dem Institut für Politische Wissenschaft macht das KoBa zu einer vertraulichen Quelle für Nachrichtenagenturen und professionelle Konfliktforscher.
Die Autoren sind zu 90 Prozent Studierende und Doktoranden. Die Arbeit, die sie leisten, ist ehrenamtlich. Der HIIK hat im Jahre 1991 mit nur wenigen motivierten Leuten angefangen. Diese haben das erste politische Barometer mit acht Seiten geschrieben. Seitdem hat sich vieles verändert: Die kleine gemütliche Gruppe hat sich in ein großes Netzwerk aus fast 200 Leuten verwandelt, die aktiv am KoBa mitschreiben. Der Sitz von HIIK bleibt in Heidelberg, doch die Mitglieder sind inzwischen über ganz Deutschland und teilweise auch über die ganze Welt verstreut.
„Telekommunikation ist etwas, womit wir am meisten Arbeit leisten. Zum größten Teil über Skype, vieles läuft aber über soziale Netzwerke und über unsere Regionalleiter“, erzählt Sara Engelberg, Vorstandsmitglied von HIIK. Das KoBa selbst ist seit dem Jahr 1992 etwas größer geworden – 200 Seiten im Jahr 2015 und vermutlich noch mehr in der nächsten Ausgabe. Das heißt nicht, dass seit der Gründung die Anzahl an Konflikten explodiert ist. Das Volumen kommt eher von der detaillierten Konfliktbeschreibung, die mit vielen Karten, Graphiken und Diagrammen ausgestattet ist. Dies erleichtert das Verständnis und ermöglicht dem Leser, den Verlauf des Konfliktes zu bewerten.
Neben der charakteristischen Konfliktdarstellung gibt es auch weitere Momente, welche das HIIK von anderen Konfliktforschungseinrichtungen unterscheiden: Die spezifische Methode der Konflikteinstufung. Diese wurde 2011 neu etabliert und wird seitdem immer weiter verfeinert. Jedem Konflikt wird eine der fünf Stufen zugeteilt: Vom Disput, der gewaltlosen Krise über gewaltsame Krise, dem begrenzten Krieg bis hin zum Krieg. Die Bewertung beruht dabei auf einem besonderen Punktesystem, in dem sowohl die Menge an Opfern, als auch die Verhandlungen, Truppenbewegungen und weitere qualitative und quantitative Faktoren berücksichtigt werden.
„Wir müssen uns manchmal rechtfertigen, dass wir auch nichtgewaltsame Konflikte überhaupt mitreinnehmen“, sagt Engelberg, „wir gehen davon aus, dass wir in solchen Konflikten eine Gewaltandrohung haben. So ein Beispiel wäre der Nordkorea-Südkorea-Konflikt. Man hat da nicht direkt Gewalt, aber der Konflikt ist da und er ist auch greifbar.“
Der Vorteil der Methodik liegt vor allem darin, dass man den Konflikt von seinen frühesten Phasen an genau verfolgen kann. So ist es nicht nur möglich, die Entwicklung nach der Gewalteskalation eines Konflikts, sondern auch dessen Entwicklung zu erklären und möglichst auch vorherzusagen. Den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine beobachten die jungen Konfliktforscher schon seit 2003 – Jahre, bevor er in den Medien massiv aufgetaucht ist. Es gibt auch noch längere Rücklaufzeiten: der älteste Konflikt ist der Streit zwischen Nicaragua und Costa Rica, der seinen Anfang im 19. Jahrhundert nimmt. Die neue Ausgabe, die am 24. Februar erscheinen wird, verspricht viele neue, spannende Aspekte: Seitdem in den letzten Jahren die Europa-Gruppe wenig zu tun hatte, gab es 2016 einen Aufschwung. Die Konflikte, die vor allem wegen der Flüchtlingskrise im Moment überall in der EU ausbrechen, könnten nach der HIIK-Methode konfliktrelevant sein. „Unsere EU-Gruppe hat eine Taskforce gebildet und sich verschiedene Länder, wie Deutschland, Schweden, Österreich angeguckt“, erzählt Engelberg, „in der nächsten Zeit wird es eine Sitzung dazu geben, ob das tatsächlich aufgemacht wird und inwieweit man das auch international vergleichen kann. Man sieht: Europa holt auf“. Neben der Arbeit an dem Konfliktbarometer organisiert das HIIK verschiedene Vorträge und Veranstaltungen, die ebenfalls der Aufklärung dienen. Die Arbeit zahlt sich aus: immer mehr Menschen werden auf das Thema aufmerksam gemacht. So erstreckt sich die Leserschaft inzwischen von Schülern und Studenten bis hin zum deutschen Bundestag.
Von Elizaveta Bobkova