Wenn sich das Zuhause fremd anfühlt: Das Ankommen nach dem Auslandsaufenthalt fällt oft schwer
„Du bist ja wieder da!“ – „Ja, seit drei Wochen.“ – „Ahja, cool. Wie war‘s so?“ – „Schön. Sehr viel gesehen.“ – „Ist schon anders als hier, oder?“
„Erinnere mich nicht dran“, denke ich mir. Ein Jahr war ich in China und jetzt bin ich wieder in Heidelberg. Eigentlich hat das viel Gutes: Ich kann im Gespräch mit meinen Mitmenschen mit einem ganzen Sortiment an Wörtern glänzen, anstatt nur mit zwei. Ich beginne den Tag nicht mehr damit, auf meinem Handy nachzuschauen, ob man die Luft draußen atmen kann, sondern stürze mutig ohne Feinstaubmaske auf die Straßen. Schwarzer Kaffee ist keine Experimenten ausgelieferte Kuriosität, sondern ein bekanntes und allseits beliebtes Getränk. Meine Familie hat meine Rückkehr gefeiert, meine Freunde haben sie begossen und meine Bekannten haben mich mit dem langen Katalog absurder Klischees über das Essverhalten der chinesischen Bevölkerung bombardiert. Und doch stehe ich mit einem Nicht-mal-Bekannten auf der Straße, führe dieses Gespräch und fühle mich in der Heimat fremd.
„Post-Erasmus-Depression“ ist ein häufig verwendeter Begriff, der die diffuse Traurigkeit nach der Rückkehr in die Heimat beschreiben soll. Doch bei den negativen Gefühlen, die von einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Entwicklung bis hin zu depressiven Zuständen rangieren können, handelt es sich um einen „re-entry shock“ – den Schock, wieder in der alten Umgebung zu sein.
„Ein Auslandsaufenthalt ist ein kurzer Zeitraum, in dem du viele Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten wahrnimmst und dich in einer Geschwindigkeit nach vorne bewegst, die niemand sonst nachvollziehen kann.“, beschreibt Chris seinen zehnmonatigen Aufenthalt in Australien. „Ich war frustriert, weil ich mich mit niemandem austauschen konnte“, erzählt er. „Alles was ich erlebt habe und was mich so verändert hat, war für die anderen nur eine Erzählung ohne jede Relevanz.“
Die Dauer des Aufenthalts sowie die Entfernung sind zentrale Faktoren dafür, wie stark jemand den Schock wahrnimmt. Die Dauer des Aufenthalts kann nicht nur die Ausmaße der eigenen Entwicklung beeinflussen, sondern auch zu einer verstärkten Verwurzelung vor Ort führen. Man bindet sich emotional an einen Quadratzentimeter auf der Karte – und leidet hinterher dementsprechend unter einer ‚Entwurzelung‘.
Ebenfalls ins Gewicht fällt der Fremdheitsgrad der Gastkultur, die einem bei der Ankunft noch einen heftigen Kulturschock versetzt hat. Man lernt, diese in das eigene Weltbild zu integrieren. Kehrt man allerdings aus dieser anderen Kultur zurück und sieht den Kontrast zwischen Heimat und Fremde, führt dies auch zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur. Sarah, die für sechs Monate in Amerika war, fühlte sich überrumpelt von der Unhöflichkeit ihrer Mitmenschen. „In Amerika habe ich mich immer sofort herzlich aufgenommen gefühlt, selbst wenn ich mir nur eine Tasse Kaffee gekauft habe. In Deutschland geht man viel brüsker miteinander um.“
Ob der Auslandsaufenthalt hingegen ein Fiasko oder ein Erfolg war, ist für den „re-entry shock“ von geringer Bedeutung, erklärt Dr. Hofmann von der Psychosozialen Beratungsstelle für Studierende in Heidelberg. „Während man einem schönen Auslands-aufenthalt oft nachtrauert und die Heimat im Kontrast viel langweiliger erscheint, haben Studierende nach ‚schlechten‘ Erfahrungen damit noch lange zu kämpfen“, erläutert er. „Sie fürchten beispielsweise auch Fragen von Freunden und Familie.“
Genau diese spielen bei der erfolgreichen Bewältigung der Krise jedoch eine wichtige Rolle. Findet man bei Freunden und Familie ein offenes Ohr für Erlebnisse und Probleme, ist es leichter sich wieder an das vorherige Leben heranzutasten. Und häufig entdeckt man dann, dass sich die „Zurückgebliebenen“ nichtin einem Zeitvakuum aufgehalten haben, sondern eigene Erfahrungen gemacht haben.
Der „re-entry shock“ kann nach dem Erasmussemster ein ordentlicher Dämpfer sein, vor allem wenn er seine verhassten Freunde Unistress, Beziehungsprobleme und zermürbende Wohnungssuche mitbringt. Dennoch sollte man nicht dem instinktiven Impuls folgen, ihn als rein negativen Faktor abzustempeln: Der charakterbildende Prozess, mit dem Auslandsaufenthalte gerne beworben werden, ist eben nicht abgeschlossen, wenn man wieder Fuß auf die Vaterlandserde setzt. Vielmehr gewinnt er noch einmal an Fahrt, wenn es darum geht, das Erlebte in den heimatlichen Kontext zu setzen – und sich gegen Nicht-mal-Bekannte und Klischees über die Gastkultur zur Wehr zu setzen.
Von Viola Heeger