Wer auf spannende Stories steht, für den könnte der Audiopodcast „Serial“ eine gute Abwechslung zu Crimeserien auf Netflix und Co. sein
„Serial“ ist eine amerikanische Audio-Serie, in der echte Kriminalfälle beleuchtet werden. In der ersten Staffel geht es um einen Fall an einer Highschool in Maryland, bei der eine 17-jährige Schülerin ermordet wurde. Ihr Ex-Freund wird verhaftet und sitzt seit mittlerweile über fünfzehn Jahren in Haft, obwohl seine Verurteilung fast ausschließlich auf dem Bericht eines Mitschülers basiert. Beweise, stichhaltige Indizien oder ein klares Motiv gibt es nicht. Die Redakteurin Sarah Koenig versucht dabei, ein möglichst neutrales Bild des Falls zu liefern. Das gelingt ihr erstaunlich gut, beim Hören erwische ich mich ständig dabei, wie ich meine Meinung ändere und den Inhaftierten für „auf jeden Fall unschuldig“ und dann wieder für „ganz schön verdächtig“ halte. Das gelingt auch deshalb, weil Koenig alle Seiten zu Wort kommen lässt – meistens, indem sie die Originalaufnahmen aus ihren Interviews mit den Beteiligten abspielt. Außerdem ist es unheimlich gut recherchiert, sehr sachlich und dennoch empathisch vorgetragen. Dadurch unterscheidet es sich stark von TV-Serien wie „Medical Detectives“, in denen es zwar auch um echte (Mord)Fälle geht, wo die Angeklagten aber selten zu Wort kommen und außerdem von vornherein klar ist, dass der Schuldige am Ende gefunden wird. Diese Gewohnheit wird bei „Serial“ nicht bedient: Direkt zu Beginn der Serie macht Koenig klar, dass keine Auflösung zu erwarten ist. Es geht auch nicht darum, die Unschuld oder Schuld des Angeklagten zu beweisen, sondern den Fall systematisch zu hinterfragen. Dadurch erhält man nebenbei sehr interessante Einblicke in die menschliche Psychologie und nicht zuletzt darüber, wie merkwürdig das Rechtssystem manchmal funktioniert.
Ähnliches gilt für die zweite Staffel: Diesmal geht es nicht um einen Mordfall, sondern um einen desertierten amerikanischen Soldaten, der im Afghanistankrieg von den Taliban gefangen genommen und fünf Jahre unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten wird. Auch hier wird man als Hörer direkt in den Bann der Geschichte gezogen: Einerseits hat man unheimliches Mitleid mit dem gefangenen und gefolterten Soldaten, andererseits hat er durch seine „Flucht“ aus der Armee seine Kameraden und den Einsatz im Kriegsgebiet gefährdet. Wie in der ersten Staffel leitet Koenig ihre Zuhörer Stück für Stück durch den Fall und stößt sie auf die Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten und eröffnet so die Möglichkeit, sich selbst ein Urteil zu bilden.
Vielleicht muss man sich zu Beginn daran gewöhnen, eine Serie nur zu hören, statt sie sich anzusehen, aber in Sachen Spannung und Suchtpotential steht der Audio-Podcast den Video-Formaten in nichts nach. Im Alltag hat dieses Format außerdem viele Vorteile, bei denen Filme nicht mithalten können: Man kann es beim Kochen, beim Sport oder beim Autofahren weiterhören. Dass es sich lohnt, sich darauf einzulassen, dafür sprechen auch die Zuhörerzahlen: Jede Folge wurde im Schnitt 1,5 Millionen Mal gestreamt, bzw. heruntergeladen. Das geht übrigens kostenlos sowohl über die Podcast-App auf Apple Geräten (Suchwort: „Serial“) oder über die Webseite www.serialpodcast.org.
Von Johanna Famulok