Die Initiative „Tante Inge“ bringt unter dem Motto „Gemeinsam gegen Einsam“ Generationen zusammen
Viele Studierende ziehen zum Anfang ihres Studiums nach Heidelberg und schätzen die neugewonnene Unabhängigkeit. Die studentische Atmosphäre, das Heidelberger Nachtleben und die Angebote der Universität machen das Leben der Lernenden mehr als erträglich. Doch ab und an fehlt trotzdem etwas: Die Familie. Manchmal erwischt man sich dabei, sich einen hilfreichen Ratschlag von einer Generation mit mehr Erfahrung zu wünschen. Wer erinnert sich in solchen Minuten nicht gerne an die Stunden, die mit Oma und Opa beim sonntäglichen Kaffeetrinken verbracht wurden? Das Projekt „Tante Inge“ macht eine Wiederholung dieser Zeit möglich.
Seit 2016 gibt es den ursprünglich in Berlin gegründeten Verein in Heidelberg. Einzelne Studierende und die Fachschaft Medizin haben das Mehrgenerationenprojekt ins Leben gerufen. Ihr Plan: Älteren Menschen ohne jegliche soziale Kontakte einen Enkel beziehungsweise eine Enkelin und Studierenden Großeltern schenken. „Wir können von der älteren Generation noch sehr viel lernen!“, meint Katja, die schon in Berlin bei dem Projekt tätig war. Sie bezeichnet die Senioren als „lebendige Geschichtsbücher“ und erklärt, dass bei den unzähligen Geschichten, die diese Menschen aus ihrer Vergangenheit erzählen, niemals Langweile aufkommen könne. Und wenn man selbst Probleme habe und sich zu viele Gedanken mache, relativiere ein Gespräch mit der älteren Generation diese Probleme meistens. „Man hört von Operationen und Krankheiten und plötzlich werden die Sorgen über die anstehende Klausur ganz klein“. Das Programm stellt die Teilnehmenden manchmal auch vor schwierige Situationen: Gerade die Konfrontation mit dem Tod sei für viele neu und für alle schwierig.
Katja erfuhr ein ganz persönliches „Tante-Inge-Erlebnis“, das sie zur Organisation von „Tante Inge“ motivierte: Sie erzählte ihren Großeltern Heinz und Lotte, sie könne zu einem Familienfest leider nicht kommen. Spontan kreuzte sie dort dann doch auf und brachte ihre Großeltern damit zum Weinen. „Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, seine Großeltern zu besuchen und ihnen klar zu machen, dass man selbst sich auch Sorgen um sie macht“. Miriam, die für die Koordination der Veranstaltungen verantwortlich ist, stimmt ihr zu. „Es ist so einfach diesen Menschen eine Freude zu bereiten“, meint sie und erzählt, wie sie, indem sie bei minimalem Zeitaufwand für eine ältere Frau Fotos kopierte, ihr eine riesige Freude bereitete.
Bei einer anderen Aktion ließen sie die Bewohner eines Pflegeheims ihre Wünsche anonym auf Zettel schreiben. Manche Wünsche stimmten traurig: Die Senioren waren der Ansicht, dass ihnen sowieso niemand ihre Gesundheit, welche ihr größter Wunsch sei, zurückgeben könne. Andere wünschten sich aber durchaus erfüllbare Ausflüge, wie eine Bootsfahrt auf dem Neckar, ein Besuch im Theater oder Kino. Die Idee des Projektes ist, dass sich Tandems zwischen Jung und Alt finden, die sich einmal pro Woche treffen, um die gegenseitigen Wünsche zu erfüllen oder einfach nur zu reden.
Luca besorgte lange die Einkäufe für eine Frau im Rahmen der Nachbarschaftshilfe. Diese erzählte, wie gerne sie Theaterstücke und Opernaufführungen besucht hätte und wie gerne sie dies noch einmal erleben würde. „Dann lass es uns doch versuchen!“, war Lucas Reaktion auf diesen Wunsch und er buchte Karten für die Oper „Hänsel und Gretel“. Vier Monate freute sich die ältere Frau aus der Nachbarschaft auf diesen Ausflug und erzählte bei Lucas Besuchen von nichts anderem mehr. „So einfach konnte ich ihr einen großen Traum erfüllen“. Der Verein initiiert regelmäßig Aktionen in Seniorenzentren. Kürzlich spielten die Mitglieder des „Tante Inge e. V.“ in Rohrbach unter dem Thema „Tante Inge zockt“ Gesellschaftsspiele, demnächst findet eine Aktion unter dem Motto „Tante Inge backt Waffeln“ im Maria von Graimberg Haus statt.
Als „Tante Inge“ zu einer zweiten Aktion in einem Pflegeheim kam, konnten sich die Bewohnerinnen und Bewohner, obwohl eine Zeitspanne von zwei Monaten zwischen den Aktionen lag, noch an alle Teilnehmenden erinnern. „Das zeigt, wie sehr sich die Menschen freuen, wenn jüngere Menschen zu ihnen kommen“, meint Miriam. Am 17. Oktober findet das achte „Europäische Filmfestival der Generationen“ um 18:30 Uhr in Heidelberg statt. Bei diesem werden Filme zu Alters- und Generationenfragen wie zum Beispiel der preisgekrönte Film „Honig im Kopf“ gezeigt. Im Anschluss daran wird die Thematik in einer Podiumsdiskussion besprochen. „Wir wollen Studierende sensibilisieren“, erzählt Katja. Bei dem generationen-verbindenden Projekt treffen Lebenswirklichkeiten aufeinander. Davon können beide Parteien profitieren. Alle Studierende, die eine „Tante Inge“ suchen, können am 23. Mai um 18 Uhr in den Fachschaftsraum Medizin (Im Neuenheimer Feld 306) zu einem Informationstreffen kommen oder eine E-Mail an katja[at]tante-inge.org schreiben, denn „Inge“ sucht noch viele Enkel und Enkelinnen!
Von Lina Rees