Auf einer Reise durch Nordkorea sind authentische Momente selten, aber eindrücklich
Es ist überraschend, aber nach Nordkorea reisen – das geht! In diesem Januar habe ich mit einer Freundin insgesamt vier Tage dort verbracht. Da ich gerade in Peking studiere, sind wir mit dem Zug eingereist. Gleich nach der Einreise erlebten wir unsere erste Begegnung mit dem nordkoreanischen Staat: In einer zweistündigen Prozedur wurde das Gepäck unter der Beobachtung bewaffneter Soldaten durchsucht. Verboten sind neben südkoreanischen Filmen und Musik auch Bibeln und Kameras mit einem starken Zoom – dass meine darunter fiel, hat allerdings niemand bemerkt, denn bei uns Ausländern waren die Beamten wesentlich entspannter als bei den heimkehrenden Nordkoreanern.
Als wir sechs Stunden später in Pjöngjang aus dem Zug stiegen, erwarteten uns am Bahnsteig unsere nordkoreanischen Reiseführerinnen Kong und Jin. Sie sollten uns den ganzen Aufenthalt über nicht mehr von der Seite weichen, denn Ausländer dürfen sich in Nordkorea nicht ohne eine solche Begleitung bewegen. Das war das erste Anzeichen der Abschottung, die auch den Rest der Reise prägen sollte. Wir haben in einem Hotel extra für Ausländer auf einer Insel im Fluss Taedong-gang gelebt. Wir wurden überall mit einem Bus hingefahren und begegneten an den meisten Sehenswürdigkeiten nur anderen Ausländern, ebenso wie in allen Restaurants. Außerdem durften wir nur spezielle Geschäfte betreten und mussten in US-Dollar, Euro oder Chinesischen Yuan zahlen anstatt in Nordkoreanischen Won.
Aus anderen asiatischen Ländern bin ich es gewöhnt, dass die Einheimischen mich als Ausländerin anschauen, ansprechen und manchmal Fotos mit mir machen wollen. Die Nordkoreaner hingegen ignorierten uns demonstrativ.
Selbst wenn wir uns in der Nähe von Einheimischen aufgehalten haben, durften wir nicht mit ihnen sprechen und vor allem durften sie nicht mit uns sprechen. Stattdessen haben die Reiseführer alle Interaktionen übernommen. Eine Fahrt in der U-Bahn von Pjöngjang – der tiefsten der Welt, aber einzigen im Land – bot eine der wenigen Gelegenheiten, an denen wir nah mit gewöhnlichen Nordkoreanern zusammen waren. Aus anderen asiatischen Ländern bin ich es gewöhnt, dass die Einheimischen mich als Ausländerin anschauen, ansprechen und manchmal Fotos mit mir machen wollen. Die Nordkoreaner hingegen ignorierten uns demonstrativ.
Am ersten Morgen hatten wir aus unserem Hotel eine tolle Sicht über Pjöngjang. Die Stadt ist für Nordkorea erstaunlich modern. Es gibt neben vielen Wolkenkratzern auch Straßenbahnen, Taxis und einige private Autos. Außerdem habe ich sogar ein paar Menschen mit Smartphones gesehen. Ein Highlight in Pjöngjang war für mich definitiv der Kim Il-sung-Platz, auf dem jedes Jahr am 15. April eine große Militärparade abgehalten wird. Die Bilder der marschierenden Soldaten, Panzer und Raketen und der jubelnden Massen kenne ich aus den Nachrichten. Ich habe mich schon oft gefragt, warum das Publikum so geordnet in Reih und Glied steht: Es liegt daran, dass der ganze Boden des Platzes mit nummerierten Punkten markiert ist, ein Punkt pro Zuschauer.
Außerdem existiert an diesem Teil der Grenze kein Zaun, sodass ich kurz den Impuls hatte, nach Südkorea in die Freiheit zu laufen – bis mir besagte Soldaten mit ihren Gewehren wieder eingefallen sind.
Eines der surrealsten Erlebnisse der ganzen Reise war die Besichtigung der Demilitarisierten Zone (DMZ) an der Grenze zu Südkorea. Schon von Ferne sah man die südkoreanische Flagge, was mich beklemmend daran erinnert hat, dass ich für die Dauer meiner Reise praktisch in diesem Land eingesperrt war. Denn unsere Pässe waren bei der Ankunft in Pjöngjang eingesammelt worden und wir würden sie erst bei unsererAusreise zurückerhalten. Auch die Atmosphäre direkt an der Grenze war seltsam, weil zwar überall Soldaten standen, sie sich aber nicht für uns Touristen interessiert, sondern lieber mit Kong geflirtet haben. Außerdem existiert an diesem Teil der Grenze kein Zaun, sodass ich kurz den Impuls hatte, nach Südkorea in die Freiheit zu laufen – bis mir besagte Soldaten mit ihren Gewehren wieder eingefallen sind.
Die heutige Grenze zwischen Nord- und Südkorea beruht auf einer Pattsituation am Ende des Koreakrieges 1953. Damals kämpften nordkoreanische Truppen, unterstützt von der Sowjetunion und China, gegen amerikanische Truppen mit UN-Resolution. Auf der nordkoreanischen Seite der Grenze steht das Gebäude, in dem der Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Ursprünglich war ein Zelt zur Unterzeichnung vorgeschlagen worden, aber Kong erklärte uns: „Unser Präsident Kim Il-sung sagte: ‚Nein! Dies ist ein großer Tag des Sieges für unsere koreanische Nation, wir werden ein Haus bauen.‘“ Gesagt, getan: Heute kann man dort die beiden Exemplare des Vertrages besichtigen, die jeweils von Kim Il-sung und einem Vertreter der UN unterzeichnet wurden. Auf dem Tisch mit dem nordkoreanischen Vertrag steht die nordkoreanische Flagge, aber Kong führte aus: „In einem hinterhältigen Trick, um ihre Niederlage zu vertuschen, haben die USA nicht ihre eigene Fahne, sondern die der UN auf ihren Tisch gestellt.“ Hinter Kongs Rücken konnten meine Freundin und ich uns das Schmunzeln über all die Propaganda nicht verkneifen. Kong schien aber so vollständig von ihrer Ansicht überzeugt, dass ich mich beim Lachen überheblich fühlte.
Von der DMZ ist es nicht weit bis zur Stadt Kaesong, wo eine von Nord- und Südkorea gemeinsam betriebene Industriezone liegt. Auch wenn diese derzeit stillgelegt ist, hatte ich eine relativ moderne Stadt erwartet. Unser Bus war aber das einzige Auto in der ganzen Stadt und wurde von fast allen Passanten angestarrt. Ampeln gab es keine, sondern nur Verkehrspolizisten, die die Radfahrer und Fußgänger lenkten. Verstörend wirkten auf mich außerdem die Pastellfarben, in denen die meisten Häuser und Propagandaplakate gehalten sind. Sie wirkten zu fröhlich und in der Mischung mit schlechter Instandhaltung eher wie ein verlassener Freizeitpark.
Es schien aber, als seien Ochsenkarren verbreiteter als Traktoren und in den Dörfern Feuer auf der Straße gängiger als beheizte Häuser.
Auf den Überlandfahrten konnte ich einen Eindruck des Lebens auf dem Land erhaschen. Die Landschaft war hauptsächlich von Feldern und Bauerndörfern geprägt. Die Straßen waren zwar breit und geteert, aber mit Schlaglöchern übersäht. Vor allem waren sie fast ausgestorben und wir sahen kaum andere Autos – stattdessen trotz Temperaturen von -15°C Fahrradfahrer und Fußgänger. Wegen der Kälte haben nur wenige Menschen auf den Feldern gearbeitet. Es schien aber, als seien Ochsenkarren verbreiteter als Traktoren und in den Dörfern Feuer auf der Straße gängiger als beheizte Häuser.
Ein Bauerndorf durften wir ausgiebig besichtigen und es bildete eine strahlende Ausnahme. Es war auf Hochglanz poliert und man konnte viele technische Geräte sehen. Schockierender als dieser eklatante Unterschied war allerdings die Kinderkrippe. Eine Gruppe von etwa fünfjährigen Kindern hat ein Lied gesungen und dazu mit Verbeugungen getanzt. Laut Kong ging es darin um ihre Dankbarkeit für die verstorbenen Führer Nordkoreas, Kim Il-sung und Kim Jong-il.Eine andere Gruppe noch jüngerer Kinder schaute währenddessen im Fernsehen einen Cartoon. Später habe ich Sticker der Charaktere auf einer Wand in der Krippe gesehen: Es waren nordkoreanische Soldaten, die auf einen japanischen und einen amerikanischen Soldaten geschossen haben.
Der krasse Unterschied zwischen der relativen Moderne Pjöngjangs und der sonstigen Rückständigkeit war bestürzend. Ich kann mir vorstellen, dass ein Leben in der Hauptstadt gar nicht allzu schlecht ist; die Landbevölkerung schien jedoch in einer gänzlich anderen Welt zu leben. Nur die Allgegenwärtigkeit von Propaganda und vollständige Abwesenheit von Werbung verband beides.
Trotz dieser seltsamen Anekdoten hat sich der Großteil der Reise überraschenderweise sehr normal angefühlt. Die Reiseführer haben die ganze Zeit eine gute Stimmung gemacht und alle zwischenmenschlichen Interaktionen kamen mir sehr vertraut vor. Dadurch habe ich leicht vergessen, wo ich gerade war und wurde erst durch beklemmende Situationen wie in der DMZ oder bei Überlegungen, ob das Hotelzimmer wohl verwanzt ist, jäh daran erinnert.
Dennoch: Als wir schließlich im Zug über die Grenze zurück nach China fuhren, spürte ich vor allem Erleichterung wieder in einem Land zu sein, in dem ich mich frei bewegen kann und frei fühle. Ich finde, das rückt sowohl China als auch Nordkorea in ein neues Licht.
Von Sara Wagener
[box type=“shadow“ align=“aligncenter“ ]Nach Nordkorea reisen – das geht?
Grundsätzlich darf jeder ins Land einreisen – sofern der Aufenthalt über eine Reiseagentur gebucht wurde, die wiederum mit einer nordkoreanischen Agentur kooperiert. Südkoreanischen Staatsangehörigen sowie professionellen Journalisten wird die Einreise in einem sehr undurchsichtigen Entscheidungsprozess jedoch oftmals erschwert oder auch verweigert. Wie im obigen Text erwähnt, gibt es jedoch besondere Auflagen für ausländische Touristen, so sind etwa Kameras mit einem starken Zoom verboten. Möglichkeiten zur Einreise gibt es per Flugzeug mit der nordkoreanischen Airline ‚Air Koryo‘. Diese startet von den chinesischen Flughäfen in Peking und Shenyang. Außerdem kann man mit dem Zug aus der chinesischen Grenzstadt Dandong einreisen. Das Visum wird von der Reiseagentur beantragt, die auch nach der Einreise die gesamte Planung des Aufenthalts übernimmt: Unterkunft, Transport, Verpflegung und die vorgeschriebene Begleitung durch einen Reiseführer. Für die Buchung benötigt die Agentur den Namen des Arbeitsplatzes oder der Universität mit Adresse, die Heimatadresse, Telefonnummer, eine Kopie des Reisepasses sowie ein digitales Foto. Andersherum dürfen nordkoreanische Staatsangehörige ihr Land nur unter strengen Auflagen und nur zu bestimmten Zwecken verlassen, etwa für Geschäftsreisen oder zum Studieren.[/box]
Liebe Sara,
hast du deine Reiseleiterinnen gefragt, wieso der Kontakt zu Einheimischen schwer fällt, bzw. weshalb diese so reserviert sind?
Mir sind die Hintergründe natürlich bekannt, aber es würde interessieren, was die Erklarungsmuster Touristen gegenüber sind.