Der Journalist Michel Friedman spricht in seinen Polittalk-Sendungen immer wieder mit Populisten. Im Gespräch erklärt er, warum man gerade mit denen streiten muss, die nicht der eigenen Meinung sind
Michel Friedman ist Professor für Immobilien- und Medienrecht, moderiert die Polittalk-Sendungen Studio Friedman und Conflict Zone Deutsche Welle, war stellvertretender Vorsitzender des Zentralrates der Juden sowie Herausgeber der Jüdischen Allgemeinen. Er entstammt einer polnisch-jüdischen Familie. Kaum ein Mitglied seiner Familie überlebte den Holocaust, fast alle kamen um. Einzig seine Eltern und seine Großmutter konnten durch den Unternehmer Oskar Schindler gerettet werden. Für einen Vortrag zum Thema Populismus in der Reihe „Fühlen statt Fakten“ des Deutsch-Amerikanischen Instituts kam er nach Heidelberg.
Herr Friedman, in den Medien heißt es, wir leben in einer Zeit der Populisten: Trump, Le Pen und in Deutschland die AfD. Populistische Äußerungen hört man aber in der Politik schon lange. Gerade scheint es jedoch eine Veränderung zu geben. Wie sehen Sie die Situation?
Wir müssen uns zu Beginn zunächst darüber verständigen, was wir unter Populismus verstehen: Ist er eine Form oder ist er ein Inhalt oder sind es vielleicht beide Elemente? Die Form populär zu sprechen, kann auch bedeuten, verständlich zu sprechen. Wenn die Form darin besteht, komplexe Inhalte in eine Sprache zu verwandeln, die Erklärung möglich macht, ist das a priori nichts Negatives. Wenn die Vereinfachung jedoch geschieht, weil der Erklärende selbst nicht versteht, was er erklärt und das vertuschen möchte und stattdessen eben eine Erklärung abgibt, die ohne Bedeutung bleibt, dann wird Populismus als Methodik zum Moment, in dem man lügt.
Und wie erleben Sie die Inhalte der populistischen Äußerungen?
Worüber wir in diesen Jahren diskutieren, ist ein Wiedererstarken von menschen- und demokratiefeindlichen politischen Gruppierungen. Diese scheinen mittlerweile teilweise als Parteien durch Regierungsmacht legitimiert und legalisiert zu sein, Hass gegen Menschen und Ausgrenzung gegen das Fremde zu verbreiten. Europa ist als Kontinent ein Kontinent von Jahrhunderten des Blutbads gewesen, ein Kontinent, in dem selbst im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege stattgefunden haben, in dem Auschwitz und die Shoa stattgefunden haben. In einem solchen Kontinent eine Regression, einen Rückschritt, in dieses 20. Jahrhundert zu erleben, ist für mich außerordentlich belastend.
Und diese Inhalte tauchen jetzt wieder auf?
Man muss sich die Frage stellen: Kann es sein, dass diese Tendenzen inhaltlicher Natur nie weg waren? Kann es sein, dass sie nach dem Holocaust nicht nur in Deutschland, sondern in Europa verschämter besprochen wurden und sich mittlerweile unverschämter darstellen? Es gab nie die Stunde Null, weder in Deutschland noch sonst wo. Rassismus ist auch keine deutsche Eigenschaft, aber Auschwitz ist etwas, was Deutschland erfunden hat.
Der Rassismus ist eine globale Erscheinung. Nichtsdestotrotz ist er gepaart mit der Methode des Populismus, also der Vereinfachung, ein Gift, mit dem aus geistiger Brandstiftung tätige Brandstiftung werden könnte. Ich nehme das sofort wieder zurück: Geworden ist.
Das heißt, Sie sehen den Populismus, so wie wir in heute erleben, als Gefahr und es gibt für Sie keine positiven Aspekte daran?
Populismus ist eine Emotionalisierung von Kommunikation und natürlich sind wir primär als Menschen immer noch emotionale Instinktwesen. Dort, wo es um Verantwortlichkeit geht, haben wir mit der Idee der Aufklärung, der Idee Kants von der „reinen Vernunft“ gelernt und müssen immer wieder lernen, was Emotionen und Vereinfachungen mit dem Individuum ganz besonders in Konfliktsituationen machen. Populismus hat keine Vorteile. Populismus versucht in der Emotionalität zu verstecken, dass die Argumente nur Scheinargumente sind.
Wie ist dieser Emotionalität beizukommen?
Ich glaube zutiefst daran, dass der Mensch durch Gedanken erreichbar ist, sogar eine Sehnsucht danach hat. Der aufgeklärte Mensch weiß vom Unterschied zwischen der Luftblase der Worte und der Inhaltlichkeit. Dieser Inhaltlichkeit inhaltlich zu widersprechen ist absolut legitim. Wir nennen das Streitkultur. Vielleicht ist die Idee der Streitkultur auch in Deutschland unterentwickelt. Dadurch wird Raum geschaffen für Menschen, die an Emotionen appellieren und davon leben, dass sie sich in einer Abgrenzungsrhetorik darstellen, die immer auf Kosten anderer geht.
Sie haben im Rahmen ihrer Sendung „Studio Friedman“ auch mit Bernd Lucke gesprochen. Dieser hat das Studio dann verlassen. War das ein Erfolg für Sie oder hätten Sie sich gewünscht, dass er im Gespräch bleibt?
Ich bitte Sie, ich bin verrückt nach Dialog. Das Sich-Entziehen aus dem dialogischen Prinzip halte ich für einen Offenbarungseid. Allerdings lag das in diesem konkreten Fall an der emotionalen Anspannung, die in dieser Sendung sichtbar war. Das Interview fand in der Zeit statt, in der sich der Parteitag der AfD mit Alexander Gauland und Frauke Petry deutlich positioniert hat. Ich habe den Parteivorsitzenden gefragt, ob er diese Veränderung seiner Partei mitgeht. Die Antwort war für ihn auf der einen wie auf der anderen Seite ein Risiko.
Sie haben gerade gesagt, Sie sind verrückt nach Dialog. Kann man denn mit Menschen, die mit „alternativen Fakten“ argumentieren überhaupt ins Gespräch kommen?
Mit meinem Echo ins Gespräch zu kommen, ist wohlfeil. Wenn man weiß, dass wir mit ganz unterschiedlichen Interpretationen von Wahrheiten in dieser pluralen Welt leben, dann stellt sich für mich die Frage: Mit wem muss man denn eigentlich reden, wenn nicht mit dem, der anderer Meinung ist? Und zwar nicht nur, um ihn oder sie zu überzeugen, sondern um offen zu bleiben, das eine oder andere Argument aufzugreifen und dies wieder zu verarbeiten. Das ist eigentlich der Sinn der Auseinandersetzung, sich mit Menschen auseinanderzusetzen, die ganz konträre Perspektiven und Interpretationen haben, und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.
Ist das ein Grund für Sie, im Rahmen ihrer Sendung immer wieder mit AfD-Vertretern ins Gespräch zu gehen?
Wenn Sie sich meine Biographie vor Augen führen, bin ich hier aufgewachsen mit Menschen, die im Nationalsozialismus als Mitwisser und Mitläufer Verantwortung hatten für die Tötung meiner Familie. Die Entscheidung hier zu bleiben, war gleichzeitig die Entscheidung, in der Gesellschaft zu sein. Ganz bewusst nicht nur in meinem jüdischen Mikrokosmos zu sein, sondern in dem Makrokosmos, in dem ich lebe.
Wie haben Sie das damals erlebt?
Wenn ich in die Sechziger und Siebziger Jahre zurückgehe und an Lehrer denke, an Polizisten und Professoren, dagegen ist ein AfDler – und nur in diesem Verhältnis – harmlos. Denn einige waren Mörder, Mittäter, Mitläufer. Ich war mit deren Kindern befreundet. Wir waren zusammen in der Schule, wir waren zusammen an der Universität und es ist zwingend notwendig, sich mit seinen Freunden über sich und die Familie zu unterhalten. Ich habe mich in der Öffentlichkeit immer mit allen diesen Leuten auseinandergesetzt. Es war wichtig und bleibt wichtig im Sinne des aufklärerischen Gedankens, für den ich stehe, den Resonanzraum nicht denen zu überlassen, die Menschen hassen.
Macht das einen Unterschied?
Ich hoffe, dass die meisten Menschen begreifen, dass Ausländerfeindlichkeit Menschenfeindlichkeit ist und Judenfeindlichkeit Menschenfeindlichkeit ist. Wenn es Menschenfeindlichkeit ist, dann sind sie damit genauso betroffen. Es betrifft uns also alle und das ist das aufklärerische Moment. Das Engagement sollte also nicht stattfinden für verfolgte Minderheiten, sondern für einen selbst. Ich wollte nie, dass man sich für das Judentum alleine oder primär engagiert. Nur wenn die Menschen sich für das Menschsein engagierten, zu dem ich auch als Jude gehöre, wusste ich, dass ich geschützt bin.
In ein paar Monaten ist Bundestagswahl. Was sagen Sie Menschen, die vielleicht auch aus Protest oder Frustration die AfD wählen?
Diese Wähler behaupten in großer Intensität, dass sie ernst genommen werden wollen, also nehme ich sie ernst. Die meisten von ihnen, die sich „Protestwähler“ nennen, beschweren sich, dass ihre Rente nicht ausreicht oder über die mangelnde Möglichkeit ihrer Kinder, erfolgreicher zu werden als sie selbst. All diese Belange sind es wert, in die politische Debatte eingebracht zu werden. Aber dann sollen diese Wähler für höhere Renten und gegen Ungerechtigkeit demonstrieren und auf die Straße gehen.
Und wenn sie stattdessen zu einer AfD-Demo gehen?
Wer mit der AfD demonstriert, muss sich, weil er ja ernst genommen wird, zurechnen lassen, dass die AfD auch mit menschenverachtenden, rassistischen Narrativen arbeitet und letztendlich eine autoritäre und damit antidemokratische Partei ist. Ich muss also mit dieser Person, die ja „eigentlich“ die AfD nicht wählen will, aber Protest anmeldet, darüber, dass sie bei dieser Demo war, reden, bevor ich mit ihr über die Rente oder die soziale Ungerechtigkeit rede. Sie soll mir erklären, was der Ausländerhass mit einer höheren oder niedrigeren Rente zu tun hat. Denn weil sie mit auf die Demos gehen und die AfD wählen, sind sie verantwortlich zu machen für das, was an Gift in diese Gesellschaft einsickert.
Kritische Journalisten werden immer wieder angefeindet. Stichwort „Lügenpresse“. Was macht für Sie den Wert der freien Presse aus?
Wir zeichnen als Journalisten nach wie vor mit unserem Namen. Wenn man uns erwischt, dass wir einen Fehler machen, dann wird dies öffentlich heftig diskutiert. Das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt: In der Demokratie werden Entgleisungen, Aussagen oder Bewertungen sofort verhandelt, diskutiert, neu bewertet und damit im pluralen Diskussionsprozess weitergeleitet. Ich glaube, die Pressefreiheit ist eine der wichtigsten Freiheiten, weil es nicht um die Pressefreiheit geht, sondern um die Denkfreiheit.
Im Sinne dieser Freiheit: Was möchten Sie Populisten entgegensetzen?
Ich weiß, wohin die geistige Brandstiftung führt. Aber es gibt Menschen, die so denken und es gab sie in der Bundesrepublik nach 1945 immer. Nur sie sprachen in den Hinterzimmern darüber. Mir ist es lieber, ich sehe sie und ich höre sie. Denn sie sind ein Teil meines Landes und ich kann sie nicht rausschmeißen. Wenn ich sie nicht rausschmeißen kann, dann muss ich mit ihnen verhandeln und streiten. Ich tue es auch und primär damit andere Menschen eine Alternative zu dieser Alternative hören und sich nicht so leicht verführen lassen, als wenn der Resonanzboden der Gesellschaft nur gefüllt wird von den Menschenverachtern.
Das Gespräch führte Esther Lehnardt