Wer entscheidet über den Umgang mit neuen Forschungsergebnissen? Müssen alte juristische Maßstäbe hinsichtlich moderner Forschung neu definiert werden? Wie wirkt sich die moderne Biowissenschaft auf unsere Gesellschaft aus?
Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigte sich Prof. Dr. Paul Kirchhof vom Institut für Finanz- und Steuerrecht der Universität Heidelberg in seinem Vortrag „Rechtsfragen der Ganzgenomsequenzierung – der Ausgleich zwischen Forschungsinteresse und Patientenschutz“ am 06. November in der Aula der alten Universität Heidelberg. Der Vortrag fand im Rahmen des Heidelberger Forums Biowissenschaft und Gesellschaft statt, das auf Initiative des European Molecular Biology Laboratory (EMBL), des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und der Universität Heidelberg ins Leben gerufen wurde. Mit bildhafter Sprache, lebensnahen Beispielen und äußerst fundiert versuchte der ehemalige Bundesverfassungsrichter die Bedeutung der Biowissenschaften im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, besonders hinsichtlich der Sequenzierung des menschlichen Genoms, verständlich zu machen. Konkret wurde der rechtliche Umgang mit durch neue Forschungsmethoden erhaltenen Daten erläutert. Schnell wurde klar, dass bisher geltende Maßstäbe für Genomsequenzierungs-Ergebnisse nicht anwendbar sind. Dies warf die Frage auf, ob präventiv Gesetze verabschiedet werden dürfen, welche Problematiken wie den „gläsernen Bürger“ Einhalt gebieten könnten.
Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt war die Frage nach dem Umgang mit Forschungsdaten. Inwieweit darf oder muss ein Arzt seinen Patienten über unerwartete genetische Befunde aufklären, die Auswirkungen auf die Lebensdauer haben könnten? In solchen Fällen müssen zusätzlich zu den rechtlichen auch ethische Bedenken berücksichtigt werden. Zur Beantwortung solcher Fragestellungen soll nun in Heidelberg eine Satzung beschlossen werden, die den Ärzten eine Handlungsgrundlage liefert, welche ihnen ein juristisch sicheres Werkzeug zur Hand gibt. An dieser Stelle rief Kirchhof zur Kooperation zwischen den Universitäten auf und schloss eine zukünftige internationale Zusammenarbeit auf Völkerrechtsebene nicht aus, um allgemeingültige Lösungen zu finden. Bis auf die Heidelberger Satzung machte Kirchhof selten definitive Vorschläge, sondern formulierte vorsichtig und zurückhaltend Möglichkeiten mit Genomsequenzierungsdaten umzugehen. Somit kamen eigentlich keine neuen, unerwarteten Ideen für Maßstäbe zur rechtlichen Beurteilung moderner Forschung zur Sprache. Treffend zusammengefasst meinte Prof. Kirchhof: „Viel Wissen ist ein Glück, viel Wissen über einen anderen Menschen ist ein rechtliches Risiko“. Dass dieses Problemfeld bei zukünftigen Reformversuchen mit Samthandschuhen angefasst werden muss, war damit klar. Nach einem schleppenden Anfang, entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, in der schnell die gesellschaftliche Relevanz des Themas deutlich wurde. Es wurden konkrete Fallbeispiele diskutiert, welche eine erstaunliche Sachkundigkeit seitens des Publikums bewiesen. Sehr bald wurde die Diskussion jedoch abgebrochen. Dennoch bot sich beim anschließenden Umtrunk noch einmal die Gelegenheit das Gehörte ausführlich zu reflektieren.
von Jasmin Stein und Monika Witzenberger