Mit dem Ende der Nachtschicht verabschiedet sich ein weiterer Club aus dem Heidelberger Nachtleben. Damit setzt sich ein regionaler Trend fort
[dropcap]D[/dropcap]as war’s dann wohl! Vorbei die Zeiten der freitäglichen U18-Partys, des Gratis-Frühstücksbuffets und der mehr oder minder mutigen Türpolitik: Die Musikfabrik Nachtschicht öffnet am 31. Dezember dieses Jahres zum allerletzten Mal ihre Pforten. Das Ende der Kultdiskothek in Bergheim markiert einen Trend, der in den letzten Jahren immer mehr die studentische Abendplanung bestimmt hat. Discos haben es schwer in der Studentenstadt Heidelberg: Nach der Aufgabe des Schwimmbad Musik Clubs vor zwei Jahren und nun der Nachtschicht ist die Zukunft des Zieglers in der Bergheimer Straße nach 2018 ebenso unklar. Ist „Schicht“ – oder treffender formuliert, das Discofeiern an sich – überhaupt noch Pflicht?
Nicht wirtschaftlicher Misserfolg wird von offizieller Seite als Begründung für die Schließung angeführt. Lediglich die Kündigung des Pachtvertrags seitens der Vermieter soll der Grund für das Ende der Nachtschicht sein. Für den ehemaligen Betreiber Joachim Kloe liegt indes die tatsächliche Erklärung für den Abschied der Musikfabrik auf der Hand: „Ganz klar haben die Pächter nach den sich häufenden Vorfällen in und vor den Türen der Disco einfach die Reißleine gezogen. Neueste Schlägereien und Messerstechereien haben das Fass zum Überlaufen gebracht.“
So komme es nicht von ungefähr, dass der neue Mieter der Räumlichkeiten ein so vergleichsweise „unkomplizierter“ Partner wie die Tanzschule Nuzinger ist. Diese möchte dort eine sogenannte Event-Gastronomiebar mit Puderrosa-Charme aufbauen. Wohl eine willkommene Abwechslung zur „Willst du Stress?!“-Mentalität mancher Chaoten, die zum Publikum der Disco zwischen Hauptbahnhof und Betriebshof gehören. So sind zwar Lärm und Pöbeleien nicht selten Begleiterscheinungen eines Discobetriebs, doch die jüngsten Vorfälle endeten überdurchschnittlich häufig im Krankenhaus und schließlich in der Presse. Grund für die sich häufenden Vorfälle sei laut Kloe die mangelnde Türselektion: „Das Thema Club hängt stark mit seiner Tür zusammen. Wenn kein Selektionssystem vom Betreiber der letzten Jahre installiert wurde, geht viel schief. Die Schließung ist nun die Quittung dafür.“
Mit der Nachtschicht verabschiedet sich zum neuen Jahr nun ein weiteres Urgestein der Heidelberger Partyszene. Unleugbar mit dieser Entwicklung verknüpft scheint die derzeitige Selbstverständlichkeit für die Mehrzahl der Feierwütigen, ihren Abend lieber in der Unteren Straße zu verbringen. Eine Altstadt mit einem Kern von aneinandergereihten Bars gilt scheinbar als viel zu verlockend, als dass man viel Aufwand und Geld aufbringt, um in Großmanier eine Disco zu besuchen. Heute ruft es „Hallo Barhopping, gratis Eintritt und Getränkeangebot“ aus verheißungsvoll-beschlagenen Fens-terscheiben fast jeder Kneipe der Unteren. Und das ist es, was den Kern der Sache ausmacht: Warum sich denn auch auf eine Lokalität beschränken, wenn man stattdessen die Möglichkeit hat, seinen Abend in vielen verschiedenen Kneipen mit mehr oder minder studentenfreundlichen Angeboten ausklingen zu lassen? Rappelvolle und überlaufene Bars sind die Folge. Dennoch scheint es den Altstadtkneipen seit einiger Zeit gelungen zu sein, das Problem von Clubangebot, Nachfrage und Preis-Leistung zu ihrem Vorteil zu nutzen.
Eine für Discobetreiber schwierige Situation, bemerkt auch Felix Grädler, Geschäftsführer der halle02 und Gründungsmitglied des im Sommer 2012 gegründeten Vereins „Eventkultur Rhein-Neckar“. Mit dem Verein versuchen Veranstalter nun, sich vor allen Dingen auf ein qualitatives Programm rund um Live- und Nischenmusik zu konzentrieren und Discobetreibern durch eine geplante Erstattung der GEMA-Gebühren zu ermöglichen, eine Alternative zur Altstadtkonkurrenz zu schaffen. „Heute sind fast alle Kneipen in der Altstadt Orte, die sich mit lauter Mainstreammusik, beachtlichen Soundsystemen und sogar eigenen DJs selbst zu kleinen Clubs entwickeln – Clubs ohne die herkömmlichen Auflagen wie Brandschutzverordnungen et cetera. Discos sind durch solche Auflagen viel größeren finanziellen Belastungen ausgesetzt“, beschreibt Grädler die schwierige Situation für sich und seine Kollegen. „Meiner Meinung nach ist die aktuelle Altstadtsituation eine tickende Zeitbombe. Feierwütige zeigen wenig Etikette, Anwohner beschweren sich seit Jahren bei der Stadt.“
Noch scheint das Discoangebot vor allem Studierende nicht zu überzeugen: Den großen Clubs tanzen die Kunden einfach davon, und zwar schnurstracks in die Kneipen der Altstadt. Discokultur weicht Kneipen- und Saufschick. Das Ende der Nachtschicht beschreibt dennoch einen Einschnitt ins Heidelberger Nachtleben. „A little party never killed nobody“, tönte zwar bereits die viel rezitierte Klang- und Vocalmeisterin Fergie höchstpersönlich, doch im Falle der Nachtschicht wurde es hier wohl zu wild getrieben. Nun bleibt nichts anderes übrig, als sich von diesem Etablissement mit einem fidelen Adé zu verabschieden und heilfroh darüber zu sein, dass die mit Wodka- Energy verklebten Wände dieses Stückes Heidelberger Zeitgeschichte nicht sprechen können – man stelle sich nur die Geschichten vor.
Von Monica Dick