Der Wissenschaftspublizist Lars Jaeger beleuchtet Chancen und Gefahren naturwissenschaftlicher Forschung. Im Gespräch mahnt er zu Selbstreflexion, Ehrlichkeit und Diskurs
Der gebürtige Heidelberger Lars Jaeger studierte Physik und Philosophie in Bonn und Paris. Anschließend promovierte er auf dem Gebiet der theoretischen Physik und forschte als Postdoc am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden. Der gebürtige Heidelberger Lars Jaeger studierte Physik und Philosophie in Bonn und Paris. Anschließend promovierte er auf dem Gebiet der theoretischen Physik und forschte als Postdoc am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden. Seit einigen Jahren ist er als Wissenschaftspublizist tätig und will mit seinen Büchern ein breites Publikum an naturwissenschaftliche Forschung heranführen. In zwei Monographien lieferte er bisher eine Universalgeschichte der Naturwissenschaften und setzte sich mit dem Verhältnis von Wissenschaft und spirituellen Traditionen auseinander. In seinem aktuellen Buch „Supermacht Wissenschaft“ liefert er einerseits eine Gegenwartsdiagnose wissenschaftlicher und technologischer Möglichkeiten. Andererseits fragt er nach den Schattenseiten der Forschung und ihren Auswirkungen auf das menschliche Zusammenleben. Im Rahmen des internationalen Wissenschaftsfestivals „Geist Heidelberg“ war er im Deutsch-Amerikanischen Institut zu Gast.
Bevor Sie als Autor versucht haben, naturwissenschaftliche Themen allgemeinverständlich zu behandeln, waren Sie selbst an „vorderster Front“ in der Forschung aktiv. Was hat Sie dazu bewegt, aus der akademischen Wissenschaft in diese Vermittlerrolle zu wechseln?
Lars Jaeger: Ein Grund war eine gewisse Enge, die ich in der Forschung gespürt habe. Ich habe zur theoretischen und mathematischen Physik gearbeitet und das waren ab einem gewissen Punkt Themen, die salopp gesagt, nur noch fünf bis sechs Menschen auf der Welt überhaupt interessierten. Ich glaube, das ist ein Phänomen, mit dem viele junge Wissenschaftler zu kämpfen haben. Beim Einstieg in die Wissenschaft ist man euphorisch und fühlt sich, als sei man der neue Einstein und irgendwann merkt man, dass man doch nur mit dem Postdoc nebenan konkurriert. Da hat sich die Euphorie natürlich etwas gelegt – nicht für die Wissenschaft als solches, aber für die eigene wissenschaftliche Forschung. Und natürlich spielte auch die Karriereplanung eine Rolle.
Sie sprechen in Ihrem neuesten Buch davon, dass wir an der „Schwelle zu einem epochalen Sprung der Menschheit im Ganzen stehen“. Das ist eine radikale Zeitdiagnose. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Die Wendung stammt nicht von mir, die hat Karl Jaspers geprägt. Er bezog sich damit auf die Periode, die er auch Achsenzeit genannt hat, also die Zeitspanne 800 bis 200 vor Christus, in der entscheidende Entwicklung stattgefunden haben, etwa die Entstehung der monotheistischen Religionen. Ich glaube, dass wir heute an einem ähnlich folgenreichen Punkt, oder besser, an einem Scheideweg stehen: Wir haben in den letzten 200 bis 300 Jahren durch Technologien die Natur verändert. Und jetzt fangen wir an, beziehungsweise sind schon dabei, den Menschen zu verändern. Das ist in meinen Augen ein epochaler Schritt.
Wir formen nicht mehr nur die Natur, sondern Menschen
Apropos Menschen verändern: Zu diesem Stichwort passt, dass eine der in Ihrem Buch vorgestellten Schlüsseltechnologien unserer Zeit die Genschere CRISPR/Cas9 ist. Sie sprechen sogar vom wichtigsten medizinischen Durchbruch dieses Jahrhunderts. Warum?
CRISPR ist nur eine von verschiedenen Technologien, die den besagten epochalen Wandel einleiten; vielleicht aber die bedeutendste, spannendste und auf jeden Fall eine sehr schlagzeilenträchtige. Es geht im weitesten Sinne um Gentechnologie, die selbst gar nicht mehr so neu, sondern schon etwa 40 Jahre alt ist. Auch das Editieren, also Verändern, von Genen ist nichts Neues. Was CRISPR so revolutionär macht, ist die neue Präzision und Einfachheit beim Editieren von Genen. Früher war das mit großem Aufwand verbunden und es gab nur wenige Labore, die technisch dazu in der Lage waren. Außerdem war es enorm ungenau. Ich benutze oft die Metapher, dass man früher mit einer Schrotflinte auf die DNA geschossen hat beim Versuch, sie zu editieren. Mit CRISPR steht uns dagegen heute ein Präzisionsgewehr zur Verfügung. Außerdem kann es zu einem Massentool werden, man könnte sogar von einer Demokratisierung der Gentechnologie sprechen. In Zukunft werden nicht nur Hochpräzisionslaboratorien mit CRISPR arbeiten können, sondern auch Labore in Gymnasien.
Gleichzeitig haben wir es nicht nur bei CRISPR heute vermehrt mit Technologien zu tun, deren Ausmaße und Gefahren wir noch nicht abschätzen oder nicht kontrollieren können. Da schließt sich die elementare Frage an: Müssen wir alles machen, was technisch möglich ist?
Diese Frage hat schon Friedrich Dürrenmatt in seinem Drama „Die Physiker“ von 1961 gestellt. Damals ging es um die Atomforschung und die Atombombe. Dürrenmatt hat damals etwas fatalistisch geantwortet, dass wir sowieso alles tun werden, was technisch möglich ist. Heute haben wir ein Dutzend solcher Technologien, die ähnlich prägend sein werden wie die Atomenergie. Daher drängt sich diese Frage heute wieder auf und sie ist aktueller denn je. Ich glaube, dass sie in Zukunft auch verstärkt auf die politische Agenda kommen wird. Aber sind wir dafür wirklich vorbereitet? Ich bin da sehr skeptisch, wenn ich mir Politiker in Deutschland anschaue. Da ist eine Bundeskanzlerin, die immerhin Physikerin ist, und trotzdem erst nach der Explosion von Fukushima verstehen will, dass Atomenergie gefährlich ist, sobald nur die Kühlung ausfällt.
Die Wissenschaft unterwirft sich dem Kapitalismus
Sie interessieren sich auch für die gesellschaftlichen Implikationen wissenschaftlicher Forschung und weisen in Ihrem Buch darauf hin, dass wir tagtäglich Technologien benutzen, deren Funktionsweise wir nicht einmal im Ansatz verstehen. Droht uns damit die Rückkehr in die „selbstverschuldete Unmündigkeit“?
So dramatisch sehe ich das nicht. Dass man Technologien benutzt, die man nicht versteht, ist seit über 150 Jahren so. Wer versteht schon bis ins kleinste Detail, wie eine Eisenbahn funktioniert? Ich fordere nicht von Jedem, dass er die Details der Quantenphysik versteht. Ich glaube eher, dass es um das große Bild geht: Was hat die Quantenphysik mit unserem Leben gemacht und was kann sie damit in der Zukunft theoretisch noch tun? Sie hat bis heute nicht weniger als unser Weltbild revolutioniert. Die Philosophen haben lange gebraucht, das zu verstehen, die Theologen haben es immer noch nicht geschafft.Sie haben in Ihrer Frage auf die Aufklärung angespielt. Aufklärung heißt nicht, dass wir alle Quantenphysiker werden. Aber es bedeutet, dass wir um die Chancen und Gefahren von Quantenphysik in Gegenwart und Zukunft wissen. Und zu dieser Aufklärung will ich beitragen.
Angenommen, wir sind uns über die Chancen und Gefahren von Wissenschaft grundsätzlich im Klaren. Reicht das, um noch Herr über unsere Zukunft zu sein, oder liegt die bereits in den Händen derer, die die Schlüsseltechnologien von morgen entwickeln?
Diese Frage müssen wir uns ganz aktuell stellen. Wer soll unsere Zukunft gestalten? Wollen wir die Verantwortung dafür einer kleinen Elite im Silicon Valley überlassen, oder setzen wir auf eine Weltöffentlichkeit, die Wert auf einen demokratischen Diskurs legt? Wir sind ja zum Glück nicht fremdgesteuert, sondern haben als Menschen durchaus Gestaltungsmacht, die es zu nutzen gilt. Wir sollten uns in diesem Atemzug auch immer wieder die Frage stellen, ob wir uns auf dem Gebiet der Wissenschaft weiterhin der kapitalistischen Verwertungslogik unterwerfen wollen. Ich glaube, momentan tun wir das noch. Wissenschaft nach kapitalistischen Prinzipien orientiert sich nicht an der Frage nach sozialer Verträglichkeit, sondern interessiert sich in erster Linie für die technologische Umsetzbarkeit und den zu erzielenden Profit.Es sollte aber nicht nur darum gehen, was wir machen können, sondern was wir davon auch gesellschaftlich für vertretbar halten. Dafür braucht es dringend einen Diskurs.
Wie kann dieser Diskurs aussehen?
In erster Linie sollte er auf möglichst vielen Ebenen stattfinden und tut dies zum Teil auch schon. Schauen Sie sich die zahlreichen wissenschaftlichen Blogs an, zum Beispiel die SciLogs in Heidelberg.
Man kann sich informieren, das Internet bietet da unglaubliche Möglichkeiten. Aber auch Journalisten sind gefragt. Warum beschäftigt sich die Presse tagelang mit dem Weltwirtschaftsforum in Davos, aber es wird nirgends ernsthaft diskutiert, was auf Wissenschaftskongressen stattfindet? Ich würde gerne mal als Journalist auf die Google-Konferenz fahren und sehen, wie weit Google denn mit dem Quantencomputer ist. Der Diskurs muss außerdem schon in den Schulen anfangen. Lehrer könnten noch viel stärker dafür sensibilisiert werden, auch aktuelle Fragen im Unterricht zu vermitteln. Ich appelliere mit meinem Buch besonders an die jüngere Generation, die aus der Schule kommt und ins Studium startet oder schon studiert. Diese Generation der 20- bis 30-Jährigen ist es, auf die es ankommen wird. Sie ist sehr viel globaler als alle Generationen vor ihr. Das schafft die besten Voraussetzungen dafür, wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskurse über die eigenen nationalen Grenzen hinaus wahrzunehmen.
Sie haben sich in der Vergangenheit intensiv mit dem Zusammenhang von Wissenschaft und Spiritualität auseinandergesetzt und dieses Thema auch im neuen Buch wieder aufgegriffen. Worin besteht dieser Zusammenhang? Taugt Wissenschaft zur Religion?
Nein. Ich will den Spiritualitätsbegriff überhaupt nicht religiös verstanden wissen, auch nicht transzendent. Ich meine damit vielmehr eine innere Haltung, die man entwickeln sollte, und beziehe mich dabei auf den Philosophen Thomas Metzinger. Er hat den schönen Begriff der „intellektuellen Redlichkeit“ geprägt. Es geht mir unter dem Stichwort der Spiritualität um Ehrlichkeit und Offenheit im Denken, um das Wissen-Wollen. Es ist ein Spiritualitätsbegriff, der eng mit der europäischen Aufklärung verknüpft ist: „Sapere aude!“ Diese Geisteshaltung ist eine zentrale Voraussetzung für reflektierte wissenschaftliche Forschung. Ich plädiere deshalb dafür, dass man den Begriff der Spiritualität nicht allein den Angehörigen von Religionen überlässt. Es gibt natürlich einen gewissen historischen Antagonismus zwischen Wissenschaft und großen spirituellen Denktraditionen in Europa, den wir bis heute nicht überwunden haben. Ich glaube aber, dass man durch eine weitere Begriffsfassung genau an dieser Bruchlinie Brücken schlagen kann und muss. Besonders für die öffentliche Diskussion über Chancen und Gefahren von Wissenschaft muss man ein gesamtgesellschaftliches Spektrum erreichen, und dazu zählen auch die Glaubensgemeinschaften.
Das Gespräch führte Tillmann Heise