Die Heidelberger Theatertage feiern zwanzigjähriges Jubiläum: Eine Gratwanderung zwischen freiem und dilettantischem Theater
Alle Jahre wieder erwarten bei den Heidelberger Theatertagen kleine Schauspielgruppen auf dunklen Bühnen ihre Zuschauerschaft – inzwischen zum zwanzigsten Mal. Im Rahmen des Festivals kamen vom 26. Oktober bis zum 5. November zehn freie Theaterensembles aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen, um um den Heidelberger Theaterpreis zu wetteifern. Ihre Stücke präsentierten sie im Karlstorbahnhof und im Theater im Romanischen Keller. Das Angebot erstreckte sich von klassischen Sprechtheaterproduktionen über moderne Dramatik und Literaturadaptionen bis hin zu neuen, ungewöhnlichen Theaterformen.
Das Selbstverständnis der Theatertage ist dabei offensichtlich. Man möchte eine Alternative zum alteingesessenen Heidelberger Theater sein, fehlendes Budget durch Kreativität und ungewöhnliche Ideen ausgleichen. Die Stücke werden als ideenreich und innovativ beworben. Immer wieder ist von neuen Impulsen die Rede, die für das freie Schauspiel gegeben werden sollen. Getreu diesem Selbstverständnis fanden die Aufführungen im kleinen Kreis statt. Nichtsdestotrotz war die Zuschauertribüne voll besetzt und sogar durch einige Stühle ergänzt, um allen Theatergästen Platz zu bieten. Geschmälert wurde dieser Eindruck jedoch durch die Erkenntnis, dass die Jury die Hälfte des Publikums bildete.
Einen Höhepunkt des Festivals sollte das Stück „Ich werde nicht hassen“ bilden, eine Monologfassung des gleichnamigen Buches von Izzeldin Abuelaish. In dem Buch rekonstruiert der palästinensische Gynäkologe seine Lebensgeschichte und berichtet von seinem Alltag in Gaza, seinem Familienleben, der Arbeit in Israel und dem gewaltsamen Tod seiner Töchter. Das Stück wird von Mohammad-Ali Behboudi vorgetragen, den der ein oder andere aus kleineren Fernsehproduktionen kennen mag.
Die schauspielerische Leistung weiß aber trotz Behboudis Erfahrung nicht zu überzeugen. Seine Mimik bleibt während des gesamten Stückes erschreckend ausdruckslos und lediglich seine von Zeit zu Zeit anschwellende Stimme setzt den Zuschauer über Veränderungen in der Gefühlswelt seines Charakters in Kenntnis. So scheitert dieser doch etwas blasse und blutleere Abuelaish weitestgehend daran, einen wirklich bleibenden Eindruck beim Zuschauer zu hinterlassen. Daran ändert auch die oftmals geäußerte Forderung nach Verständigung zwischen Palästina und Israel und Abuelaishs eigene Verweigerung des Hasses nichts.
„Ich werde nicht hassen“ ist sehr reduziert inszeniert. Ein weißes Tuch, das hin und wieder als Symbol für Abuelaishs Haus herhalten muss, sowie eine Tafel, auf der nach und nach eine Karte der ständig wechselnden Handlungsorte entsteht, bilden die einzigen Requisiten. Diese wenigen Requisiten wirken allerdings gerade wegen der gewollt puristischen Inszenierung bei ihrem Einsatz überflüssig. So bleibt am Ende ein Stück, das sich viel zu sehr auf seiner politischen Botschaft ausruht. Die ständig wiederholte Forderung nach Verständigung statt Hass zwischen Israel und Palästina ist dabei sicher richtig und löblich. Damit „Ich werde nicht hassen“ aber jenseits dieser Botschaft auch als Theaterstück und Buchadaption überzeugt, hätte es eines Darstellers, der das Stück alleine über die 90 Minuten seiner Laufzeit tragen kann, sowie einer kreativeren Inszenierung bedurft.
Deutlich weniger politische, dafür allerdings amüsantere Unterhaltung verhieß das Stück „living happily ever after“. Im diesem versucht sich das Schauspielerduo der KimchiBrot Connection an einer Aufarbeitung der verschiedenen Beziehungsmodelle, die unsere moderne Gesellschaft hervorgebracht hat. Das Ergebnis ist ein Potpourri verschiedenster Einfälle und Ideen. Ständig wird zwischen Musik- und Tanzeinlagen, Filmzitaten und Ausschnitten aus persönlichen Interviews hin und her gewechselt. Das Schauspiel der beiden Darsteller ist dabei von ausladendem Körpereinsatz geprägt.
Allerdings verliert sich das Stück zu sehr in inkonsequent umgesetzten, popkulturellen Referenzen und Anspielungen. Eine wirklich kohärente Aussage oder Botschaft lässt sich nicht ausmachen. So birgt diese Darbietung für den Zuschauer leider außer ein paar Lachern keinen nennenswerten Gewinn.
Den ersten Preis der Fach- sowie der Studierenden-Jury konnte am Ende des Festivals das Freiburger Cargo-Theater mit seinem Stück „festgefeiert“ erringen. Dieses nimmt sich auf Grundlage von Sasa Stanisics Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ der Frage an, wie Kriege entstehen und trotzdem inmitten von Trümmern weiter Feste gefeiert werden. Den Publikumspreis gewann „Ich werde nicht hassen“.
Am Ende hinterlassen die Heidelberger Theatertage allerdings ein eher ernüchterndes Gefühl. Die groß angekündigten neuen Impulse für die freie Theaterlandschaft sucht man vergeblich. So wird zwar durchaus eine Alternative zum Heidelberger Theater geboten. Als wirklich ernstzunehmend kann diese aber nicht bezeichnet werden. Wie sich dieses Festival über zwanzig Jahre derartig etablieren konnte, bleibt ein Rätsel.
Von Matthias Luxenburger