Die Ausstellung „Unzuverlässiges Erzählen“ zeigt, wie Sprachspiele und Kunst zusammenpassen.
[dropcap]D[/dropcap]en herkömmlichen Kunstbegriff überwinden, mit den künstlerischen Traditionen brechen: Pop Art und Fluxus veränderten ab den 1960er-Jahren die künstlerische Produktion. Collagen, ironische Plakate und Spiele mit der Sprache öffneten die Kunst für alltägliche Dinge. In diese Tradition stellt sich das Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen mit seiner Ausstellung „Unzuverlässiges Erzählen – Künstlerbücher und -schallplatten der 1960er bis 1980er Jahre“. Sie zeigt etwa Werke von Joseph Beuys, Andy Warhol und dem Heidelberger Künstler Klaus Staeck.
Unzuverlässiges Erzählen ist eigentlich ein Terminus aus der Literaturwissenschaft. Der Erzähler gibt die Ereignisse nicht zuverlässig wieder – der Leser kann sich also nicht sicher sein, immer die Wahrheit zu hören. Doch unzuverlässig erzählen, das geht nicht nur mit Sprache, sondern auch über Bilder oder Filme. Das zeigen nicht zuletzt Filmklassiker wie „Shutter Island“ oder „Fight Club“, die den Zuschauer bewusst hinters Licht führen. Genau wie der Begriff stellen auch die künstlerischen Ausdrucksformen Fluxus oder Pop Art einen Bruch der Konvention dar.
Ferdinand Kriwets Wortbilder misstrauen der überlieferten Kunstform. In kreisförmig angeordneten Wörtern steht eine Leseanweisung, wie die Betrachter die Texte wahrnehmen sollen: „Lies das und das raus.“ Das ist gar nicht so einfach, da das sprachliche Bild keinen klaren Anfang hat. So dreht man den Kopf beim Lesen hin und her, erkennt Wort- und Begriffspaare. Kriwet integriert auch eigene Wortkreationen, etwa „herotisch“ oder „Bestiendlichterloh“.
Es ist nur logisch, dass auch die Ausstellung selbst unzuverlässig erzählt wird. So wird ein aktuelles Werk von Klaus Staeck unter die Werke gemischt, die ihren Fokus auf die 1960er- bis 1980er-Jahre legen. Es zeigt Alexander Gauland und Frauke Petry in stereotyp deutscher Heimatkulisse, ein Baby auf dem Arm. „Leitkultur“ prangt in neongrüner Frakturschrift darüber. Alt trifft auf neu, Geschichte auf Gegenwart. Und warum hängt ein Schild mit der Aufschrift „Betreten der Ausstellung verboten“ in den Ausstellungsräumen?
Immer wieder verschwimmen die Gattungsgrenzen, Text und Bild interagieren miteinander. Milan Knizals Cover zu „Broken Music“ zeigt eine zerbrochene Schallplatte. Und bei Timm Ulrichs Werken fragt sich der Betrachter unverzüglich, was Bild und was Text ist.
Schallplatten, Telefongespräche oder Buchstaben werden als musikalische Konzepte Gegenstand des kreativen Schaffensprozesses. Daher erhält „Das Geräusch einer Fahrt von 5 Kilometern auf einer geraden Strecke mit einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern“ auf Jan Dibbets gleichnamiger Schallplatte einen musealen Wert. Auf Ferdinand Kriwets CD „Fortuna“ erschallen minutenlang Fangesänge, Trommeln oder Autohupen. Indem Kriwet die einzelnen Geräusche rhythmisch zusammenfügt, erreicht er eine individuelle Klangkombination. Joseph Beuys überspitzt den Kunstbegriff seiner Zeit in einer Karikatur: Figuren bewundern die Kacheln eines gewöhnlichen Badezimmers wegen ihrer Kunstfertigkeit und betreten den Sand eines Spielplatzes nicht, um die vermeintliche Kunst nicht zu zerstören. Sowohl Beuys’ Karikatur als auch Autofahrt und Fangesänge regen zum Nachdenken an: Wie banal darf Kunst sein?
Es sind diese Momente, in denen der Betrachter sanft in die Irre geführt wird und dem Unerwarteten begegnet. An einer Musikstation wird neben textbasierter Kunst auch ein Album der Band „The Velvet Underground“ präsentiert. Dabei bleibt die Schau von Cover und Musik seltsam unabhängig. Oft fehlen Erklärungen, die die Werke in den Kontext einbetten, sodass der Betrachter allzu oft allein gelassen wird.
Von Jesper Klein und Lea Dortschy
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Die Ausstellung „Unzuverlässiges Erzählen“ ist bis zum 21. Januar 2018 im Wilhelm-Hack-Museum zu sehen. Der Eintritt ist frei.
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