Mit der Premiere von Guiseppe Verdis Frühwerk „Ernani“ gelingt dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim unter dem stellvertretenden Generalmusikdirektor Benjamin Reiners ein musikalisch sehr überzeugender Abend. Schade, dass es dann doch an Kleinigkeiten hakt.
Guiseppe Verdi, so viel sei schon einmal verraten, ist nichts für jedermann. Die Musik des romantischen Hitzkopfes stürmt auf den Zuhörer ein, umgibt ihn mit einem ebenso lautstärke- wie blechblaslastigen Klangteppich. Chornummern in größtmöglicher Besetzung tragen die Handlung. Auch die 1844 uraufgeführte Oper „Ernani“ macht da keine Ausnahme. Es rummst und wummst an allen Ecken, das geballte fortissimo aus Orchester im Graben und großem Chor auf der Bühne reißt den schläfrigsten Zuhörer aus dem Sitz. Mehr als in seiner ersten Oper „Nabucco“ setzt Verdi im „Ernani“ aber auch auf kleinere, feine Momente – gottseidank, möchte man fast sagen.
Auch die Handlung auf der Bühne ist an diesem Abend durch und durch dramatisch. Titelheld Ernani (Irakli Kakhidze) ist ein adelsstämmiger Rebell und Räuber im Spanien des beginnenden 16. Jahrhunderts. Und wie sich das für einen anständigen Heldentenor aus einer ebenso anständigen Verdi-Oper gehört, liebt er natürlich nicht nur Freiheit und Heimat, sondern vor allem eine Frau. Unglücklicherweise ist seine Elvira (Miriam Clark) nun schon mit dem alten Edelmann Silva (Sung Ha) verlobt. Sie will sich gerade mit ihrem schmucken Jüngling davonmachen, da taucht auch noch Carlo (Evez Abdulla), König im Inkognito, auf und gesteht der jungen Frau seine Liebe. Um alles noch komplizierter zu machen, verlagert sich der Kampf der drei Alphatiere bald von Elvira auf den Staat im Allgemeinen. Ein Kampf, der wirklich alles abfrühstückt, was das Opernklischee zu bieten hat: Hass und Liebe, Mord und Selbstmord und zum Abschluss – es handelt sich hier schließlich um Verdi – noch eine ordentliche Portion Patriotismus.
Der überzeugenden Inszenierung unter der Regie von Yona Kim gelingt es an diesem Abend, aus dem umfangreichen Stoff klare Linien auszuarbeiten. Den Kampf von Ernani, Silva und Carlo interpretiert Kim, die mit Schumanns „Genoveva“ schon einen großen Regieerfolg am Nationaltheater feiern konnte, als Kampf der Generationen: Auf der einen Seite Ernani und Carlo, auf der anderen Silva. Die Jungen in rot-schwarzen Jacken und republikanischer Tricolore (Kostüme: Falk Bauer) hier, ein „Ancien Régime“ mit Gehstock, grauem Frack und Lilienflagge dort. All das spielt in einer düster-schwarzen Welt. Nur eine Klappwand, deren neun Fenster mal spiegeln und das Publikum ins eigene Angesicht sehen lassen, mal den Blick auf symbolische Figurengruppen in der Hinterbühne eröffnen, droht symbolisch allzeit auf die Beteiligten herabzustürzen (Bühne: Heike Scheele).
Das eigentliche Highlight an diesem Abend ist aber die Musik, im Besonderen das Orchester unter dem stellvertretenden Generalmusikdirektor Benjamin Reiners. Die Musizierenden untermalen das Bühnengeschehen mit einer vollendet ausgeführten Palette von Stimmungen und Nuancen, vom düster brummenden Vorspiel, über die amourös-schwermütigen Liebesgesänge des ersten Aktes bis zu den teils schon fast kammermusikalisch instrumentierten Passagen des beginnenden dritten Aktes. Wenn die hochsensibel tastenden Klarinetten am Grabe Karls des Großen mit leisem, unheilschwangerem Dräuen, lediglich vom Fagott begleitet, ihr Lied singen und mit den „einfachen“ Mitteln der Musik ein Panorama von Furcht, Erwartung, ja Todesahnung entwerfen, dann ist das schlichtweg magisch zu nennen. Reiners Interpretation glänzt besonders in diesen kleinen, feinen Momenten – ohne jedoch an irgendeiner Stelle das Gespür für den unglaublichen Schwung dieser Oper zu verlieren. Immer weiter geht es in der Musik, schlussendlich weit über die tatsächliche Dauer des Stücks hinaus.
Auch das Sängerensemble weiß – trotz Rollendebüt auf allen Positionen – überwiegend zu überzeugen. Als besonders kongeniales Paar erweisen sich die dramatisch und zugleich nuancenreich singende Miriam Clark als Elvira im Gespann mit Sung Ha, der den unerbittlichen Hass des Edelmanns mit hartem, voluminösen und zugleich tief emotionalem Bass verkörpert. Auch wenn sich Evez Abdulla redlich bemüht und zu Teilen durchaus überzeugt (beeindruckend: O sommo Carlo), mit der Tonschönheit Has kann sein Bariton nicht mithalten. Wirklich enttäuschend wirkt vor der Palette seiner Mitsingenden leider der Heldentenor Irakli Kakhidze als Ernani. Seine leicht metallisch scheppernde Stimme hat hörbar mit der Weite des Raumes zu kämpfen. Auch der Chor weiß an diesem Abend nicht immer zu überzeugen – schade bei einer Oper, die vor Chorszenen nur so wimmelt. Während der eröffnende Räuberchor noch leidlich gut klappt, fällt es den vielen Singenden im weiteren Verlauf vor lauter Hin- und Herlaufen, Verschmelzen und Auseinandergehen (zu)hörbar schwer, musikalisch zusammenzubleiben. Besonders schmerzhaft wird dieser Klangbrei zu Anfang des dritten Aktes, wo der Chor ohne Übergang von einer elektronisch eingespielten Passage übernehmen muss – da kann sich auch das wohlmeinendste Ohr einen kurzen Schauer nicht verkneifen.
Trotzdem: In der Summe bleibt es ein, wenn nicht überwältigender, so doch schöner Abend im Nationaltheater.
Von Jakob Bauer