Die Sci-Fi-Metaller von Cypecore aus Mannheim verkörpern eine Dystopie nach dem dritten Weltkrieg. Hinter den Kulissen der Konzeptband beim Tourfinale in Heidelberg
[dropcap]W[/dropcap]ir befinden uns im 22. Jahrhundert, die Erde ist nach dem dritten Weltkrieg weitgehend zerstört und verstrahlt. Mechanische Anzüge sind zum Überleben notwendig, herrenlose Kampfdrohnen beherrschen den Himmel und in all dem Chaos versucht eine Bewegung namens „Alliance“, die Überlebenden der Katastrophe zu einer neuen Gesellschaft zu vereinen. So lautet kurz gefasst das Setting der Mannheimer Metal-Band Cypecore – doch anstatt nur textlich und musikalisch passende Alben zu veröffentlichen, zieht die Gruppe dieses Konzept bis ins letzte Detail durch: von den aufwändig produzierten Musikvideos über die mit detaillierten Kostümen durchchoreographierten Bühnenshows bis zum letzten Social-Media-Post fallen Cypecore niemals aus der Rolle.
Als sie im April mit einem Top 100-Einstieg ihres vierten Albums „The Alliance“ und einer Deutschlandtournee im Rücken in der halle02 in Heidelberg auftreten, ziehen sie das Publikum denn auch vollständig in den Bann ihrer futuristischen Atmosphäre. Unter Nebel und Blitzlicht entfesseln die vier Musiker in ihren mit Kabeln und orangenen LED-Lichtern ausgestatteten Anzügen ein gnadenlos hartes, aber gleichzeitig enorm mitreißendes Gemisch aus melodischem Death Metal und maschinellem Industrial. Sänger Dominic „Commander“ Christoph
verzichtet auf störende Ansagen zwischen den Songs, sondern heizt das Publikum mit knappen Gesten an. Die Energie im Raum wird förmlich greifbar. Der nahtlose und elektronisch-atmosphärisch angehauchte Übergang von einem Schlagzeug- und Gitarrengewitter zum nächsten lässt einen die ganze Brutalität und Zerstörung der dystopischen Welt spüren, die Cypecore darstellen.
Einige Stunden zuvor: Ganz im Kontrast zum martialischen Auftreten in ihren Rollen als „Commander“ und „Alchemist“ haben es sich Sänger Dominic Christoph und Gitarrist Nils Lesser im Backstage-Bereich bequem gemacht und geben einen Einblick hinter die Kulissen der Konzeptband. „Das vollständige Konzept mit Kostümen und Bühnenshow ziehen wir eigentlich erst seit 2015 durch, seit unserem dritten Album ‚Identity‘“, erzählt Nils. „Rückwirkend gesehen passen aber alle vier Alben thematisch zusammen, auch wenn das gar nicht von Anfang an geplant war.“ Im Vordergrund steht dabei eine Vision, wie eine Welt nach der Apokalypse für die wenigen Überlebenden aussehen könnte. Aus den lose zusammenhängenden Songs wird aber auch deutlich, dass die waffenstarrende Katastrophe menschengemacht ist.
Nach zwei Alben seit ihrer Gründung im Jahr 2007 entschloss sich die Band, eine Bühnenshow mit den futuristischen Anzügen zu testen – mit Erfolg. Seitdem ordnet sich alles dem Konzept unter. „Natürlich ist es erst einmal ein Gimmick, aber es ist nicht nur aufgesetzt, und das scheint vielen Leuten zu gefallen“, erklärt Dominic. „Uns geht es darum, das Publikum in die Atmosphäre hineinzuziehen“, ergänzt Nils.
Und tatsächlich: Am Abend tauchen vereinzelt sogar Fans mit Gasmasken und anderen Kostümteilen auf. Cypecore haben sich über die Jahre eine wachsende, äußerst treue Fangemeinde erspielt. „Für uns ist es wichtiger, eine kleine Nische zu besetzen und solche Hardcore-Fans zu haben, als mit einem großen Musiklabel schnell aufzusteigen und ebenso schnell wieder fallen gelassen zu werden“, betont Nils. Der Absolvent der Mannheimer Popakademie ist selbst Produzent und verantwortet die Aufnahmen für das Herzblutprojekt deshalb auch vollständig in Eigenregie. Dennoch: „Wir haben hoffentlich so langsam den Geheimtipp-Status hinter uns gelassen.“ Nach Auftritten auf großen Festivals sowie einer deutschlandweiten Tour mit mehrheitlich ausverkauften Konzerten scheint das durchaus nicht unrealistisch. „Unser Ziel ist, kontinuierlich neue Musik zu veröffentlichen und die Hintergrundstory auszubauen. Das heißt: mehr Musikvideos, vielleicht sogar Comics“, erzählt Dominic. Das dürfte ganz im Sinne der Fans sein, die an diesem Abend jeden Ton der Band abfeiern und noch lange nach dem Ende der Show mit „Cypecore“-Sprechchören vor der Bühne verharren.
Von Simon Koenigsdorff